MIT Technology Review 9/2017
S. 60
Horizonte
TR 50

Amsilk

Am seidenen Faden

Die Fäden von Spinnennetzen sind reißfester als Stahl, elastischer als Gummi, sauerstoffdurchlässig und wasserabweisend. Nun hat es ein deutsches Unternehmen geschafft, daraus eine Textilfaser herzustellen.

Willkommen in der größten Spinndrüse der Welt. Die Gegend wirkt fast ländlich, wären da nicht die vielen Hightech-Gebäude, die das beschauliche Martinsried am Stadtrand von München zu einem Biotech-Standort machen. Hier sitzt Amsilk, und 2013 gelang es dem Unternehmen erstmals, den seidenen Faden der Spinne künstlich herzustellen. Genveränderte Kolibakterien produzieren dabei ein weißes Pulver. Aus diesem entsteht dann in einem Flüssigspinnverfahren die Faser. Mehr Details will Geschäftsführer Jens Klein nicht verraten, denn die seien Betriebsgeheimnis. Auch Thomas Scheibel, der die Grundlagen für das Verfahren legte und Amsilk mitbegründete, lässt sich nicht viel mehr entlocken. „Biopolymere ordnen sich unter spezifischen Bedingungen spontan zur richtigen Struktur“, und diese Bedingungen habe man entschlüsselt, sagt der heutige Inhaber des Lehrstuhls für Biomaterialien an der Universität Bayreuth.

Seitdem schaffen Maschinen, was vorher nur Spinnen möglich war: Ein Material zu produzieren, das reißfester ist als Stahl, elastischer als Gummi, vollständig kompostierbar, antiallergen, feuchtigkeitsregulierend, sauerstoffdurchlässig und gleichzeitig wasserabweisend sowie resistent gegen extreme Temperaturen. Herkömmliche, von Seidenraupen produzierte Seide saugt sich dagegen mit Wasser voll und ist empfindlich gegenüber Sonnenlicht. Außerdem muss für die künstliche Seide kein Lebewesen sterben, während für ein einziges Kleid aus natürlicher Seide 50000 Raupen lebendig gekocht werden.