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Steuerprüfung digital

Matthias Parbel

Der Bundesfinanzhof, hat sich mit der Frage befasst, was die Finanzämter im Rahmen einer Prüfung elektronischer Unterlagen beachten müssen. Auch die Steuerfahndung und die Staatsanwaltschaft dürfen nicht ohne Weiteres Unterlagen beschlagnahmen.

Der Übergang zur EDV in vielen Firmen ließ die Finanzverwaltung nicht unbeeindruckt: Hatte man sich früher in verstaubten Regalen auf die Suche nach verborgenen Dokumenten aufgemacht oder in Mikroverfilmungen mühsam geforscht, lockte nun die EDV-Anlage mit ihren interessanten Daten.

Doch Betriebsprüfer durften zunächst nicht direkt auf die Anlage und ihre Auswertungsmöglichkeiten Zugriff nehmen. Das Gesetz beschränkte ihre Möglichkeiten auf Stichproben und Systemprüfungen. Schließlich hat aber der Gesetzgeber sein Ohr den behördlichen Begehrlichkeiten geöffnet und im Steuerrecht den Paragrafen 147 Absatz 6 [1] der Abgabenordnung [2] verankert. Seither darf die Steuerverwaltung im Rahmen einer "Außenprüfung" (gemeint sind hier die klassische Betriebsprüfung, die Lohnsteuer-, die Umsatzsteueraußenprüfung sowie die Investitionszulagen-Sonderprüfung) nach eigenem Ermessen direkt in die EDV-Anlage Einblick nehmen. Das gilt allerdings nur, wenn die Unterlagen bereits digital vorliegen. Niemand ist verpflichtet, seine papierenen Unterlagen zur vereinfachten Bearbeitung und besseren Auswertung zu digitalisieren.

Auseinandersetzungen waren vorgezeichnet. So hatte ein Betriebsprüfer eine Genossenschaftsbank aufgefordert, die Sachkonten für das Kalenderjahr 2002 sowie weitere Daten auf einem maschinenlesbaren Datenträger vorzulegen. Die Bank wehrte sich gegen dieses Ansinnen. Sie machte geltend, dass der Prüfer im Zusammenhang mit den Zinsaufwendungen der Bank die Gegenbuchungen auf den Kundenkonten einsehen und dann in einem zweiten Schritt die Zinseinnahmen der Kunden lückenlos überprüfen könnte.

Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz teilte diese Bedenken der Bank nicht [1]. Es stellte klar, dass Gegenstand einer Außenprüfung die Buchführung in ihrer Gesamtheit sei und nicht das, was ein Unternehmen bereit sei, dem Prüfer vorzulegen. Auch soweit sich die Bank gegen mögliche Rückschlüsse auf durch das Bankgeheimnis geschützte Kundendaten wandte, hatte sie keinen Erfolg. Das Gericht belehrte sie, dass es ihre Aufgabe sei, die Datenbestände so zu organisieren, dass bei einem zulässigen Einblick in ihre Datenbestände keine sonstigen Erkenntnisse gewonnen werden könnten. Die Bank hätte das System der Speicherung ihrer Kontendaten so anpassen müssen, dass die vorzulegenden Datensätze keinen Rückschluss auf die Stammnummer eines Kunden zuließen. Sie musste sich attestieren lassen, sie habe ihre "Hausaufgaben" nicht gemacht.

Seither ist die Frage der Organisation des Datenbestandes ins Bewusstsein der EDV-Verantwortlichen gerückt. Will man dem Staat keinen Einblick in bestimmte Bereiche und Unterlagen gewähren, muss man diese Daten getrennt von den steuerrelevanten Unterlagen (§ 147, Abs. 1 AO) im EDV-System vorhalten. Diese Frage lässt sich aber auch anders formulieren: Was darf ich den staatlichen Behörden, insbesondere dem Finanzamt, an Daten vorenthalten?

Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat in einer anderen Entscheidung geurteilt, dass ein Steuerzahler zunächst zwar selbst darüber befinden könne, was er dem Außenprüfer vorlegt (Erstqualifikationsrecht). Ganz im freien Belieben stehe aber nicht, was jemand dem Finanzamt zeigt und was nicht: Offenbart werden müsse schon, was steuerlich relevant sei [2].

Im Gegenzug urteilte das Finanzgericht Hamburg, dass ein Steuerberater dem Außenprüfer nur die Daten überlassen müsse, für die eine gesetzliche Pflicht zur Aufzeichnung bestehe [3]. Der Steuerberater hatte Sachkonten geführt, die er aus steuerlichen Gründen nicht hätte führen müssen. Das Urteil betrifft die sehr umstrittene Frage, ob ein Betroffener im Rahmen einer Außenprüfung auch solche Aufzeichnungen und Unterlagen vorlegen muss, die er aus freien Stücken oder aus anderen, nichtsteuerlichen Gründen, zum Beispiel zur betriebswirtschaftlichen Auswertung, angefertigt hat.

Das höchste deutsche Steuergericht, der Bundesfinanzhof, war erstmals im Rahmen von Eilverfahren mit Fragen des digitalen Datenzugriffs befasst [4]. Ein Unternehmen hatte seine Rechnungen eingescannt, in das firmeneigene EDV-System übernommen und die Originalrechnungen vernichtet. Im Rahmen einer Betriebsprüfung wollte es dem Prüfer jedoch keinen Einblick in die digitalisierten Unterlagen bieten. Stattdessen bot es an, die Rechnungen für eine Überprüfung wieder auszudrucken. Der Bundesfinanzhof widersprach. Das Unternehmen müsse dem Prüfer gestatten, die eingescannten Rechnungen am Computerbildschirm selbst anzusehen. Es könne diese Verpflichtung nicht durch eine Ersatzmaßnahme wie das Ausdrucken der Rechnungen abwenden. Vielmehr sei es so, dass es darüber hinaus nach dem Gesetz (§ 147, Abs. 5, Halbsatz 2 AO) dazu verpflichtet sei, zusätzlich Unterlagen auszudrucken, wenn der Prüfer dies verlange.

Eine deutliche Position nahm der Bundesfinanzhof auch zu der Frage ein, ob ein Unternehmer einzelne Konten sperren und so vor dem Zugriff eines Prüfers verbergen darf. Dem Rechtsstreit war eine Auseinandersetzung darüber vorausgegangen, ob Konten der Finanzbuchhaltung (hier: Drohverlustrückstellungen) überhaupt steuerliche Relevanz besäßen und ein Vertreter der Finanzverwaltung daher Einblick nehmen dürfte.

Auch hier verwies der Bundesfinanzhof den Kläger auf die Plätze. Mit der Aufbewahrungspflicht korrespondiere auch die Pflicht zur Vorlage. Würden die Unterlagen oder Konten elektronisch vorgehalten, müsse der Finanzverwaltung Einblick gewährt werden. Dies betreffe auch die Finanzbuchhaltung.

Gefolgt ist das Gericht auch nicht dem Hinweis des Klägers, die enthaltenen Daten dürfte er dem Zugriff des Staates vorenthalten, weil sie höchstens zu einer Steuerverminderung führen könnten. Der Bundesfinanzhof stellte klar, dass es nicht im Belieben eines Steuerpflichtigen stehe, den Zweck einer Außenprüfung, die Steuern "richtig" zu ermitteln, durch einzelne Maßnahmen zu torpedieren. Der Zugriff auf die EDV-Anlage beschränke sich nicht auf Daten, die steuererhöhend wirken könnten. Eine Option zur Wahl einer Höchststeuer gebe es nicht.

Der Bundesfinanzhof entschied darüber hinaus auf einem weiteren Streitfeld. Er stellte fest, dass es nicht unverhältnismäßig sei, wenn ein Betriebsprüfer Einblick in gesperrte Konten einer Finanzbuchhaltung verlange, obwohl er die begehrten Informationen auch durch indirekte Kontrollverfahren (Gegenkonten- und Belegnummernanalyse) erlangen könnte.

Im Klartext bedeutet dies, dass der Prüfer nicht auf umständliche und zeitaufwendige Prüfverfahren verwiesen werden kann, um die Daten im EDV-System mühsam zu ermitteln. Das hatte das Finanzgericht Rheinland-Pfalz noch ganz anders gesehen [2]. Vorgezeichnet sind künftige Streitigkeiten, ob die elektronisch gespeicherten Daten für die Steuerverwaltung relevant sind und daher ein Zugriff auf die Unterlagen gewährt werden muss. Heftig gestritten wird hier insbesondere in den Fällen, in denen freiwillig Kalkulationen erstellt und Listen geführt werden. Die Finanzverwaltung jedenfalls beansprucht für sich einen Überblick über die im DV-System insgesamt vorhandenen Informationen nebst Reports und Tabellen [5].

Anders als die Betriebsprüfer ermitteln Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft nicht nur, ob Steuern richtig verbucht und gezahlt worden sind. Sie haben insbesondere die Aufgabe, steuerstrafrechtlichen Vergehen nachzugehen und sie aufzudecken.

Gegen einen Rechtsanwalt, der mit weiteren Anwälten in einer Sozietät zusammen Mandanten beriet, hegte die Staatsanwaltschaft den Verdacht, dass er seinen Mandanten den Weg aufzeigte, Gelder ins Ausland "abzuzweigen". Daher durchsuchten die Ermittler die Kanzleiräume und nahmen drei Computer, Datensicherungsbänder und weitere Datensicherungsmedien aus den Kanzleiräumen mit. Die Beschwerde der Kanzlei gegen den Durchsuchungsbeschluss blieb erfolglos, sodass die Anwaltskanzlei das Bundesverfassungsgericht mit dem Fall bemühte [6].

Die obersten Bundesrichter entschieden, dass die Beschlagnahme des gesamten Datenbestandes einer Kanzlei das Recht auf die informationelle Selbstbestimmung verletzte (Artikel 2, Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 1, Absatz 1) und – zumal in einer Anwaltskanzlei – nur unter eingeschränkten Voraussetzungen zulässig sei. Zwar ermöglichten die Paragrafen 94 ff. StPO die Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und der hierauf gespeicherten Daten. Ein undifferenzierter "Rundumschlag" sei aber nicht zulässig. Die Durchsuchung und anschließende Beschlagnahme von Computern nebst Datenträgern seien nur in Hinblick auf eine zu ermittelnde Straftat zulässig. Die sich an die Beschlagnahme anschließende Datenauswertung sei auch nur auf den Zweck des Strafverfahrens beschränkt.

Die Strafverfolgungsbehörden hätten insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Danach sei eine Durchsuchung zu unterlassen, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stünden oder die Durchsuchung/Beschlagnahme von Unterlagen in keinem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachts stehe.

Die Strafermittlungsbehörden dürfen auch nicht "alles, was ihr Herz begehrt" beschlagnahmen. Sind Datenträger erkennbar für die Ermittlungsarbeit nicht relevant, sind sie nicht mitzunehmen oder zeitnah zurückzugeben. Gleiches gilt für die Aufbewahrung des gesamten Datenbestandes. Kann man die notwendigen Beweise auf andere Weise sichern oder benötigt man nur einen Teil der Datenträger, sind die Computer oder Sicherungsmedien an den Durchsuchten herauszugeben. Dies kann auch nach Kopieren von relevanten Daten erfolgen.

Nicht erforderliche Daten sind auf den Computern der Ermittlungsbehörde zu löschen. Verstöße gegen diese Pflichten können zu dem Verbot führen, von den Ermittlungsergebnissen Gebrauch zu machen (Beweisverwertungsverbot). Gespeicherte Daten sind ferner zu löschen, wenn das Verfahren, für das die Daten aufbewahrt wurden, beendet ist (§ 489, Absatz 2, Satz 2, StPO [3]).

Kommt die Staatsanwaltschaft nach dem Ende eines strafrechtlichen Verfahrens einem Antrag auf Löschen der bei ihr gespeicherten Daten nicht nach, kann gegen die ablehnende Entscheidung ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach den Paragrafen 23 ff. des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG – als PDF [4]) beim Oberlandesgericht gestellt werden. Wenn der Betroffene die beschlagnahmten Datenträger zurückverlangt, wird teilweise vertreten, dass für diesen Herausgabeanspruch das Amtsgericht der Strafgerichtsbarkeit (§ 98, Absatz 2, Satz 2 StPO) oder die Zivilgerichte zuständig sind. Hier gilt es, bei dem avisierten Gericht dessen Ansicht zur Zuständigkeit nachzufragen. (fm)

Der mit Wirkung zum 1. Januar 2002 eingeführte Paragraf 147 Abs. 6 Abgabenordnung (AO) gestattet die folgende Vorgehensweisen der Außenprüfung. Nur-Lese-Zugriff (§ 147 Abs. 6 Satz 1 AO [5] – auch als Z1-Zugriff bezeichnet): Hier kann der Prüfer direkt Einsicht in die EDV-Anlage nehmen. Er darf die Computeranlage nutzen und ihre Möglichkeiten ausschöpfen. Die Daten dürfen gelesen, gefiltert und sortiert werden. Eigene Analyseprogramme darf er nicht installieren. Er muss jedoch so in die Funktionsweise des EDV-Systems eingeführt werden, dass er in der Lage ist, es zu bedienen und auf alle steuerrelevanten Daten Zugriff zu nehmen. Mittelbarer Datenzugriff (§ 147 Abs. 6 Satz 2 Fall 1 AO, Z2-Zugriff): Hier darf die Verwaltung verlangen, dass der Geprüfte oder ein von ihm Beauftragter die vorhandenen elektronisch gespeicherten Daten nach ihren Vorgaben maschinell auswertet. Die Vorgehensweise entspricht also dem Nur-Lese-Zugriff, nur dass hier die Auswertung nicht durch den Prüfer, sondern den Geprüften vorzunehmen und das Ergebnis dem Finanzamt zur Verfügung zu stellen ist. Datenträgerüberlassung (§ 147 Abs. 6 Satz 2 Fall 2 AO, Z3-Zugriff): Hier kann die Finanzbehörde verlangen, dass ihr die gespeicherten Informationen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger (wie einer DVD oder CD-ROM) zur Verfügung gestellt werden. Nur bei dieser – übrigens am häufigsten angewendeten – Art der Prüfung darf die Finanzverwaltung eigene Auswertungs- und Analyseprogramme einsetzen. Bundeseinheitlich kommt hier die Prüfsoftware IDEA zum Einsatz. Welches Vorgehen das Finanzamt wählt, liegt in seinem Ermessen. Das heißt aber nicht, dass es nach eigenem Gutdünken vorgehen kann. Der Prüfer muss entscheiden, ob er eine "konventionelle" Prüfung durchführt oder sich für eine der dargestellten Formen des Datenzugriffes entscheidet. Dabei sind immer die Belange des Bürgers oder Unternehmens zu beachten. "Strafprüfungen" und überzogene oder sachfremde Auskunftsverlangen sind unzulässig. Ob der Prüfer sein Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat, ist gerichtlich überprüfbar. Das Bundesministerium für Finanzen veröffentlicht ein Merkblatt "Frage- und Antwortkatalog zum Datenzugriffsrecht" (PDF [6]).

[1] Urteil des 4. Senats des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Januar 2005, 4 K 216704, Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 667; AO-Steuerberater 2005, 222

[2] FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. Juni 2006, 1 K 1743/05, EFG 2006, 1634; Weigel, AO-Steuerberater 2007, 6-7; die (zugelassene) Revision gegen dieses Urteil hat die Finanzverwaltung zurückgenommen

[3] FG Hamburg, Urteil vom 13. November 2006, 2 K 198/05; Revision vor dem BFH XI R 49/06

[4] Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 26. September 2007 I B 53, 54/07 [7], Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH/NV) 2008, 133

[5] vgl. Fragen und Antworten zum Datenzugriff der Finanzverwaltung (PDF [8])

[6] Beschluss des BVerfG vom 12. April 2005, 2 BvR 1027/02, Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 2006,029 (map [9])


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[1] http://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/__147.html
[2] http://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/index.html
[3] http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__489.html
[4] http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/gvgeg/gesamt.pdf
[5] http://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/__147.html
[6] http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_53848/sid_1C5D94CA86D42461A5455DF15C59829A/DE/BMF__Startseite/Service/Downloads/Abt__IV/009,property%3DpublicationFile.pdf
[7] http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bfh&Art=en&sid=38d1dc680611e7b7e4f285802aface40&nr=13215&pos=0&anz=1
[8] http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_53848/sid_1C5D94CA86D42461A5455DF15C59829A/DE/BMF__Startseite/Service/Downloads/Abt__IV/009,property%3DpublicationFile.pdf
[9] mailto:map@ix.de