Experten im Bundestag: "Open Source braucht keinen Welpenschutz"

Sachverständige skizzierten im Bundestag Möglichkeiten zur Förderung freier Software etwa im Vergaberecht, faktische Behinderungen durch Verwaltungsvorgaben zum Dokumentenaustausch und die Bedeutung offener Standards.

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Sachverständige haben am Freitag im Bundestag Möglichkeiten zur Förderung freier Software etwa im Vergaberecht, faktische Behinderungen durch Verwaltungsvorgaben wie zum Dokumentenaustausch und die Bedeutung offener Standards skizziert. "Open-Source-Software braucht keinen Welpenschutz", betonte Johannes Loxen, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters SerNet, im Rahmen eines vierstündigen Expertengesprächs der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft. Sie müsse sich marktüblichen Bedingungen stellen, die aber wiederum für alle gleich zu sein hätten. Anlass für tiefe Einschnitte in die freie Wirtschaft bestünden nicht.

Gleichzeitig vertrat Loxen jedoch die Ansicht, dass Software in der öffentlichen Verwaltung grundsätzlich offen sein sollte und dies Auftraggeber auch in Ausschreibungen deutlich machen könnten. Dem Staatstrojaner hätte dies etwa nicht geschadet, meinte der Firmengründer. Ein frei verfügbarer Quellcode sei aber auch "bei einem Flugzeug, das abstürzt, oder einem Auto, das crasht, besser" im Interesse der Fehlerbehebung als eine proprietäre Lösung.

Zur Verdeutlichung der Grenzen des Vergaberechts führte Till Jaeger vom Institut für Rechtsfragen der freien und Open Source Software (ifrOSS) aus, dass laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs ein spezielles Produkt eines privaten Anbieters nicht mithilfe öffentlicher Gelder mit einem quelloffenen Programm ausgehebelt werden dürfe. Dem Rechtanwalt zufolge wäre eine Klarstellung hilfreich, dass der Wettbewerb damit leben müsse, wenn eine freie Nutzung durch eine Behörde zumindest für die öffentliche Hand selbst und möglicherweise auch für die Allgemeinheit erlaubt werde. Derzeit herrsche angesichts der Übervorsicht mancher Behörden bei der Ausschreibung ein "faktischer Nachteil" für Open Source. Generell brauche es in diesem Gebiet aber keine Sonderregelungen, weil die langfristigen Vorteile freier Software schon jetzt berücksichtigt werden könnten.

Der Gesetzgeber könnte bestimmte, in der Gesellschaft unbestrittene positive Grundsätze gibt wie Umweltschutz, Frauenförderung oder die Innovationskraft von Produkten bei der Vergabe bevorzugen, ergänzte Jaegers Kollege Mario Mathias Ohle von der Kanzlei Taylor Wessing. Bei Open Source sei eine solche Voraussetzung aber nicht pauschal gegeben. Der Jurist zeigte sich auch skeptisch, ob eine solche staatliche Zielvorgabe der richtige Weg sei. In der Regel müsse es die öffentliche Hand ausdrücklich begründen, wenn sie freie Software "oder gleichwertige" Angebote einkaufen wolle. Dabei sei etwa auch die Frage zu berücksichtigen, wer für ein im Kollektiv erstelltes Programm hafte.

Von einer Gleichbehandlung von Open Source im Verwaltungsalltag könne noch keine Rede sein, beklagte Peter Hofmann, Leiter des Münchner LiMux-Projekts. Oft würden Gesetze und Bestimmungen mit einer ganz bestimmten Software umgesetzt, etwa beim elektronischen Personalausweis. Bei der Bundesdruckerei herrsche noch eine reine Monopolkultur; diese stelle nur Windows-Software zur Verfügung. Trotz Beschlüssen auf Bundes- und EU-Ebene zum Einsatz des Open Document Format (ODF) erhalte man von Behörden auch in Brüssel oft noch Microsoft-Dokumente. Beim Interoperabilitätsrahmen handle es sich so um ein Lippenbekenntnis. Das Umweltbundesamt schreibe sogar den Einsatz von Word und einer speziellen, gesondert zu lizenzierenden Schriftart vor. Auch manche Haushaltsordnung verbiete noch eine Weitergabe von Entwicklungen. Hofmann wünschte sich daher, dass die Politik mit Gesetzen gleich eine Umsetzbarkeit daraus resultierender Vorgaben mit freier Software und offenen Standards verknüpfen würde.

In Italien oder Großbritannien werde freie Software in der Verwaltung bereits größtenteils vorgeschrieben, vertiefte Matthias Kirschner von der Free Software Foundation Europe (FSFE) diesen Punkt. In Frankreich und Schweden bestünden vergleichbare Rahmenverträge, die auch noch die einheimische Wirtschaft förderten. Hierzulande fehle dagegen noch etwas die politische Rückendeckung, monierte der Aktivist. Der Staat selbst müsse aber in der Lage sein, Software jederzeit anzupassen und so die Kontrolle darüber zu behalten. Es sei wichtig, schon in der Schule die Einstellung zu vermitteln, dass Programme frei zu erstellen seien.

Noch erkämpfen müsse sich freie Software einen angemessenen Platz auf Mobilgeräten wie E-Book-Readern oder SmartPhones, räumte Kirschner ein. Das Betriebssystem Android an sich sei zwar offen, aber viele Programme engten die Nutzungsfreiräume deutlich ein. Wichtig seien Initiativen wie "Free your Android", die auch die Abhängigkeit von App-Stores einzelner Hersteller reduziere. Seines Wissens nach sei ganz in diesem Sinne auch das neue Mobiltelefon von Bundeskanzlerin Angela Merkel speziell "gehärtet" und auf ihre besonderen Sicherheitsbedürfnisse angepasst worden.

Moritz Lenz, einer der führenden Entwickler der Programmiersprache Perl 6, appellierte an die öffentliche Hand, mehr Daten offen zur Verfügung zu stellen. Sinnvoll sei es zudem, Treffpunkte für freie Entwickler einzurichten. Dies erleichtere es etwa, Spannungen bei Projekten direkt vor Ort abzubauen. Auch bei Normen drängte Lenz auf eine kostenfreie Veröffentlichung.

Parallel rief der Fraunhofer-Forscher Hartwig Steusloff auch im Namen des Deutschen Instituts für Normung (DIN) Verwaltungsmitarbeiter und Verbrauchergemeinschaften auf, stärker bei Normungsprozessen aktiv zu werden und so ein späteres "Leiden" unter entsprechenden technischen Rahmenwerken auszuschließen. Die gleiche Einladung sprach Rigo Wenning vom World Wide Web Consortium (W3C) für Standardisierungsgremien aus, die im Gegensatz zu offiziellen, im Auftrag der öffentlichen Hand agierenden Normungseinrichtungen stärker industriegetrieben sind. Er unterstrich zudem, dass bei Webspezifikationen eine vergütungsfreie Lizenzierung wichtig sei. Sonst könne die Technologieentwicklung massiv behindert werden, wie das Beispiel Video im Web mit dem dafür eingerichteten Patentpool MPEG LA zeige.

Ebenfalls eine Lanze für vergütungsfreie offene Standards im Internet- und Softwarebereich brach Jochen Friedrich, Leiter technische Standardisierung bei IBM in Europa. Wenn patentierte Technologien in Spezifikationen eingebracht würden, sei sonst oft eine Lizenzierung zu "fairen" Bedingungen üblich. Für Open Source funktioniere dies aber nicht, da die Entwicklergemeinde derartige Vereinbarungen nicht unterschreiben könne. Dafür sei bei kollaborativen Entwicklungen überhaupt kein institutioneller Rahmen vorhanden. Zugleich bezeichnete der Konzernvertreter es als "verwunderlich", wenn so getan werde, als ob freie Software noch immer eine Spielwiese seltsamer Akteure "am Rand des Systems" wäre. Zuvor hatte der Oldenburger Informatikprofessor Werner Damm auf "massive Probleme" beim Einsatz von Open-Source-Lösungen in sicherheitsrelevanten Funktionen etwa im Flug- oder Schienenverkehr hingewiesen. (odi)