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Elektroauto Renault Twingo Electric im Test: Smarter als der Smart?

Christoph M. Schwarzer

Der Renault Twingo electric kombiniert die Fahrdynamik und die Traktion des Heckantriebs mit den Tugenden des dreiphasigen 22 kW-Ladegeräts von Renault.

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Der Twingo electric ist einer der wenigen wirklich erhältlichen E-Kleinstwagen. Er bietet mehr Reichweite und Platz als der Smart, auf dem er basiert.

Yippie yeah, eine Kurve: In engen Radien und beim scharfen Abbiegen macht der Renault Twingo electric am meisten Spaß. Er ist der lebendige Beweis, dass der Heck- dem Frontantrieb beim Elektroauto überlegen ist. Obwohl Luca de Meo, neuerdings CEO bei Renault, sagt, dass der Twingo electric mangels Rentabilität keinen Nachfolger erhalten wird, ist der Kleinstwagen ab sofort bestellbar.

Vielleicht hat dieses Segment doch eine Zukunft. Nämlich dann, wenn der batterieelektrische Antrieb über Skaleneffekte preisgünstig genug wird. Für die Topversion "Vibes" verlangt Renault 24.790 Euro, wovon nach Abzug der staatlichen Direktförderung und einem weiteren Nachlass durch den Hersteller exakt 10.000 Euro weniger bleiben. Der Testwagen kam in der mittleren Ausstattungslinie "Intens", für die zum Redaktionsschluss noch kein Preis vorlag.

Der Twingo der dritten Generation wird seit 2014 verkauft und ist im Grundsatz bekannt. Er stammt aus der Kooperation mit Smart. Allerdings hat Renault dem Twingo eine mit 21,4 kWh netto im Vergleich zum Forfour electric drive (16,7 kWh) deutlich größere Batterie gegönnt. Spätestens an der Ladesäule macht ein charakteristisches Fiep-Geräusch klar, wer der eigentliche Technikspender ist: Der oder die Renault Zoe (Test) [1]. Das dreiphasige 22-kW-Ladegerät für Wechselstrom (und nur für den), die Schalter links im Cockpit und das Radionavigationssystem wirken sehr vertraut.

Die Ursache der großen Fahrfreude ist wie erwähnt die Kombination aus Heckantrieb und Heckmotor. Das führt zu bester Traktion auch bei nasser Straße oder festgefahrener Schneedecke. Drifts lässt der Twingo trotzdem nicht zu. Er ist fahrsicher abgestimmt, ohne dass die Agilität beschränkt wird. Mit 1168 Kilogramm EU-Leergewicht, also inklusive 75 kg für Fahrer und Gepäck gerechnet, ist er auch ziemlich leicht.

Renault Twingo Electric (0 Bilder) [2]

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Renault hatte mit dem R16 im Jahr 1965 ein Auto vorgestellt, das wegweisend war: Frontantrieb und Frontmotor galten damals als der Garant für Spurtreue. Außerdem hat die Raumökonomie profitiert. Der Kofferraum war groß und dank einer damals noch nicht selbstverständlichen Heckklappe gut zugänglich.

Beim batterieelektrischen Antrieb aber gelten die alten Grundsätze nicht mehr. Im Gegenteil zeigt sich, dass die Elektroautos mit Frontantrieb häufig schon auf trockener Fahrbahn nicht in der Lage sind, die Kraft auf die Straße zu bringen. Von Kurven oder bei Regen ganz zu schweigen. Beim Twingo electric dagegen muss die Fahrdynamik-Software die 60 kW Motorleistung nur selten begrenzen. Pedal durchdrücken, ab geht’s. Mögen die absoluten Fahrleistungen von 4,2 Sekunden auf 50 und 12,9 Sekunden auf 100 km/h auch überschaubar sein; subjektiv und im Großstadtrevier ist man mit dem Twingo der König. Ab durch die Mitte, zack um die Ecke.

Der Schwerpunkt liegt wegen der Batterie (165 kg Eigengewicht, flüssigkeitsgekühlt) mittig und weit unten. Der Twingo electric ist also gut ausbalanciert und äußerst spurtreu. Dazu kommt ein weiterer Vorteil des Heckantriebs: Die Vorderräder können weit eingeschlagen werden, und der Wendekreis beträgt darum nur 8,6 Meter (VW e-Up: 9,8 m).

Das Kofferraumvolumen liegt bei 219 Litern, die mit umgeklappter Rückbank auf 980 Liter erweiterbar sind. Ein Clou und eine Empfehlung ist auch der umlegbare Beifahrersitz, mit dem längere Gegenstände transportiert werden können. Die Sitzposition und das Platzangebot für Menschen sind so, wie es bei Kleinstwagen üblich ist: Raum ist in der kleinsten Hütte, und es ist immer wieder erstaunlich, wie komfortabel die Fahrt in so einem elektrischen Kleinstwagen ist. Wunder dürfen trotzdem nicht erwartet werden, besonders bei der Innenraumbreite.

Renault Twingo Electric innen (4 Bilder) [4]

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Raum ist in der kleinsten Hütte. Körperlänge ist kein Problem, Breite schon eher. Das Radio-Navigationssystem ist nicht auf dem aktuellsten Stand. Ein gespiegeltes Smartphone ist leistungsfähiger.
(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Der Renault Twingo electric erzeugt das klassische Gefühl des kleinen Flitzers. Unter den aktuellen Wetterbedingungen – in Hamburg durchgehend Minusgrade – ist die kombinierte Reichweite nach WLTP von 190 Kilometern allerdings nicht erreichbar. Aus dem Durchschnittsverbrauch von 18,6 kWh/100 km resultieren 115 realistische Kilometer.

Hierzu muss gesagt werden, dass die Klimaautomatik permanent auf 20 Grad eingestellt war. Die Heizwirkung ist groß, es wird schnell warm im Innenraum und die Scheiben beschlagen nicht. Selbstverständlich waren Winterreifen montiert, und eine Wärmepumpe wie die Zoe hat der Twingo nicht. Ein weiterer erschwerender Faktor ist, dass der Kleinstwagen für kurze Strecken prädestiniert ist: Man nimmt also immer die energieintensive Aufheizphase mit, ohne hinterher eine große Strecke zu bewältigen. Für den Sommer sind Werte unter 15 kWh/100 km erwartbar.

Beim frostigen Laden zeigt der Twingo electric leider eine Schwäche, die bereits von der Zoe bekannt ist: Die nominal mit 22 kW angegebene Ladeleistung war zu keinem Zeitpunkt abrufbar. Sie pendelte um rund die Hälfte davon, mal waren es zehn, mal 13 kW. Das ist für die typischen Anwendungszwecke eines Kleinstwagens aber unproblematisch: Die Zahl der Ur-Twingo-Fahrer [6], die mit offenem Faltdach spontan nach Saint Tropez gereist sind, war wahrscheinlich klein. Dennoch muss jedem klar sein, dass die Reisefähigkeit des modernen Twingo electric nicht ausgeprägt ist.

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Er unterscheidet sich damit nicht vom einzigen Konkurrenten in Gestalt des Volkswagen e-Up sowie der baugleichen Seat Mii electric (Test) [8] und Skoda Citigo e iV. Der Renault lädt dreiphasig Wechselstrom und damit ungleich schneller als die einphasigen Drillinge aus dem Volkswagen-Konzern. Die können zwar prinzipiell auch Gleichstrom laden, aber lediglich gegen Aufpreis und in unserem Praxis-Wintertest [9] nur langsam. Derzeit ist ohnehin nur der Seat Mii electric erhältlich [10] – Volkswagen behält sich vor, mehr zu produzieren oder die Modellreihen einzustellen.

Damit ist der Renault Twingo electric faktisch nahezu der einzige tatsächlich käufliche elektrische Kleinstwagen. Er kombiniert die Fahrdynamik und die Traktion des Heckantriebs mit den Tugenden des dreiphasigen 22-kW-Ladegeräts von Renault. Dass dessen Leistung im tiefsten Winter eingeschränkt ist, bleibt eine Momentaufnahme.

Er ist am besten geeignet für Pendelstrecken, für den Shuttle zur Schule oder die Tour zum Supermarkt. Dass er ein Parkplatzsuchgerät ist, versteht sich von selbst, man muss sich regelrecht daran gewöhnen, in wie kurze Lücken er in einem Zug einfach hineinzirkelt.

Luca de Meos Absage bezieht sich namentlich nur auf den in die Jahre gekommenen Twingo, nicht aber auf kommende elektrische Kleinstwagen von Renault wie den neuen R5 [11] und einen möglichen R4, die frühestens 2023 erscheinen. Hoffentlich ebenfalls mit Heckantrieb.

Der Hersteller hat den Testwagen kostenfrei zur Verfügung gestellt und überführt. Der Autor hat die Fahrenergiekosten getragen.

Datenblatt
Hersteller Renault
Modell Twingo Electric
Motor und Antrieb
Motorart Fremderregter Drehstom-Synchronmotor
Nenndauerleistung kW (60/30 min) 31 / 31
Leistung (kW / PS bei 1/min) 60 (82 PS) bei 3590 bis 11.450
Drehmoment (Nm bei 1/min) 160 bei 550 bis 3590
Antrieb Heck
Speicher
Batterietyp Lithium-Ionen, wassergekühlt
Energiegehalt brutto in kWh 21,4
Max. Ladeleistung AC in kW 22
Ladeleistung DC in kW -
Fahrwerk
Lenkung Elektrisch unterstützte Zahnstangenlenkung (EPS)
Wendekreis in m 8,6
Reifengröße vorn 165/65 R 15 / 5 J x 15 / 185/60 R 15 / 5,5 J x 15

oder

185/50 R 16 / 6 J x 16 / 205/45 R 16 / 7 J x 16
Reifengröße hinten
Bremssystem - vorn / hinten (mm) Scheibe (260) / Trommel (229)
Maße und Gewichte
Länge in mm 3615
Breite in mm 1646
Höhe in mm 1541
Radstand in mm 2492
Kofferraumvolumen in Litern 219 - 980
Leergewicht in kg nach EU inklusive 68 kg Fahrer und 7 kg Gepäck 1168
Zuladung 350
Fahrleistungen
Höchstgeschwindigkeit in km/h 135
Beschleunigung (0–50 km/h / 0–100 km/h in s) 4,2 / 12,9
Verbrauch im WLTP in kWh/100 km 16 – 16,3
Reichweite innerorts / kombiniert (km) 270 / 190
Daten Stand Oktober 2020

(fpi [12])


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[5] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_5051148.html?back=5051189
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-Renault-Twingo-gehoert-zu-den-wenigen-Gesichtern-in-der-Menge-bereits-seit-20-Jahren-1803620.html
[7] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[8] https://www.heise.de/hintergrund/Seat-Mii-electric-Das-guenstigste-Elektro-Kleinauto-im-Test-4692424.html
[9] https://www.heise.de/tests/VW-e-Up-im-Test-Doppelschritt-4664230.html
[10] https://www.heise.de/hintergrund/Seat-Mii-electric-wieder-bestellbar-5039620.html
[11] https://www.heise.de/hintergrund/Frisch-im-alten-Look-Renault-zeigt-dritten-R5-als-Studie-5025166.html
[12] mailto:fpi@heise.de