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Gegenwehr

Matthias Parbel

Ein Brief von einer unbekannten Anwaltskanzlei bedeutet nur selten Gutes. Oft sitzt der Schock über die Abmahnung erst einmal tief. Mit besonnenem Handeln können negative Folgen oft abgemildert oder sogar vermieden werden.

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Die praktische Erfahrung lehrt, dass die weitaus größte Zahl der verschickten Abmahnungen berechtigt und formal korrekt ist. Dennoch erstaunt, welche groben Patzer sich vor allem solche Anwälte leisten, denen man die mangelnde Übung im Umgang mit Abmahnungen schon im Schriftsatz deutlich anmerken kann. Aber auch derartige Abmahnungen sollte man angesichts der drohenden rechtlichen und finanziellen Folgen niemals auf die leichte Schulter nehmen. Entgegen einer weitverbreiteten Meinung führen formale Fehler in einer Abmahnung nur selten dazu, dass diese unwirksam wird. Grundsätzlich ist eine Abmahnung nicht einmal formgebunden. Sie kann auch telefonisch, per Mail oder gar mündlich "Auge in Auge" erfolgen. Da der Absender aber zumindest nachweisen muss, dass er die Erklärung ordnungsgemäß versendet hat, wählt er in aller Regel die schriftliche Abmahnung per Fax und Brief. Dabei ist nach der herrschenden Meinung unter Juristen nicht einmal ein Nachweis des Zugangs an den Empfänger erforderlich. Zu Lasten des Abgemahnten geht es daher, wenn er etwa im Urlaub weilt, das Fax unausgedruckt im Faxspeicher schlummert oder er ein Einschreiben nicht abholt. Kommt ein Fax beispielsweise nur verstümmelt an, so tut der Empfänger im eigenen Interesse gut daran, den Absender darüber zu unterrichten.

Ein typisches anwaltliches Abmahnschreiben weist zunächst auf den eigentlichen Abmahner hin, in dessen Auftrag der Anwalt handelt. Dieser Mandant sollte vollständig und unter Angabe einer ladungsfähigen Anschrift genannt sein. Nicht für die Wirksamkeit einer Abmahnung erforderlich ist nach Ansicht der meisten Gerichte die Übersendung einer unterzeichneten Anwaltsvollmacht. Die übliche Formulierung: "Eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung wird anwaltlich versichert" gilt als ausreichend. Abmahnberechtigt ist derjenige, den die gemahnte Rechtsverletzung konkret betrifft. Dies kann ein Mitbewerber sein, aber beispielsweise auch der Inhaber von Urheberrechten an rechtswidrig auf die eigene Website übernommenen Bildern oder der Adressat einer Beleidigung in einem Blog. Ebenfalls abmahnen dürfen rechtsfähige Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen wie etwa Vereine zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs sowie Industrie-, Handwerks- und Handelskammern. Gleiches gilt unter bestimmten Voraussetzungen auch für Verbraucherverbände wie die Verbraucherzentralen. Inhaltlich muss das Schreiben zunächst die Handlung, die rechtlich angegriffen wird, möglichst detailliert und verständlich darlegen. Daran anschließen sollten sich Ausführungen dazu, warum es sich in dieser Handlung um eine Rechtsverletzung handelt und wonach sich diese juristisch beurteilt. Auf einem eigenen Blatt findet sich meist ein Vorschlag für eine Unterlassungserklärung, die in der Regel folgenden Inhalt hat: Der Abgemahnte X verpflichtet sich gegenüber dem Abmahner Y, es bei Meidung einer für jeden Fall der Wiederholung zu zahlenden Vertragsstrafe zu unterlassen, eine gewisse Handlung zu wiederholen oder zu unternehmen. Die Vertragsstrafe ist in ihrer Höhe meist so empfindlich, dass sie dem Verletzten hinreichende Sicherheit vor einem neuerlichen Verstoß bietet. Vertragsstrafen in Höhe von 5100 Euro sind in aller Regel angemessen. Alternativ zu einer fest bezifferten Summe ist auch eine Festlegung nach dem "Hamburger Brauch" zulässig: Danach darf der Abmahner die zu zahlende Strafe bei einem Verstoß selbst festlegen. Stimmt der Abgemahnte dieser Höhe nicht zu, so entscheidet ein Gericht. Oft setzen Abmahner sehr kurze Reaktionsfristen. 48 Stunden sind nicht unüblich und rechtlich meist zulässig. Der Betroffene muss aber die Möglichkeit haben, Rechtsrat einzuholen. Ist dies innerhalb der vorgegebenen Zeit nicht möglich, sollte er bei dem Abmahnenden schriftlich um eine Fristverlängerung bitten. Die Chancen, dass sich aus der formalen oder inhaltlichen Gestaltung die Unwirksamkeit einer Abmahnung ergibt, sind gering. Denkbar wäre etwa der Fall, dass ein völlig unbeteiligter Dritter abmahnt, der weder Konkurrent noch sonst irgendwie von dem Sachverhalt betroffen ist. Gleiches gilt für Verwechslungen oder eine grob falsche Darstellung des Sachverhalts, der tatsächlich den Abgemahnten gar nicht betrifft.

Der Empfänger einer Abmahnung steht vor vier Handlungsalternativen: Er kann eine, gegebenenfalls modifizierte Unterlassungserklärung abgeben, er kann schriftlich die geforderte Erklärung verweigern, er kann selbst durch eigene Rechtsmittel in die Offensive gehen oder er reagiert gar nicht. Gar nicht zu reagieren, empfiehlt sich höchstens in den Fällen, in denen man sicher ist, dass die geltend gemachten Ansprüche in keinem Fall zutreffend sind. Doch selbst dann sollte man der Gegenseite die eigene Position klarmachen. Eine Nichtreaktion führt sonst in aller Regel fast automatisch zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung. Auch wer klar im Recht ist, muss dann zunächst einen Anwalt einschalten und Kosten vorstrecken. Zwar trägt im deutschen Rechtssystem grundsätzlich die vor Gericht unterlegene Partei die Kosten, doch es bleibt das Risiko der Zahlungsunfähigkeit der Gegenpartei und damit die Gefahr, auf den Kosten sitzen zu bleiben. Besser ist es also, aktiv gegen die Abmahnung vorzugehen. Da ein solches Vorgehen auch von dem konsultierten Anwalt Spezialkenntnisse erfordert, sollte nicht unbedingt ein "Wald-und-Wiesen"-Anwalt, sondern ein auf den Bereich Online-Recht oder den gewerblichen Rechtsschutz spezialisierter Jurist den Vorzug erhalten. Da in diesem Bereich telefonische Absprachen üblich sind, muss dieser nicht vor Ort sitzen. Ist eine Abmahnung offensichtlich unbegründet, besteht die Möglichkeit einer Gegenabmahnung oder einer negativen Feststellungsklage. Bei der Gegenabmahnung weist man die Gegenseite per Anwaltsschreiben mit Kostenrechnung auf die Fehlerhaftigkeit der Abmahnung hin und zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf. Im Rahmen einer negativen Feststellungsklage soll ein Gericht klären, dass die von der Gegenseite gestellten Forderungen unbegründet sind und diese die Kosten zu tragen hat. Beide Möglichkeiten sind für den Abgemahnten finanziell riskant, da er zunächst die Kosten und das Risiko für die Abmahnung und die Klage tragen muss. Andererseits bewirkt häufig bereits die Drohung damit vor allem in Fällen einer ganz offensichtlichen Abzocke, dass die Gegenseite von den eigenen Forderungen absieht. Ist die Abmahnung dagegen berechtigt, so bleibt dem Betroffenen nichts anderes übrig, als eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben und somit juristisch die Wiederholungsgefahr auszuschließen. Tut er dies nicht, so riskiert er die Beantragung einer mehrere tausend Euro teuren einstweiligen Verfügung durch die Gegenseite.

Bei der Abgabe einer Unterlassungserklärung steht es dem Abgemahnten frei, die erhaltene Vorlage nach eigenen Vorstellungen zu modifizieren. Die von der Gegenseite vorgegebene Formulierung ist dabei stets nur als Vorschlag zu betrachten. Hier liegt in der Praxis aber auch die Krux, denn die konkret abgegebene Erklärung muss so formuliert sein, dass die Gefahr der Wiederholung der abgemahnten Handlung ausgeschlossen ist. Häufig ist nur ein erfahrener Anwalt in der Lage, eine entsprechende, oftmals nahe der Haarspalterei angesiedelte Formulierung im Einzelfall zu finden, die beide Seiten befriedigt. Ob sich die Einschaltung eines Anwalts lohnt, ist natürlich auch von den Dimensionen des Falls und seinen Auswirkungen auf den Betroffenen abhängig. Bei der Abgabe der Erklärung sollte man sich darüber im Klaren sein, dass man sich auf einen Zeitraum von 30 Jahren verpflichtet, das angegriffene Verhalten zu unterlassen. Handelt man dennoch schuldhaft der Erklärung zuwider, so ist die Vertragsstrafe fällig. Wer also etwa bei der Nutzung von Tauschbörsen erwischt wird und sich verpflichten soll, dort künftig keine Songs der Plattenfirma X anzubieten, für den sind die Auswirkungen und die Gefahr einer Wiederholung wohl gering. Ganz anders sieht es aus, wenn sich ein Unternehmen verpflichten soll, künftig nicht mehr das Produkt Y zu vertreiben, was bisher für 80 Prozent des Gesamtumsatzes gesorgt hat. Während im ersten Fall die Abgabe einer Unterlassungserklärung nicht weiter schmerzt, bleibt dem Unternehmen wohl nichts anderes übrig, als vor Gericht zu kämpfen.

Obwohl durchgängig von fast allen Anwälten praktiziert, gehört die Verpflichtung zur Übernahme von Anwaltskosten nicht in eine Unterlassungserklärung und kann guten Gewissens gestrichen werden. Gleiches gilt für Klauseln zur Festlegung eines Gerichtsstands für alle aus dem Fall resultierenden Verfahren. Anders kann es dagegen mit Auskunfts- oder Schadensersatzansprüchen aussehen, die bei Abmahnungen in einigen Rechtsgebieten, wie etwa dem Urheberrecht, üblich sind. Auch hier sollte im Zweifelsfall ein Anwalt konsultiert werden. Den neuralgischen Punkt vieler Abmahnungen stellen die von der Gegenseite geltend gemachten Anwaltskosten dar. Grundsätzlich sieht die Rechtsprechung vor, dass der Abgemahnte im Fall einer berechtigten Abmahnung die Anwaltskosten zu ersetzen hat. Dieser Anspruch wird in der Praxis aber häufig von den Beteiligten instrumentalisiert, um die Anwaltskosten regelrecht als Strafe für die Betroffenen auszugestalten. Die Höhe der Anwaltskosten ist abhängig von dem Gegenstandswert der Angelegenheit. Diese legt zunächst der Anwalt selbst fest. Im Zweifel kann man die Summe anfechten und durch ein Gericht überprüfen lassen. Summen zwischen 10 000 und 50 000 Euro sind durchaus üblich und werden von Richtern auch bei geringfügigen Rechtsverstößen im Online-Bereich regelmäßig bestätigt. Angemessen ist, wenn der Anwalt eine Geschäftsgebühr mit dem Faktor 1,3 nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) ansetzt. Bei einem Gegenstandswert von 25 000 Euro kommt man beispielsweise auf Anwaltskosten von insgesamt 1057 Euro, bei 50 000 Euro auf 1600 Euro. Dieser Wert kann sich aber im Einzelfall erhöhen, etwa wenn der abmahnende Anwalt mehrere Mandanten vertritt. Mahnen dagegen Verbände ab, können diese nur eine Pauschale geltend machen, die in der Regel um 200 Euro liegt. Ähnliches gilt für Abmahnungen, die von Privatpersonen oder Unternehmen direkt ausgesprochen werden. Sie dürfen allenfalls einen Aufwendungsersatz geltend machen. Eine Verpflichtung zum Ersatz der Anwaltskosten ist zumindest für die Fälle umstritten, in denen ein abmahnendes Unternehmen über eine eigene Rechtsabteilung verfügt oder ein Rechtsanwalt in eigener Sache abmahnt. Zwar hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass bei Abmahnungen in einfachen und durchschnittlich schwierigen Angelegenheiten in diesem Fall kein Anwaltshonorar erstattet werden muss. Jedoch ist die Rechtsprechung zu diesem Thema alles andere als einheitlich. So haben wiederholt Amtsgerichte etwa bei Abmahnungen der Musikindustrie oder von Premiere trotz vorhandener Rechtsabteilung der Pflicht zur Übernahme der Anwaltskosten durch den Abgemahnten zugestimmt. In der Praxis geben anwaltlich beratene Abgemahnte gerade bei fragwürdigen Abmahnungen oft zwar eine Unterlassungserklärung ab, verweigern jedoch der Gegenseite die Zahlung der Anwaltskosten. Durch die abgegebene Erklärung entfällt die Wiederholungsgefahr und somit das Damoklesschwert einer teuren Klage oder Verfügung. Um an die Anwaltskosten zu kommen, müsste sie der Abmahner vor Gericht separat einklagen. Dann aber bemisst sich der Gegenstandswert nicht nach den hohen Summen der Abmahnung, sondern lediglich konkret nach den geltend gemachten Anwaltskosten, also beispielsweise den 1057 Euro. Daher ist eine solche Klage zumindest für spezialisierte Anwälte nicht sonderlich attraktiv, zumal sie in aller Regel bei einem Amtsgericht am Wohnort des Abgemahnten eingereicht werden muss. Klagt der Abmahner die Anwaltskosten dennoch ein, so sind die Risiken für den Abgemahnten überschaubar. Bei Anwaltskosten in Höhe von 1057 Euro betragen die Kosten für ein solches Verfahren rund 435 Euro. Die Taktik, erst einmal die Kostenerstattung zu verweigern, ist aber nur bei Abmahnungen mit eher niedrigen Streitwerten empfehlenswert. Betragen die Anwaltskosten mehrere tausend Euro, wie etwa bei Abmahnungen der Musikindustrie regelmäßig der Fall, so empfiehlt es sich gerade für privat Betroffene eher, mit der Gegenseite über diese Summen zu verhandeln und sie entsprechend nach unten zu drücken.

Eine Abmahnung sollte man auf jeden Fall ernst nehmen. Die schlechteste Art zu reagieren ist daher Untätigkeit oder Nichtbeachten der Fristen. Während inhaltliche und formale Fehler meist unbeachtlich sind, bestehen bei der Gestaltung der Unterlassungserklärung oder der Frage nach der Übernahme der Anwaltskosten oft gewisse Gestaltungsspielräume. Gleiches gilt für den Fall, dass die Abmahnung offensichtlich ungerechtfertigt ist, sodass der Abgemahnte selbst in die Offensive gehen kann. In diesen Fällen sowie bei hohen Anwaltsrechnungen oder ernsthaften Folgen der abgegebenen Unterlassungserklärung empfiehlt es sich auf jeden Fall dringend, trotz entstehender Kosten einen spezialisierten Anwalt zu beauftragen. (hob)

Joerg Heidrich ist Justiziar des Heise Zeitschriften Verlags und Rechtsanwalt in Hannover. (map [1])


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