Daten im Schmutz

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Von
  • Bert Ungerer

Vor 145 Jahren setzte sich das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Irland erfolgreich gegen eine unheimliche neue Technik zur Wehr, indem es ein Gesetz namens „Red Flag Act“ einführte. Jedem Kraftfahrzeug auf der Straße, etwa einem Dampfbus, musste ein Fußgänger gemächlichen Schrittes vorangehen und andere Verkehrsteilnehmer durch Schwenken einer roten Fahne vor dem zischenden und fauchenden Ungetüm warnen. Die aus heutiger Sicht bizarr anmutende Vorschrift hatte zur Freude von Eisenbahnern und Pferdezüchtern drei Jahrzehnte lang Bestand. Während sich die Briten also mit dem Schaufeln von Kohlen und Pferdemist begnügen mussten, entwickelten sich auf dem Kontinent neue Industrien und ein enormer Technologievorsprung.

Der Argwohn gegenüber Neuerungen ist menschlich, besteht bis heute und steigt mit ihrer Tragweite. Keine Flaggen-, aber umso mehr Bedenkenträger bauen sich dieser Tage vor Google auf, so viele, dass das Unternehmen mit der wohl größten Datensammlung überhaupt notgedrungen den vorläufigen Stillstand über seine gesamte Street-View-Flotte verhängt hat.

Die Liste der Bedenken gegen den faszinierenden neuen Internetdienst wächst laufend – eine Auswahl: Das Kamerastativ ist so lang, dass die Aufnahmen möglicherweise nicht von der sogenannten Panoramafreiheit gedeckt sind, die das Veröffentlichen von Aufnahmen „ohne Hilfsmittel“ erlaubt (dann dürfte man übrigens auch kein Bild publizieren, das in einem Doppelstockbus entstand). Personen könnten trotz Gesichtsverpixelung erkennbar sein. Google hat Häuser mit Lasern gescannt, WLANs erfasst und bei der Gelegenheit sogar deren Datenverkehr mitgeschnitten, der teilweise im Klartext lesbar ist.

Google ist beim Einsammeln der Daten sicher übers Ziel hinausgeschossen, gibt dies auch zu und kooperiert bei der Aufarbeitung. Aber das fahrlässige oder sogar gezielte Weitergeben vertraulicher Daten kann man dem Suchmaschinenbauer eben nicht vorwerfen. Andere verlieren USB-Sticks oder versteigern auf eBay Festplatten mit brisantem Inhalt. Oder drucken Patientendaten aus und werfen sie in einen frei zugänglichen Altpapiercontainer. Oder platzieren private Mitgliederdaten auf unsicheren Servern, wo findige Websurfer nur zugreifen müssen. Oder geben sogar mit voller Absicht persönliche Daten inklusive Bankverbindung an Drückerkolonnen weiter.

Trotz der enormen Mengen an Daten – auch persönlicher, etwa in Form von E-Mails – ist Google anscheinend noch nie eine derartige „Datenpanne“ unterlaufen. Datenschützer sollten Google eigentlich dankbar für einen so hohen Standard sein. Und dafür, dass endlich mal wieder jemand auf die Gefahren aufmerksam gemacht hat, die das Versenden unverschlüsselter E-Mails über offene WLANs birgt.

Was aus Street View in Deutschland wird, steht nun erst einmal in den Sternen. Google hofft, „dass der Starttermin noch im Jahr 2010 liegt“. Schön wär’s. (un)