c't 5/2020
S. 16
Titel
DNA-Analyse

Jagd auf ­intimsten ­Datenpool

Datensammler entdecken die DNA ihrer Kunden als Kapital

Eine DNA-Analyse ist leicht bestellt und kostet nur kleines Geld. Die Ergebnisse aus US-Laboren sollen dem Kunden mehr über sich selbst verraten – sie dienen aber zugleich der Forschung, der Pharmaindustrie und Ermittlungsbehörden.

Von Arne Grävemeyer

So verlockend preisgünstig sind DNA-Analysen noch nie gewesen. 59 Euro kostet aktuell ein einfacher Test auf den konkurrierenden Ahnenforschungsplattformen Ancestry.de und MyHeritage.de. Mit den Analyseergebnissen versprechen die Anbieter eine Herkunftsanalyse und sogar die Identifizierung von Blutsverwandten. Das ist möglich, da sie in den vergangenen Jahren große Bestände an DNA-Rohdaten gesammelt haben.

Ancestry wirbt beispielsweise mit über 15 Millionen Kunden. Das Unternehmen startete seine DNA-Tests bereits 2012 in den USA und weitete das Angebot bis 2016 international aus. Eine umfangreiche Datenbank verspricht eine hohe Trefferzahl bei der Suche nach Verwandten. Derzeit lebt der größte Teil der Ancestry-Kunden in Nordamerika, wodurch regelmäßig auch für deutsche Nutzer überproportional viele entfernte Verwandte aus dieser Region gefunden werden.

MyHeritage verwaltet nach eigener Aussage einen Pool von immerhin 3,8 Millionen Kunden, eingesammelt seit der Einführung der DNA-Analysen im November 2016. Auch MyHeritage findet seine Kunden überwiegend in Nordamerika, bezeichnet sich aber mit über 2,1 Millionen Nutzern allein in Deutschland als Marktführer in Europa. Es ist allerdings schwierig einzuschätzen, wie viele DNA-Analysen aus Europa mittlerweile bei MyHeritage gespeichert sind. Die meisten der genannten Nutzer pflegen zunächst nur die Daten ihres Familienstammbaums auf der Online-Plattform und tauschen darüber Familienneuigkeiten mit Angehörigen aus.

DNA auf unbestimmte Zeit eingelagert

Wer sich bei der Bestellung eines DNA-Testkits in die Datenschutzvereinbarungen vertieft, der erkennt, dass er mit der Abgabe seiner DNA-Probe auch weitreichende Rechte abtritt (siehe auch S. 20). So kündigen sowohl Ancestry als auch MyHeritage an, die DNA-Probe nach der Laboranalyse nicht etwa zu zerstören, sondern dauerhaft zu lagern. Mit der Übermittlung der Probe gibt der Kunde beispielsweise MyHeritage die Erlaubnis, „genetische Analysen mit heute verfügbaren DNA-Methoden und solchen, die in der Zukunft entwickelt werden, auszuführen“. Nochmalige DNA-Analysen in der Zukunft werden explizit nicht ausgeschlossen. Das ist nicht nur nachteilig, denn spätere Tests lassen umfangreichere Ergebnisse erwarten. Der Kunde gibt aber die Kontrolle aus der Hand.

So billig wie noch nie: Als ­Aktionspreis locken Ahnenforschungsplattformen mit DNA-Analysen schon für ­59 Euro.
So billig wie noch nie: Als ­Aktionspreis locken Ahnenforschungsplattformen mit DNA-Analysen schon für ­59 Euro.

Darüber hinaus leitet das Unternehmen die Analyseergebnisse an Forschungseinrichtungen weiter. Auf der anderen Seite räumt es dem Kunden „keine Rechte an der Forschung oder irgendwelchen kommerziellen Produkten ein“, die noch entwickelt werden könnten und sich auf seine DNA beziehen. Wenigstens kann der Kunde nachträglich die Vernichtung seiner DNA-Probe verlangen. Er ist auch nicht gezwungen, seine Analyseergebnisse für die Forschung freizugeben.

Ganz ähnlich regelt Ancestry den Datenschutz. Die abgegebene Speichelprobe wird bis auf Weiteres für künftige Analysen gelagert. Auch Ancestry stellt DNA-Analyseergebnisse einzelnen Forschungsprojekten zur Verfügung und bittet dafür um die Einwilligung des Nutzers. Das Unternehmen nutzt die DNA selbst für wesentlich mehr als nur zur Suche ­von Verwandtschaftsbeziehungen: „Ihre DNA-Daten werden auch verwendet, um andere Angaben über Sie zu erstellen, wie ... Haardicke und Augenfarbe oder Merkmale, die mit Ihrer Gesundheit und Ihrem Wohlbefinden verbunden sind.“ Und wer sich etwa per Facebook anmeldet, dessen öffentliche Profilinformationen sammelt Ancestry ebenfalls ein (laut Datenschutzerklärung vom 25. Juli 2019).

Künftig Probleme mit Versicherern?

Redakteure der c’t haben die DNA-Analyse bei MyHeritage und bei Ancestry ausprobiert, allerdings unter falschen Namen (siehe S. 24). Dass in der DNA des Menschen viel mehr Potenzial steckt als nur etwas Unterstützung beim Aufbau eines Familienstammbaums, wird dem Besteller klar, wenn er die „Patienteninformation und Einwilligungserklärung“ von Ancestry liest. Zu den Risiken gehört nämlich nicht nur, dass der Kunde unerwartete Verwandtschaftsverhältnisse entdeckt und so seinen Familienfrieden gefährdet. Es bestehe auch ein Risiko, dass die Analysedaten aufgrund eines Fehlers an die Öffentlichkeit gelangen. „Dies könnte negative Auswirkungen darauf haben, einen bestimmten Versicherungsschutz zu erlangen, oder Ihre Daten könnten von Strafverfolgungsbehörden verwendet werden, um Sie zu identifizieren.“

Versicherer dürfte das Feld der Erbkrankheiten interessieren, auf dem Forscher regelmäßig neue Zusammenhänge entdecken. Dass ein erhöhtes Risiko für schwerwiegende Erkrankungen den Versicherungsschutz verteuern könnte, kann man sich leicht ausmalen. Und das gilt im Zweifel nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für seine Eltern, seine Kinder und Kindeskinder. Die Gefährdung durch eine DNA-Analyse heute ist damit für die Zukunft gar nicht abzuschätzen.

Das Potenzial der DNA-Datenbanken für Strafermittler belegte der Fall des sogenannten Golden-State-Killers im Jahr 2018. Um einen Serienmörder nach über 30 Jahren zu überführen, nutzten die Beamten DNA-Spuren vom Tatort, legten Profile bei Ahnenforschungsplattformen an und fanden in deren Datenbanken ähnliche Erbgutprofile. Im familiären Umfeld der zugehörigen Kunden entdeckten die Ermittler schließlich den später Verurteilten.

Seit November 2019 erlaubt ein Erlass des US-Justizministeriums dieses Vorgehen bei Gewaltverbrechen offiziell, wenn auch nicht mehr heimlich. Ancestry und MyHeritage verkündeten daraufhin, dass sie ihre Zusammenarbeit mit den Behörden verweigern, solange kein Gerichtsbeschluss vorliege. Letztlich müssen sie sich aber der herrschenden Rechtslage in den USA beugen.

Geldquelle Forschung

Man darf vermuten, dass die Betreiber der Ahnenforschungsplattformen nicht nur mit Verwandtschaftsanalysen Geld verdienen. Beispielsweise hat Google bereits 2007 für mehrere Millionen US-Dollar erhebliche Anteile an 23andMe gekauft, ein dritter großer US-Anbieter und Mitbewerber von Ancestry und MyHeritage. 2018 schloss 23andme mit dem Pharmakonzern GlaxoSmithKline einen Vertrag über sagenhafte 300 Millionen US-Dollar ab. Damit sicherte sich der Konzern nach eigenen Angaben Zugriff auf 5 Millionen DNA-Analysedaten, die der Ahnenforschungsdienstleister bis dahin zusammengetragen hatte. Man wolle mit den genetischen Daten Krankheitsverläufe besser verstehen und Präzisionsmedikamente entwickeln. Zudem helfe die Datenbasis, Patientengruppen zu erkennen, die sich in Bezug auf Erkrankungen unterscheiden, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. 80 Prozent der 23andme-Kunden hatten demnach zu der Zeit ihre Analyseergebnisse für Forschungszwecke freigegeben.

Erst im vergangenen Januar hat 23andme die Rechte an einem neuentwickelten Medikament gegen Entzündungen an das spanische Pharmaunternehmen Almirall verkauft. Zum Preis äußerten sich die Geschäftspartner nicht. Experten erwarten bald weitere Deals dieser Art.

Mit 27 Umfragen drängt MyHeritage ihre DNA-Analyse-Kunden dazu, für die Gen­forschung intime ­persönliche und ­gesundheitliche Details zu verraten.
Mit 27 Umfragen drängt MyHeritage ihre DNA-Analyse-Kunden dazu, für die Gen­forschung intime ­persönliche und ­gesundheitliche Details zu verraten.

Ancestry antwortete uns auf Anfrage, dass das Unternehmen derzeit lediglich eine wissenschaftliche Kooperation mit der Universität Utah unterhalte. So wollen die Partner die Zusammenhänge von Genen und menschlichen Erscheinungsmerkmalen erforschen. Die Kooperation habe einen rein akademischen Hintergrund und es gebe keinerlei finanzielle Gegenleistungen.

Bis vor Kurzem bestand eine weitere Forschungskooperation mit der Google-Tochter Calico Life Sciences. Deren Thema war die Erforschung genetischer Faktoren für die Lebensdauer, beziehungsweise wie Menschen, die es sich leisten können, ihre Lebenszeit verlängern können. Aus welchen Gründen Ancestry diese Zusammenarbeit vor Kurzem beendete, verriet das Unternehmen nicht. Allerdings wird man auch dort mit Sorgen sehen, dass Mitbewerber 23andme nach Aussage der Unternehmensgründerin und Chefin Anne Wojcicki in den USA zunehmend auf Datenschutzbedenken bei den Kunden stößt.

MyHeritage antwortete auf unsere Anfrage zu Forschungskooperationen und Einnahmen aus diesem Bereich bis zum Redaktionsschluss nicht.

Eine klare Haltung zu diesem Thema nimmt allerdings das Schweizer Unternehmen iGenea ein. „Wir bitten unsere Kunden um keine Einwilligung, an Forschung teilzunehmen“, sagt uns der Jurist Roman Scholz. Das Unternehmen bietet DNA-Analysen und persönliche Beratung, sucht aber laut Scholz nicht nach Nebeneinkünften außerhalb dieses Geschäftsmodells. Er fragt provokant: „Ist den Kunden wirklich bewusst, wozu sie da einwilligen, wenn sie ihre DNA für künftige Forschungsprojekte freigeben?“ Das sei ja kaum zu glauben.

Anonymität muss man wollen

Dass DNA-Analyseergebnisse bei Dienstleistern personalisiert vorliegen, ist für Dominique Schröder, Professor für Informatik und angewandte Kryptografie eine Überraschung. „Sicherlich könnte man den Prozess der Abgabe und Analyse von DNA-Proben anonymer gestalten.“ Nach der Auffassung des Experten wäre zunächst die Handhabung der DNA-Probe von der restlichen Dienstleistung der Ethnizitätsschätzung und der Entdeckung von Verwandtschaftsbeziehungen zu trennen.

Die Laboranalyse und die Ahnenforschung sollten laut Schröder also in verschiedenen Händen liegen. Zudem sollte das analysierende Institut im Sinne einer anzustrebenden Datenarmut lediglich die für die Dienstleistungen benötigten Genvarianten an eine Trusted Party über­mitteln und nicht mehr. Die sollte dann die Verknüpfung von persönlichen und DNA-Daten ermöglichen. Eine solche Lösung wäre ganz entscheidend abhängig vom Vertrauen, das die Trusted Party bei den Kunden tatsächlich genießt.

Generell ist Datenarmut deswegen anzustreben, weil in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte bei der Genom­sequenzierung gelangen und weitere für die Zukunft zu erwarten sind (siehe S. 30). Welche Genvariante irgendwann einmal als Ursache für bestimmte Erkrankungen oder Eigenschaften identifiziert werden kann, ist heute überhaupt nicht abzusehen.

„Werde Teil von etwas Bedeutendem“: Mit Forschung an den DNA-Analyse­ergebnissen seiner Kunden verdient 23andme viel Geld.
„Werde Teil von etwas Bedeutendem“: Mit Forschung an den DNA-Analyse­ergebnissen seiner Kunden verdient 23andme viel Geld.

Als „elegant“ würde Schröder einen Prozess bezeichnen, bei dem das analysierende Institut die relevanten Analyse­ergebnisse lediglich in einer verschlüsselten Form übermittelt. Die eigentliche DNA-­Probe und die Ergebnisse der Gesamtanalyse werden anschließend vollständig beseitigt. Die verschlüsselte Form sollte dann nur einen Zweck erfüllen: die Gleichheit beziehungsweise die verwandtschaftliche Nähe zu anderen verschlüsselten DNA-Analyseergebnissen berechnen zu lassen. Allein damit wäre der Analysezweck in der Ahnenforschung erfüllt. Vergleichbare kryptografische Protokolle zu entwickeln ist das tägliche Brot von Professor Schröder. „Das dürfte nicht so schwierig sein“, schätzt er. Die große Frage ist nur, ob die Ahnenforschungsplattformen in den USA an einem derart datenschutzkonformen Prozess überhaupt interessiert sind.

Umfragen ohne Tabus

Die sind derzeit ohnehin in einer anderen Richtung unterwegs. Nicht nur bitten sie die Kunden bei der Abgabe ihrer DNA-Proben darum, ihre personalisierten Analyseergebnisse für diverse Forschungsprojekte freizugeben. Darüber hinaus lädt beispielsweise MyHeritage ihre Kunden zur Teilnahme an Umfragen ein, um „gemeinsam genetische Entdeckungen zu machen“. Dazu zählt etwa eine demografische Umfrage über die Zusammenhänge zwischen Erbgut und menschlichen Eigenschaften. Eine Gesichtszüge-Umfrage soll Verbindungen zwischen genetischen Faktoren und Gesichtsmerkmalen offenbaren. Der Zeitaufwand beträgt jeweils nur drei bis fünf Minuten, schon sind die persönlichen Angaben verschickt.

Ancestry beschreibt zwar in ihren Datenschutzbestimmungen auch Umfragen, bietet diese ihren Kunden in Europa derzeit allerdings nicht an. In den USA werden mit der Umfrage AncestryDNAHealth durchaus Gesundheitsdaten bei den Interessenten der DNA-Analyse abgefragt.

Auch MyHeritage beschränkt sich nicht auf die Abfrage von Äußerlichkeiten. Einige weitere Umfragen erfassen die persönliche Gesundheit und eine sogar die „Familiengesundheit“. Die Kunden werden also ganz offen abgefragt, ob sie der Arzt beispielsweise schon einmal vor einem Herzinfarkt gewarnt hat oder ob unter den Geschwistern Bluthochdruck, Diabetes oder Alzheimer aufgetreten ist. Insgesamt sind sage und schreibe 27 eingehende Umfragen entstanden, zu denen MyHeritage die Kunden nach dem Einloggen in ihren Account in deutscher Sprache bittet.

Man sieht daran, dass die US-Anbieter den Datenschutz sehr klein schreiben. Stattdessen wird mit DNA und Umfragen im Zusammenspiel mit einem personalisierten Account und vielleicht sogar Familieninformationen in Form eines Stammbaums hemmungslos nach allen verfügbaren Kundendaten gegriffen.

Im Zusammenspiel mit den US-Ermittlungsbehörden zeigt sich zudem, dass oftmals die lokale Rechtslage zählt. Und die DNA-Proben sowie die Analyseergebnisse speichern die Ahnenforschungsplattformen nun einmal in den USA. Im Übrigen kann sich die Rechtslage im Laufe von Jahrzehnten immer auch unerwartet ändern. Für Ihre DNA trifft das aber nicht zu. Sie sind darüber immer identifizierbar. (agr@ct.de)

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