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Oculus Quest im c't-Test: VR mit High-End-Tracking ohne PC

| Jan-Keno Janssen

Die Oculus Quest demokratisiert Virtual Reality: Für 450 Euro bietet sie vollwertiges VR mit Raum- und Hand-Tracking – komplett autark, ohne PC, mit 53 Software-Titeln zum Start. Wo der Haken ist, klärt der c‘t-Test.

Die Oculus Quest – die wohl erste wirklich spannende Massenmarkt-VR-Brille seit Oculus Rift, HTC Vive und Playstation VR – kommt am 21. Mai für 450 Euro in den Handel und ist ab sofort vorbestellbar [1]. Sie bringt alles mit, was man für VR braucht: Ein Android-System ist eingebaut, Handcontroller werden mitgeliefert. Wir konnten das Gerät bereits vorab testen.

Die komplett autark laufende Oculus Quest soll das gleiche Mittendrin-Gefühl vermitteln, für das man bislang – neben einem mehrere hundert Euro teurem Headset – einen leistungsstarken PC oder eine PS4-Konsole brauchte. Hier könnte man nun einwenden, dass es ohne teure Rechner lauffähige Headsets schon seit vielen Jahren gibt, zum Beispiel die Smartphone-Brillen von Samsung. Das stimmt aber nur halb: Die meisten bisherigen autarken Headsets und Handy-Brillen orientieren sich lediglich auf drei Bewegungsachsen (3DOF). Das bedeutet, dass sie zwar Kopfdrehungen und -neigungen erkennen können, aber keine Bewegungen des ganzen Körpers. Für ein überzeugendes Mittendrin-Gefühl ist das jedoch ungemein wichtig, manchen Menschen wird sogar übel, wenn die VR-Welt nur einen Teil ihrer Bewegungen abbildet. Mit Ausnahme der HTC Vive Focus Plus konnten bisherige autarke Headsets auch keine natürlichen Handbewegungen erkennen – ebenfalls extrem wichtig für gute VR.

Oculus Quest im Test (0 Bilder) [2]

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Die Oculus Quest beherrscht all das – und zwar mindestens genauso gut wie ihre große, PC-verkabelte Schwester Oculus Rift. Möglich machen es vier in die Quest eingebaute Kameras. Diese erfassen nicht nur die Umgebung, sondern erkennen auch die Position der beiden mitgelieferten Handcontroller. In der Praxis gefiel uns das so genannte „Inside-Out“-Tracking sogar häufig besser als das mit externen Kameras arbeitende Tracking der Oculus Rift: Bei einer Schreibtisch-Standardinstallation mit den beiden Kameras neben dem Monitor verliert die Rift gerne mal die Orientierung, wenn man sich unter die Tischplatte bückt – eine Situation, die gar nicht mal so selten vorkommt, in vielen VR-Softwaretiteln muss man irgendwelche Dinge vom Boden aufheben.

Etwas schlechter funktionieren beim Inside-Out-Tracking prinzipbedingt alle Gesten außerhalb den Blickwinkels der Headset-Kameras, also zum Beispiel wenn man einen Pfeil aus dem virtuellen Köcher auf dem Rücken holt. Dank eines in die Handcontroller eingebauten Gyroskops und guten Vorhersage-Algorithmen hatten wir während des Tests aber keine ernsthaften Probleme, wir konnten alle Titel reibungslos steuern. Ernsthafte Ausssetzer der Handcontroller ließen sich lediglich provozieren, indem wir das Handgelenk um 180 Grad drehten – das ist nicht nur schmerzhaft, sondern kommt in der Praxis auch so gut wie nie vor. Zum Vergleich: Die HTC Vive Focus Plus, einziger autarke Quest-Mitbewerber mit vollem Controllertracking, zieht in Sachen Handgefühl klar den kürzeren; zumindest in einer von uns angetesteten Vorab-Version. Die finale Focus Plus hatten wir noch nicht im Testlabor.

Einrichtung der Oculus Quest (0 Bilder) [4]

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Statt eines LC-Display wie in der Go und Rift S (erscheint ebenfalls am 21. Mai für 450 Euro, Kurztest [6]) kommen bei der Quest OLED-Bildschirme zum Einsatz – wie bei der Original-Rift und HTC Vive (Pro). Diese haben mit 1440 × 1600 Pixel statt 1080 × 1200 pro Auge allerdings eine höhere Auflösung als die Ur-Rift.

Das Sichtfeld entspricht dem autarken Headset-Vorgänger Oculus Go. Im Vergleich zur Oculus Rift von 2016 wirkt das Quest-Sichtfeld etwas größer. Bei unseren Tests konnten Brillenträger ihre Sehhilfe problemlos unter der Quest tragen. Im Unterschied zur angekündigten Rift S lässt sich der Pupillenabstand bei der Oculus Quest mechanisch justieren. Der mögliche Einstellbereich ist identisch mit der ersten Rift: 58 bis 72 Millimeter.

Zwiegespalten sind wir in puncto Audio: Die Quest hat statt konventioneller Kopfhörer (wie bei der Rift) Lautsprecher eingebaut. Diese bespielen nicht nur die eigenen Ohren, sondern die ganze Umgebung. Während einige der c't-Kollegen das unschön finden und über das schlechtere Mittendrin-Gefühl klagen, loben anderen, dass sie sich mit den Quest-Lautsprechern nicht mehr so abgekapselt fühlen wie bei der Rift. Eine Klinkenbuchse ist eingebaut, es lassen sich also auf alle Fälle die eigenen Lieblings-Kopförer nutzen.

Im Vergleich zur Konkurrenz bietet Oculus ein erstaunlich reichhaltiges und hochwertiges Software-Angebot (siehe Liste unten). So sollen PC-VR-Klassiker wie das tolle Musikspiel Beat Saber, das „Licht“-Malprogramm Tilt Brush und die Multiplayer-Spielesammlung Rec Room erstmals für ein autarkes Headset erhältlich sein. Oculus verspricht zum Start der Quest ein Angebot von 53 Software-Titeln. Einige davon sind "Cross-Buy"-kompatibel, man muss sie also für Rift und Quest nur einmal kaufen.

Auf unserem Quest-Testgerät konnten wir bereits einige Spiele antesten. Alle Titel machen einen guten Eindruck, besonders das hohe Anforderungen ans Hand-Tracking stellende Beat Saber ist beeindruckend: Die Steuerung funktoniert genauso gut wie mit Oculus Rift und HTC Vive – und deutlich besser als mit der Playstation VR. Grafisch muss man allerdings bei allen Titeln Abstriche machen – statt einer schnellen Grafikkarte wie beim PC kann das Headset nur auf ein ARM-SoC zugreifen. So fehlen beispielsweise bei Beat Saber Partikel- und Transparenzeffekte.

Spiele für die Oculus Quest (0 Bilder) [7]

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In der Quest steckt ein Qualcomm Snapdragon 835 mit 4 GByte RAM und 64 GByte Flashspeicher – der Chip kam bereits 2017 heraus, Qualcomms aktuelles High-End-SoC ist der Snapdragon 855. Der etwas antiquierte Chip ist sicherlich der Preiskalkulation geschuldet: 450 Euro sind für die gebotene Technik sehr preisgünstig, zum Vergleich: Die Vive Focus Plus kostet über 800 Euro.

Zurzeit benötigt man keinen Social-Media-Account beim Oculus-Mutterunternehmen Facebook, um die Quest zu verwenden. Ein Account für den Oculus-App-Store ist allerdings erforderlich. Die Quest arbeitet ausschließlich autark, eine optionale Schnittstelle für den PC-Anschluss bietet sie nicht.

Ein solch überzeugendes Rundum-Sorglos-Paket wie die Oculus Quest hat noch kein mobile oder autarkes Headset geliefert. Das liegt vor allem am zuverlässigen Raum- und Handtracking, das in dieser Qualität bislang PC- oder Konsolen-Headsets vorbehalten war. Überzeugend ist auch das Software-Angebot mit VR-Klassikern wie Beat Saber, Superhot VR, Tilt Brush, Rec Room, Moss und Job Simulator. Einziger Wermutstropfen: Die im Vergleich zu einem leistungsstarken Spiele-PC begrenzte Grafikpower. Allerdings überzeugen Titel wie Beat Saber oder Tilt Brush vor allem durch ihr Mittendrin-Gefühl – sie machen auch mit etwas weniger Grafikpracht Spaß.

Diese Software-Titel sollen zum Quest-Start am 21. Mai zur Verfügung stehen:

[Update]

Angaben zur Displaytechnik korrigiert. (jkj [9])


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[5] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4410911.html?back=4409896;back=4409896
[6] https://www.heise.de/news/VR-Headset-Oculus-Rift-S-im-Kurztest-Drei-Schritte-vor-drei-zurueck-4398872.html
[7] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4410906.html?back=4409896;back=4409896
[8] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4410906.html?back=4409896;back=4409896
[9] mailto:jkj@ct.de