Schwere Erwachsenengefährdung

"Blutgericht in Texas" erscheint als deutschsprachige Blu-ray-Disc – bleibt aber weiterhin verboten

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Tobe Hoopers 1974 veröffentlichter Film "The Texas Chainsaw Massacre" gehört zu den Klassikern des Horror- und Serienmörderfilms. Legendär sind die Produktionsbedingungen des Low-Budget-Streifens – noch legendärer aber seine Zensurgeschichte, deren absurder Höhepunkt in Deutschland zu finden ist.

Vor bald einem viertel Jahrhundert, am 23.12.1985, hat sich das Münchner Landgericht I ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk gemacht und den Video-Film "Kettensägenmassaker" bundesweit beschlagnahmt. Der Film stelle einen Verstoß gegen den Strafgesetz-Paragrafen 131b dar, nachdem "Gewaltverherrlichung" zu verbieten sei. Der Beschlagnahmebeschluss, in dem die Gründe für dieses richterliche Totalverbot des Films zu finden sind, strotzt nur so vor Beobachtungsfehlern. Da will der Staatsanwalt beispielsweise gesehen haben, wie Protagonist Franklin in seinem Rollstuhl vom Killer zersägt wird. Und als besonders grausam erscheint ihm auch, dass der Anhalter "die wimmernde, festgebundene Sally [quält], indem er sie mit Fingern sticht und später anbindet." Die Juristen, die das Verbot beschlossen haben, schienen also weder besonders kompetent noch überhaupt interessiert zu sein.

In den 1980er Jahren war das Totalverbot von Videofilmen – und insbesondere mit solch fragwürdigen Bedingungen - keine Seltenheit, wie die einschlägige Liste der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien eindrücklich zeigt. Der Kunstvorbehalt des Grundgesetzes wurde insbesondere für Horrorfilme gern schon einmal mit juristischen Anmaßungen wie "Dieser triviale Film ist sicher kein Werk der Kunst" außer Kraft gesetzt, damit der Richter solche Werke einziehen lassen konnte – nicht nur für Jugendliche, sondern auch für erwachsene Zuschauer waren diese Filme damit unzugänglich. Dass fiktionale Spielfilme als mediale Artefakte grundsätzlich Kunstwerke darstellen und auch schon damals als solche diskutiert wurden, interessierte den Zensor wenig.

Und auch "The Texas Chainsaw Massacre" ist zum Gegenstand unzähliger film- und kulturwissenschaftlicher sowie ästhetischer Auseinandersetzung geworden. (In meiner Dissertation habe ich die einschlägigen Diskurse zum Film in einem Kapitel analysiert.) Schaut man sich den Film heute an, so wird schnell klar, dass das Verbot – insbesondere im Vergleich zur heutigen Horrorfilm-Ästhetik – kaum aufrecht zu erhalten ist. Und genau aus diesem Grund hat sich das Münsteraner Label "Turbine Medien GmbH", das ansonsten eher familienfreundlichere Unterhaltung bietet (etwa eine DVD-Edition der TV-Serie "Parker Lewis") vorgenommen, "The Texas Chainsaw Massacre" in Deutschland in einer restaurierten und integralen Fassung auf Blu-ray-Disc zu veröffentlichen. Wie Label-Chef Christian Bartsch kürzlich dargelegt hatte, wird daraus wohl aber nichts, denn die juristische Bürokratie sieht nicht vor einen ehemals verbotenen Film wieder zu "erlauben" - selbst wenn alle (!) Beteiligten das Verbot heute nicht mehr nachvollziehen können.

Weil der Film im Ausland allerdings längst schon auf dem neuen Medium erschienen ist – in den allermeisten Ländern war er ja nie von einem Totalverbot betroffen –, war die unternehmerische Gefahr groß, dass sich der deutsche Zuschauer einfach von dort mit der Blu-ray-Disc versorgt. Allerdings hat sich gerade aufgrund der Verbotspolitik hierzulande eine regelrechte Subkultur entwickelt, die Horrorfilme als Sammlerobjekte betrachtet, gerade weil sie verboten sind und dann ganz besonderen Wert auch auf deutschsprachige Fassungen legt, die einmal legal erhältlich waren. Die Synchronisationen dieser Fassungen gehören für viele Afficionados neben TKKG, Larry Brent und (den alten) John-Sinclair-Hörspielen zu ihren liebsten akustischen Jugenderinnerungen. Daher war für Turbine klar, der deutschen Fassung besonderes Augen- bzw. Ohren-Merk zu schenken und so erschien die deutsche Blu-ray-Disc im Frühjahr 2010 …

Gewaltdarstellende Grenzüberschreitung

… in Österreich. Denn nicht erst seit dem Schengener Abkommen gibt es auch für den privaten Filmmarkt keine Grenzen mehr in Europa. Schon zuvor konnte man sich die verbotenen Früchte entweder aus Spezial-Videotheken (in Bonn gab es bis in die 1990er Jahre eine Videothek für dort stationierte US-Soldaten, die VHS-Kopien (!) aber auch gern per Post an deutsche Interessenten versandte) oder bei einem Wochenendtrip ins benachbarte Ausland besorgen. Der VHS-Tourismus nach Holland dürfte in den späten 1980er Jahren dem Cannabis-Tourismus dorthin kaum nachgestanden haben.

In Österreich, wo Turbines zunächst auf 5.000 Exemplare limitierte Blu-ray-Disc von "The Texas Chainsaw Massacre" erschienen ist, gibt es keine Film-Totalverbote und deshalb ist dort auch dieser Film legal erhältlich. Nach Deutschland importiert werden darf er freilich nicht, ein Zoll-Beamter, der ihn entdeckt, würde ihn einziehen und vernichten. Die Blu-ray-Disc von Turbine gibt es in Österreich sogar mit einem Siegel der "SPIO/JK" - einer Kommission im Hause der FSK, die Filmen strafrechtliche Unbedenklichkeit zusprechen kann, wenn die FSK sie nicht "ab 18 Jahren" freigibt. "The Texas Chainsaw Massacre" konnte nicht freigegeben werden (er ist ja verboten) und wie zum Trotz trägt er dennoch das SPIO/JK-Siegel "Keine schwere Jugendgefährdung".

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