Jobs Vermächtnis

Das Geniale an Steve Jobs ist, dass er eine entscheidende Frage anders gestellt hat. Er fragte nicht "Was sind die Probleme meiner Kunden und wie kann ich sie lösen?", sondern er fragte "Wie kann ich das Leben der Menschen bereichern und verschönern?" Von dieser Frage sollte sich auch der IT-Handel inspirieren lassen.

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Von
  • Damian Sicking

Comline-Geschäftsführer und Apple-Experte Harald Rapp

(Bild: Comline)

Lieber Harald Rapp, Geschäftsführer des Apple-Distributors Comline,

was sagen Sie als Chef eines der bedeutendsten Apple-Distributors in Deutschland eigentlich zum Rücktritt von Steve Jobs? Würde mich mal interessieren.

Viele Menschen sagen ja, Steve Jobs sei nicht zu ersetzen. Sehen Sie das auch so? Immerhin heißt es ja, dass jeder Mensch ersetzbar sei. Aber die Frage lautet: Ist Jobs überhaupt noch ein Mensch? Oder ist er nicht tatsächlich schon ein höheres Wesen? Der "iGod"? Kann ja sein. So ein bisschen Jenseitiges hat er schon, wenn man ihn so sah bei seinen öffentlichen Auftritten. Und machen wir uns doch nichts vor: Apple ist ja auch keine normale Firma. Apple ist eine Religion. Eine Glaubensgemeinschaft. Oder? Ist doch so!

Es gibt in der Geschichte der Menschheit ja immer wieder solche Lichtgestalten wie Jobs, solche Übermenschen, nicht nur in der Wirtschaft. Goethe zum Beispiel, oder Franz Beckenbauer. Diese Menschen sind einfach nicht zu ersetzen, Rosamunde Pilcher hin, Rudi Völler her.

Lieber Herr Rapp, vor einiger Zeit hatte ich im Handelsblatt einen Artikel gelesen mit der Überschrift "Warum Sie Steve Jobs nicht überschätzen sollten" (ich bin an dieser Stelle in einem anderen Zusammenhang schon einmal darauf eingegangen). Darin wird eine Arbeit des norwegischen Wissenschaftlers Hans K. Hvide vorgestellt, der wissen wollte, was denn nun wirklich darüber entscheidet, ob ein Unternehmen erfolgreich ist oder nicht – der Chef oder die Geschäftsidee bzw. die Strategie. Diese Frage war bis dato weitgehend ungeklärt, auch wegen der methodischen Schwierigkeiten.

Was hat unser norwegische Wissenschaftler Hvide gemacht? Er untersuchte Start-up-Unternehmen, in denen der Gründer unerwartet gestorben ist. Seine Hypothese lautete: Wenn der Erfolg der Firma wesentlich von der Person des Gründers abhängt, dann müssen die Geschäfte nach dessen Tod spürbar schlechter laufen. Jetzt denkt man: Das kommt nicht oft vor, so viele Firmen gibt es nicht, in denen der Gründer stirbt. Irrtum! In 181 der von Hvide untersuchten Firmen starb der Unternehmer in den ersten Jahren der Selbstständigkeit, da waren die Firmen im Schnitt gut drei Jahre alt. Und jetzt wird´s interessant: Die meisten dieser Firmen haben das Ableben ihres Gründers mehr oder weniger unbeschadet überstanden. In ihrer Entwicklung zeigten die Unternehmen kaum Unterschiede zu Firmen, in denen der Gründer nicht gestorben war. Daher lautet das Fazit des norwegischen Wirtschaftswissenschaftlers Hvide: "Junge Firmen scheinen weit weniger von ihrem Gründer abhängig zu sein, als man gemeinhin erwarten würde."

Die entscheidende Phase, in der es auf die Unternehmerpersönlichkeit ankomme, liegt daher nach Angaben von Hvide bereits vor der Firmengründung und der Aufnahme der Geschäftstätigkeit, nämlich bei der Entwicklung der unternehmerischen Vision. Läuft der Laden erst einmal, sei der Mann oder die Frau an der Spitze von geringerer Bedeutung. Nicht ganz uninteressant, oder?

Nun werden Sie vielleicht sagen "Ja, Stopp! Das mag bei Firmengründungen so sein, aber bei Unternehmen, die schon lange bestehen wie zum Beispiel Apple oder Comline, sieht die Sache anders aus." Nein, lieber Herr Rapp, sieht sie nicht. In dem sehr lesenswerten Buch "Der Halo Effekt. Wie Manager sich täuschen lassen" von Phil Rosenzweig fand ich den Hinweis auf einen Artikel der amerikanischen Wissenschaftlerinnen Marianne Bertrand und Antoinette Schoar, der sich unter anderem mit dieser Frage befasst. Die beiden Wissenschaftlerinnen wollten wissen, in wie weit die Unternehmensleistung vom persönlichen Führungsstil des Chefs abhängt. Wobei sie unter "Führungsstil" nicht den Umgang der Chefs mit ihren Mitarbeitern verstehen, sondern die Entscheidungen der Firmenchefs und wie diese sich auf die Unternehmensleistung ausgewirkt haben. Die Antwort der beiden Wissenschaftlerinnen: Vier Prozent! Vier Prozent der Leistung eines Unternehmens hängt vom Vorsitzenden ab. Nur vier Prozent! Wenig, nicht wahr? (Lassen Sie das bloß nicht den DGB-Vorsitzenden Michael Sommer oder Verdi-Chef Frank Bsirske hören, die nölen dann in den Talkshows wieder rum: "Wie kann es sein, dass die Bosse ein 20-fach höheres Gehalt als der Durchschnittsmitarbeiter bekommen, wenn ihr Anteil am Unternehmenserfolg magere vier Prozent beträgt?! Ich frage Sie: Wie kann das sein??!" Solche Fragen stellen die doch! Vielleicht ja nicht ganz zu Unrecht. Übrigens wenn Sie mich fragen: In manchen Firmen liegt der Anteil des Chefs am Firmenerfolg statt bei vier Prozent eher bei minus vier Prozent. Der Laden läuft einfach besser, wenn der Chef nicht da ist.)

Ob diese vier Prozent Chef-Anteil am Erfolg auch für Steve Jobs gelten? Da möchte ich doch ein Fragezeichen hinter machen. Naja, vermutlich gilt das nur für Normalos wie, naja, unsereiner halt.

Steve Jobs ist, wie gesagt, eine Ausnahmeerscheinung, eine Lichtgestalt, ein Genie. Und das Geniale, das Jobs gemacht hat, besteht nach meiner unmaßgeblichen Meinung darin, dass er eine entscheidende Frage anders gestellt hat. Normalerweise fragen Unternehmer und Strategen ja immer: "Was sind die Probleme unserer Zielkunden und wie können wir ihnen helfen, sie zu lösen?" Heraus kommt dann immer ein Zahnarzt. Also die Positionierung eines Unternehmens als Zahnarzt. Lassen Sie mich das kurz erläutern.

Der Zahnarzt hat ja seine Existenzberechtigung im Zahnschmerz seiner Patienten. Gäbe es den Zahnschmerz nicht, gäbe es auch den Zahnarzt nicht. Sie gehen doch auch immer nur zum Zahnarzt, wenn Sie Schmerzen haben, lieber Herr Rapp, und das Beste, was Sie nach der Behandlung durch den Zahnarzt haben, ist: keine Schmerzen mehr. Die Leistung des Zahnarztes erschöpft sich also darin, ein Problem, ein Defizit zu beseitigen. Was Sie beim Zahnarzt aber nie bekommen, ist eine Bereicherung oder eine Verschönerung Ihres Lebens. Und die meisten IT-Händler und auch Hersteller treten genauso auf, als Problemlöser. So. Und jetzt frage ich Sie: Was, wenn die Kunden gar keine Probleme haben? Oder wenn sie meinen, keine zu haben? Dann sitzen diese Händler und Hersteller genauso in ihren eigenen Wartezimmern wie der Zahnarzt, wenn seine Patienten keine Zahnschmerzen haben.

Steve Jobs hat die Frage radikal anders gestellt. Er hat gefragt: "Wie können wir das Leben der Menschen bereichern, verbessern, verschönern?" Er hat sich also gar nicht mit den Problemen der Menschen befasst, sondern er steht sozusagen in der Tradition der altgriechischen Philosophie. Die hat gefragt: "Wie kann gutes Leben gelingen? Was brauchen wir für unser Glück?" Eine viel erfolgreichere Strategie, wenn Sie mich fragen, denn wie wir wissen, brauchen wir immer mehr, um glücklich und zufrieden zu sein. Probleme sind irgendwann gelöst. Aber unsere Wünsche enden nie. "Die Bedürfnisse wachsen im Quadrat ihrer Erfüllung", lautet ein wahres Wort.

Und diese Sache, lieber Herr Rapp, diese Zahnarzt-Positionierung bzw. die Vermeidung derselben, das ist etwas, was auch ein IT-Händler oder ein Systemhaus von Steve Jobs lernen kann. Meine Empfehlung an die Händler lautet: Gehen Sie nicht mit der Aussage nach draußen "Wir lösen Ihre IT-Probleme". Sondern versprechen Sie Ihren Kunden ein besseres Leben, überspitzt gesagt. Konkret kann das beispielsweise so aussehen: "Wir sorgen dafür, dass Sie nachts besser schlafen" (wenn der Händler IT-Sicherheit anbietet). Oder "Wir verhelfen Ihnen zu einem Porsche Panamera" (zum Beispiel durch IT-basierte Kosteneinsparungen oder ein neues leistungsstarkes CRM-System).

Ich denke, genau das ist Jobs Vermächtnis an den IT-Handel: Verkauft euch nicht als Problemlöser, sondern als Weltverbesserer und Lebensverschönerer – dann wird auch euer Leben reicher, und zwar in jeder Hinsicht.

Beste Grüße!

Damian Sicking

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