Verzögerungstaktik: Deutsche Bahn verschleppt Entschädigungszahlung

Bei Zugausfällen und Verspätungen haben Reisende Anspruch auf Entschädigung. Das weiß die Bahn, tut aber alles, um Kunden hinzuhalten und mürbe zu machen.

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Mann zerreißt Zettel mit Fahrgastrechten
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Tim Gerber
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Dies ist ein Beitrag aus unserer Magazin-Rubrik Vorsicht, Kunde!, der erstmals am 30.5.2024 in c't 13/2024 erschienen ist.

Frisch aus dem Urlaub zurück landeten Angelo P. und seine Frau am frühen Morgen des 19. November am Flughafen Düsseldorf. Für ihre Weiterfahrt ins heimische Berlin hatte das Paar im Reisebüro zusammen mit den Flugtickets das günstige Angebot "Zug zum Flug" der Deutschen Bahn gebucht. Mit einem Upgrade für 39 Euro reservierten sie sich Plätze in der ersten Klasse im ICE 545 um 8:57 Uhr vom Flughafen Düsseldorf nach Berlin-Spandau. Kaum hatten sie ihre Plätze eingenommen, mussten sie den Zug aber bereits wieder verlassen: Wegen einer technischen Störung zog die Bahn ihren Zug am Duisburger Hauptbahnhof aus dem Verkehr und alle Reisenden mussten aussteigen.

Ihre Fahrt nach Berlin mussten die P.s im folgenden ICE 847 fortsetzen. Der war mit den zusätzlichen Passagieren hoffnungslos überfüllt, sodass die beiden ihre gut vierstündige Fahrt auf dem Fußboden sitzend absolvieren durften. In der ersten Klasse immerhin, wo der Teppich etwas flauschiger ist. Mit knapp zwei Stunden Verspätung erreichten sie letztlich ihr Ziel.

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Dafür stand ihnen nach der Fahrgastrechteverordnung eine Entschädigung zu. Über das Portal der Bahn im Internet kann man die entsprechenden Anträge aber nur dann einreichen, wenn man das Ticket auch dort gebucht hat. Ansonsten besteht die Bahn auf den Postweg oder die Abgabe ihres papierenen "Fahrgastrechteformulars" am Bahnhof. Immerhin fand Angelo P. im Netz eine PDF-Version, die sich am PC ausfüllen ließ. Am 20. November reichte er das maschinell ausgefüllte Formular am Bahnhof Berlin-Spandau persönlich mit allen Unterlagen ein. Nun hätte die Bahn ihm nach Artikel 19 Abs. 7 der EU-Fahrgastrechteverordnung innerhalb eines Monats, also bis zum 20. Dezember, die Entschädigung auf das von ihm auf dem Formular angegebene Konto überweisen müssen.

Allerdings geschah nichts dergleichen. Am 22. Februar, also bereits zwei Monate über der Frist schickte, die Bahn ihm einen Brief und lehnte seinen Erstattungsanspruch ab. Grund: Der ICE 847 hätte Berlin-Spandau mit weniger als 60 Minuten Verspätung erreicht. Das als Absender angegebene "Servicezentrum Fahrgastrechte" der Bahn ist freilich nur über ein klassisches Postfach erreichbar und per Telefon. Um wegen der etwa 30 Euro zu erwartender Entschädigung nicht noch Briefporto aufwenden zu müssen, hängte sich Angelo P. also in die Warteschleife.

Tatsächlich konnte er an der Fahrgastrechte-Hotline jemanden erreichen und die Sache so weit klären, dass er ja einen früheren Zug gebucht hatte und die tatsächliche Verspätung deutlich oberhalb der 60 Minuten gelegen hatte. Der Mitarbeiter legte im System einen Widerspruch gegen die Entscheidung des Fahrgastrechtezentrums an. Dabei stellte er fest, dass mit der dort hinterlegten IBAN für die Erstattung etwas nicht stimmte. Sie war um eine Ziffer zu lang. Zusammen prüften sie die auf dem maschinell ausgefüllten Fahrgastrechteformular eingetragenen IBAN und stellten fest, dass Angelo P. sie korrekt angegeben hatte. Die Daten werden aber bei der Bahn von Hand eingegeben. Der Mitarbeiter versprach, auch dies im Zuge des Widerspruchs korrigieren zu lassen. Der Kunde solle nur ein wenig Geduld haben.

Die wurde weiter strapaziert. Erst am 16. April flatterte ein weiterer Brief des Fahrgastrechtezentrums in den Postkasten der P.s mit der Aufforderung, die Bankverbindung auf beiliegendem Papierformular, also handschriftlich, nochmals zu übermitteln. Sonst könne sein Fall nicht abgeschlossen werden, hieß es. Da der Bahn die korrekte IBAN bereits nachweislich vorlag, rief Angelo P. am selben Tag erneut bei der Fahrgastrechte-Hotline an. Dort konnte man zwar den Fehler aufseiten der Bahn nachvollziehen und auch bestätigen, die korrekte IBAN vorliegen zu haben. Aber leider sei sein Fall nun im System gesperrt und könne nur durch einen Brief per Post an das Fahrgastrechtezentrum wieder entsperrt werden. Das sei ein Gebot des Datenschutzes, habe man ihm zur Begründung gesagt.

Dass man ihn in Zeiten, in denen elektronische Kommunikation alltäglich ist, mit handschriftlichen Papierformularen, Umschlägen und zu besorgenden Briefmarken gängeln wollte, obwohl der Fehler eindeutig bei der Bahn selbst lag und ihr alle nötigen Angaben bereits korrekt vorlagen, leuchtete Angelo P. nun gar nicht ein. Er wandte sich mit seiner Schilderung am 16. April an c’t.

Mit seiner Geschichte war Angelo P. nicht allein. Dass das sogenannte Servicezentrum Fahrgastrechte der Deutschen Bahn auf diese Weise Fahrgäste schikaniert, ist auch aus anderen Fällen hinlänglich bekannt. Rechtlich zulässig ist das alles nicht. Um den Erstattungsanspruch geltend zu machen, genügt auch eine E-Mail an die Bahn. Da die Fahrgastrechteverordnung derartiges nicht vorsieht, darf die Bahn nicht verlangen, dass die Entschädigung auf einem bestimmten Formular oder auf einem bestimmten Weg geltend gemacht wird. Das hat das Bundesverkehrsministerium (BMDV) im Rahmen seiner Rechtsaufsicht über das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) schon vor Jahren klargestellt. Denn das EBA neigt immer wieder dazu, der Bahn solche Schikanen als "unternehmerische Entscheidung" durchgehen zu lassen.

Auch für die weitere Kommunikation darf die Bahn nicht auf Post beharren. Wenn der Fahrgast an eine ihm bekannte E-Mail-Adresse innerhalb des Bahnkonzerns schreibt, muss die Bahn das eben intern weiterleiten. Das hat das Amtsgericht Frankfurt am Main kürzlich in einem Urteil bestätigt (siehe ct.de/ytcw). Und das BMDV hat das EBA erneut ermahnt, diese rechtlich eindeutigen Gegebenheiten zu berücksichtigen.

Wir fragten deshalb am 24. April bei der Pressestelle der Bahn an, warum der Erstattungsanspruch von Angelo P. nicht innerhalb der gesetzlichen Frist erfüllt wurde. Außerdem übermittelten wir dem Konzern eine Reihe weitere Fragen. Wir wollten wissen, warum das Fahrgastrechtezentrum nach Bankverbindungen fragt, die ihm nachweislich bereits vorliegen? Ob das EDV-System der Bahn keine Prüfung bei der Eingabe von IBANs vornehme, interessierte uns ebenfalls. Zu guter Letzt verlangten wir von dem Staatskonzern Auskunft, welche Konsequenzen er aus dem besagten Urteil des Amtsgerichts Frankfurt vom 8. November gezogen habe.

Am 25. April teilte eine Konzernsprecherin lediglich mit, dass man aus "Compliance-Gründen" zu dem Fall von Angelo P. keine Auskünfte erteilen könne. Unsere Anfrage würde an das Servicezentrum zur weiteren Bearbeitung weitergeleitet. Im Übrigen empfehle man Fahrgästen für Erstattungen das Online-Verfahren über ihren Bahn-Account oder die DB-App. "Reisende mit analog gekauften Tickets können ihren Entschädigungsanspruch postalisch mit dem Fahrgastrechteformular direkt an das Servicecenter Fahrgastrechte richten", hieß es in der Antwort weiter: "Fahrgastrechtliche Anliegen, die außerhalb des Servicecenters Fahrgastrechte bei der Deutschen Bahn eingehen, werden dorthin zur Bearbeitung weitergeleitet." Ein Hinweis auf ihre gesetzliche Auskunftspflicht als öffentliches Unternehmen gegenüber der Presse ließ die Bahn unbeeindruckt.

Service im Visier

Immer wieder bekommen wir E-Mails, in denen sich Leser über schlechten Service, ungerechte Garantiebedingungen und überzogene Reparaturpreise beklagen. Ein gewisser Teil dieser Beschwerden ist offenbar unberechtigt, weil die Kunden etwas überzogene Vorstellungen haben. Vieles entpuppt sich bei genauerer Analyse auch als alltägliches Verhalten von allzu scharf kalkulierenden Firmen in der IT-Branche.

Manchmal erreichen uns aber auch Schilderungen von geradezu haarsträubenden Fällen, die deutlich machen, wie einige Firmen mit ihren Kunden umspringen. In unserer Rubrik „Vorsicht, Kunde!“ berichten wir über solche Entgleisungen, Ungerechtigkeiten und dubiose Geschäftspraktiken. Damit erfahren Sie als Kunde schon vor dem Kauf, was Sie bei dem jeweiligen Unter nehmen erwarten oder manchmal sogar befürchten müssen. Und womöglich veranlassen unsere Berichte ja auch den einen oder anderen Anbieter, sich zukünftig etwas kundenfreundlicher und kulanter zu verhalten.

Falls Sie uns eine solche böse Erfahrung mitteilen wollen, senden Sie bitte eine chronologisch sortierte knappe Beschreibung Ihrer Erfahrungen an: vorsichtkunde@ct.de.

Derweil hörte Angelo P. eine ganze Weile nichts mehr von der Bahn, obwohl er sogar das überflüssige Formular mit der erneuten IBAN-Abfrage schon längst abgeschickt hatte. Erst am folgenden 3. Mai erhielt er endlich eine Nachricht – selbstredend per Brief datiert auf den 25. April, dass ihm wegen der Verspätung von 110 Minuten nunmehr 30 Euro erstattet werden sollen. Tatsächlich wurde der Betrag am 29. April auf seinem Konto gutgeschrieben.

Die Vorgaben der EU-Fahrgastrechteverordnung sind eindeutig: "Die Zahlung der Entschädigung erfolgt innerhalb von einem Monat nach Einreichung des Antrags auf Entschädigung", heißt es ganz unmissverständlich in Artikel 19 Absatz 7 Satz 1 der Verordnung (siehe ct.de/ytcw). Das kümmert die Bahn ganz offenbar nicht. Man weiß dort zu genau, dass die meist relativ geringen Beträge für die wenigsten Fahrgäste gerichtlich durchsetzbar sind, von den eigentlich nach Überschreiten der Frist fälligen Verzugszinsen ganz zu schweigen. Das EBA fühlt sich dafür augenscheinlich nicht zuständig, obwohl ihm vom Gesetz ausdrücklich die Aufgabe zugedacht ist, auch die Rechte der Fahrgäste im Bahnverkehr durchzusetzen. Dabei gibt die Staatsaufsicht ein schlechtes Beispiel, wenn sie ausgerechnet einem staatlichen Unternehmen durchgehen lässt, so unverhohlen und dreist geltendes Recht zu umgehen. Dass man bei der Deutschen Bahn zudem ein "System" betreibt, das IBANs nicht bereits bei Eingabe automatisiert auf Plausibilität prüft, mag man überhaupt nicht weiter kommentieren.

Rechtsgrundlagen Fahrgastrechte: ct.de/ytcw

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(imp)