Angesehen: Gnome 3.4

Epiphany heißt jetzt "Web" und wirkt wie ein Smartphone-Browser. Die Desktop-Umgebung nutzt den Bildschirmplatz effizienter und verzichtet bei manchen Anwendungen im Vollbild auf eine Fensterleiste. Zudem bringt die neue Version zahlreiche Detailverbesserungen.

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Von
  • Thorsten Leemhuis
Inhaltsverzeichnis

Knapp ein Jahr nach der Einführung der dritten Gnome-Generation hat das Gnome-Projekt mit der Version 3.4 jetzt die zweite größere Überarbeitung von Gnome 3 veröffentlicht. Nach der Einführung vieler neuer Konzepte mit der Version 3.0, einigen Nachzüglern und reichlich Feintuning bei Gnome 3.2 bringt die neueste Ausgabe der Desktop-Umgebung nun wieder Änderungen in einem Umfang, wie man es aus den letzten Jahren der Gnome-2-Serie kennt: Keine großen Umwälzungen, aber viele kleine Verbesserungen an verschiedensten Stellen der Desktop-Umgebung.

Gnome 3.4 (19 Bilder)

Desktop

Auf den ersten Blick unterscheidet sich Gnome 3.4 nicht von seinem Vorgänger; bei genauerem Hinsehen finden sich aber viele Detailverbesserungen.

Der Gnome-Browser Epiphany heißt nun schlicht "Web", in der deutschen Lokalisierung "Webbrowser". Die Bedienoberfläche wurde auf dass Nötigste zusammengestrichenen: Menü- und Statusleiste entfallen und auf der Werkzeugleiste finden sich nur noch Vor- und Zurück-Knopf, URL-Feld sowie ein Zahnrad-Icon; hinter Letzterem steckt ein "Super-Menü" in Google-Chrome-Manier, in dem neben den Lesezeichen vor allem die Einträge des früheren Datei-Menüs zu finden sind. Die Software erinnert so ein wenig an einen Smartphone-Browser: Dem Anwender werden nur die wichtigsten Bedienelemente so präsentiert, dass sie wenig Bildschirmplatz einnehmen.

Auch das Design der bei Gnome 3.2 eingeführten Anwendungen Gnome Documents und Gnome Contacts wurden überarbeitet, wodurch diese moderner wirken und etwas einfacher zu handhaben sind. Beim Dokument-Management-Werkzeug merkt der Anwender kaum, ob die mit dem Programm verwalteten Dokumente lokal vorliegen oder in einem via Gnome Online Accounts angebundenen Cloud-Dienst gespeichert sind. Über das letztgenannte Programm, das bereits bei 3.2 eingeführt wurde, kann man nun nicht mehr nur Google-Dienste einrichten, sondern auch Verbindungen zu Facebook und Windows Live konfigurieren. Die hier eingerichteten Dienste stehen dann verschiedenen Gnome-Programmen zur Verfügung.

Wenn das Kontakt-Management-Programm vermutetet, dass zwei Einträge zur selben Person gehören, schlägt es nun am unteren Bildschirmrand eine Zusammenzuführung vor. Die Suchfunktion der Shell findet neben Kontakten, Einstellungsmöglichkeiten und Anwendungen jetzt auch die Dokumente, die Gnome Documents anzeigt; in Zukunft soll die Suchfunktion auch Musik- oder Video-Dateien finden.

Wie bei Gnome 3.2 zeigt die Gnome Shell links oben neben "Aktivitäten" den Namen des gerade verwendeten Programms an; bei Anwendungen wie Epiphany/Web, Gnome Contacts oder Gnome Documents verbirgt sich dahinter nun allerdings ein Menü, in dem die Programme einige ihrer wichtigsten Funktionen bereitstellen.

Wenn die erwähnten Anwendungen im Vollbildmodus laufen, kann man sie über dieses Menü beenden, da ihre Fenster dann keine Fensterzeile mehr anzeigen, auf der sich normalerweise das Schließen-Symbol findet; genau wie die Verschlankung in Epiphany/Web soll das horizontalen Platz sparen. Wenn die Anwendungen im Vollbild laufen, kann man sie wieder in ein Fenster verfrachten, indem man im oberen Rahmen der Anwendung linksklickt und die Taste loslässt, nachdem man die Maus etwas nach unten bewegt hat.

Nicht nur Epiphany, sondern auch das Programm zur Datenträger-Verwaltung erhielt einen Facelift und einen neuen Namen: Es heißt nicht mehr Palimpsest, sondern einfach "Disks". Beim Start über die Kommandozeile muss man weiter den alten Namen bemühen; so verhält es sich auch mit Epiphany.

Durch die Umbauten soll das Programm zum Einhängen, Partitionieren und Formatieren von Datenträgern einfacher zu bedienen sein, es verliert aber auch einige Funktionen – so kann es Laufwerke, die mit Device Mapper/LVM2 oder MD-RAID erzeugt wurden, nur noch anzeigen, aber nicht mehr anlegen oder konfigurieren. Neu sind hingegen Funktionen, um mit dem Programm Einträge in den Dateien /etc/fstab oder /etc/crypttab anzulegen oder zu modifizieren. Zudem kann das Programm nun auch Images einhängen und bietet rudimentäre Funktionen zum Erstellen von Images.

Durch das Facelift ist das Programm-Fenster etwas kleiner geworden, sodass es sich auch auf Netbooks bedienen lässt. Ein Anlass für den Umbau waren eine größere Überarbeitung des von Palimpsest/Disks verwendeten "udisk", wie der zuständige Entwickler in einem ausführlichen Blog-Eintrag erläutert, in dem er viele Aspekte des Redesigns an Palimpsest/Disks beschreibt. Hintergründe zu den Ideen hinter den Umbauten an Epiphany liefert Xan Lopez in seinem Blog.

Im Rahmen der im Dezember gestarteten Initiative "Every Detail Matters" haben die Gnome-Entwickler wie erhofft zwanzig störende Details beseitigt. Darunter sind einige Änderungen, die ungewöhnliches Verhalten im Dash und in der Fensterübersicht beseitigen; ferner kann man Workspaces in der Arbeitsflächenübersicht nun auch auswählen, wenn die Maus ganz am rechten Bildschirmrand positioniert ist.

Angedacht war auch eine Änderung, um die Arbeitsflächen per Drag & Drop umzusortieren. So sollten Anwender eine ihnen vertraute Anwendungsverteilung auf den Workspaces wieder herstellen können, falls sie alle Fenster einer Arbeitsfläche geschlossen haben – dadurch wird diese zerstört, sodass der Anwender Programme nur auf anderen oder einer neuen Fläche starten kann, die ganz unten liegt. Das Verschieben von Workspaces wurde nicht umgesetzt, es gibt aber eine andere Lösung: Man kann jetzt Fenster in der Arbeitsflächenübersicht mit der Maus zwischen zwei Arbeitsflächen fallen lassen; dadurch wird an dieser Stelle eine neue Arbeitsfläche erzeugt, auf die das jeweilige Fenster verschoben wird.

Es gab einige Verbesserungen für das Zusammenspiel mit der Website extensions.gnome.org, die seit Dezember Erweiterungen für die Gnome Shell anbietet, wie es ähnlich addons.mozilla.org für Firefox oder Thunderbird macht. So soll die Deinstallation von Extensions nun ebenso zuverlässig funktionieren wie die Installation über Webkit-Browser wie Chrome oder Epiphany/Web.

Durch den Sticker "Alpha" am Logo kennzeichnet sich die Erweiterungs-Webseite allerdings weiterhin als unfertig. Zur offiziellen Freigabe von Gnome 3.4 bot die Webseite einer solchen Gnome-Version allerdings noch nicht einmal zehn Erweiterungen an, weil nur diese als kompatibel gekennzeichnet wurden. Zum Vergleich: Für Gnome 3.2 präsentiert die Webseite rund 140 Erweiterungen. Einige davon haben wir Anfang des Jahres vorgestellt; viele von ihnen dürften in den nächsten Tagen und Wochen als kompatibel zu Gnome 3.4 markiert werden.

Bis heute ist allerdings keine der Erweiterungen (etwa gnome-shell-extension-weather) auf der Webseite, die in der oberen Leiste der Gnome-Shell Informationen zur aktuellen Wetterlage liefert, wie es Gnome 2 noch von Haus aus beherrschte; die Gnome-Entwickler arbeiten allerdings seit kurzem an einer solchen Funktion. Auch die in der FAQ der Erweiterungs-Website für Gnome 3.4 in Aussicht gestellte Funktion zum automatischen Aktualisieren von Erweiterungen durch die Gnome Shell wurde bislang nicht realisiert.

  • Der Instant-Messenger Empathy beherrscht nun Video-Chats und arbeitet enger mit Gnome Contacts zusammen.
  • Nautilus bietet nun eine Undo-Funktion, um etwa ein Kopieren oder Verschieben von Dateien rückgängig zu machen.
  • Auch Seahorse, das Gnome-Werkzeug zur Verwaltung von Schlüssel und Passwörtern, erhielt ein Facelift und wirkt dadurch moderner und übersichtlicher.
  • Wenn man eine Weile nicht mit dem Rechner interagiert hat, zeigt die untere Statusleiste nun bei der Rückkehr die zwischenzeitlich angelaufenen Informationen an, damit der Anwender nicht so leicht etwas Wichtiges verpasst.
  • Gnome 3.4 bringt eine Reihe von Verbesserungen für die Einrichtung und Nutzung von Grafiktablets von Wacom; Details finden sich in zwei Blog-Einträgen von Gnome-Entwickler Bastien Nocera (1, 2).
  • Evolution unterstützt mit Hilfe des Pakets "evolution-kolab" nun Kolab-Groupware-Server besser.
  • Die bei Bedarf am rechten Rand eingeblendeten Scroll-Leisten sind bei Gnome-Anwendungen nun schmaler und haben keine Knöpfe mehr, um Bildschirmweise nach oben oder unten zu scrollen.
  • Gnome beherrscht nun die die Funktion "Smooth Scrolling" oder "Sanfter Bildlauf".
  • Zur Freigabe von Gnome 3.4 ist auch das noch junge Virtualisierungs- und Remote-Zugriffswerkzeug Gnome Boxes in einer neuen Version erschienen; obwohl sich das für Gnome 3.6 vorgesehene Werkzeug noch in der Test- und Entwicklungsphase befindet, dürften einige Linux-Distributionen es vermutlich nun beilegen.
  • Der Standard-Desktop-Hintergrund ändert Abhängig von der Tageszeit die Farben ein wenig, wodurch dieser Nachts weniger grell wirkt.

Zum Fundament des neue Gnome zählen unter anderem GTK+ 3.4, Glib 2.32 und Clutter 1.10, die alle in den vergangenen Tagen freigegeben wurden und eine Reihe von Verbesserungen bringen. Details dazu liefern die Release Notes von Gnome 3.4, die auch eine Reihe der erwähnten Verbesserungen näher erläutern und einige weitere Änderungen beschreiben.

Revolutionäre Konzepte wie etwa eine andere Art des Dokumentenmanagement, wie sie mit Zeitgeist und dem Gnome Activity Journal seit ungefähr zwei Jahren im Gespräch sind, sucht man bei Gnome 3.4 vergebens. Es sind vielmehr die Detailverbesserungen, die das neueste Gnome auszeichnen – wer Gnome 3.2 nutzt, wird wenige offensichtliche Neuerungen entdecken.

Gnome 3.4 (0 Bilder)

Mit Gnome 3.4 setzen die Gnome-Macher den eingeschlagenen Weg fort und machen den Desktop mit den neuestens Fortschritten nun noch etwas runder. Das werden nicht nur Gnome-3-Anwender begrüßen; die Verbesserungen und die zunehmende Zahl an Shell-Erweiterungen dürften auch den ein oder anderen Anwender von den Gnome-3-Konzepten überzeugen, der mit Gnome 3.0 und 3.2 nicht warm wurde. Langfristig wird das Gnome-Projekt aber noch mal etwas mehr Schwung aufbringen müsen, wenn es Anwender zurückgewinnen will, die im letzten Jahr zu Cinnamon, KDE oder Unity abgewandert sind. (thl) (thl)