Weltgipfel der Informationsgesellschaft: Menschenrechtsfrage sorgt für Eklat

Regierungsfreundliche tunesische Gruppen unterbanden bei der ersten Vorbereitungskonferenz für den im Dezember anstehenden Gipfel (WSIS) eine Aufforderung zur Einhaltung von Menschenrechten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 73 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Monika Ermert

Gestern kam es im tunesischen Hammamet bei der ersten Vorbereitungskonferenz (Prepcom) für den Weltgipfel der Informationsgesellschaft (WSIS) zum Eklat um eine Stellungnahme der zivilgesellschaftlichen Gruppen zur Menschenrechtsfrage. Auf Druck regierungsfreundlicher tunesischer Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wurde die geplante Stellungnahme einer tunesischen Menschrechtsaktivistin im Plenum unterbunden. Die umstrittene Stellungnahme hatte neben allgemeinen Erklärungen eine Passage enthalten, die die Regierung des Gastgeberlandes zur Einhaltung der Menschenrechte auffordert. Menschenrechtsaktivisten hatten von Anfang an Bedenken gegen die Wahl Tunesiens als Gastgeber für die zweiten Phase des für Dezember geplanten Gipfels geäußert.

Verschiedenen Berichten zufolge ließ der neu gewählte litauische Prepcom-Präsident Janis Karklins die offizielle Plenarsitzung nach einer Intervention des tunesischen Botschafters unterbrechen, um den zivilgesellschaftlichen Gruppen die Möglichkeit zu geben, ihren "internen" Streit um die Stellungnahme beizulegen. Ein Kompromiss während der Auszeit scheiterte jedoch. Tumultartige Auseinandersetzungen (durch ein Video dokumentiert) zwischen der regierungsfreundlichen tunesischen Fraktion und der Mehrzahl der anderen NGOs ließen am Ende eine Abstimmung über einen veränderten Text nicht mehr zu.

Tunesische Menschenrechtsorganisationen, darunter die Ligue Tunisienne des Droits de l'Homme (LDTH) und die von der bekannten Anwältin Radhia Nasraoui gegründete tunesische Antifolter-Organisation "Association de Lutte contre la Torture Tunisie" (ALTT) reagierten empört auf den Versuch, die ohnehin schon maßvolle Aufforderung an die tunesische Regierung aus dem Text zu streichen. Schon am Tag zuvor, in der Vorbereitung der Stellungnahme im sogenannten Human Rights Caucus der Zivilgesellschaft, war es zu Streit gekommen.

Ein zweiter Einigungsversuch innerhalb der Zivilgesellschaft gestern Abend führte noch einmal zu massiven Auseinandersetzungen, in deren Verlauf sich auch westliche Vertreter regelrecht bedroht fühlten. Mehrfach, berichtete Jeanette Hofmann, zivilgesellschaftliche Vertreterin in der deutschen Regierungsdelegation, sei sie im Verlauf des Treffens am Reden gehindert worden. So wie Hofmann ging es auch den beiden Vorsitzenden der "Content and Themes Caucus"-Sitzung, in der die Strategie und Sprecher für den folgenden Tag benannt werden sollten. "Wir wurden schlicht unterlaufen von Regierungsspitzeln," so Hofmanns Resümee gegenüber heise online.

Ralf Bendrath, Beobachter des WSIS-Prozesses für die Heinrich-Böll-Stiftung, berichtet von Anzeichen für gezielte Aktionen gegen die Zivilgesellschaft. "Die Behörden haben eigens neue Leute mit Bussen von Tunis zum Treffen der 'Content and Themes'-Gruppe der Zivilgesellschaft gekarrt," schreibt Bendrath. Inzwischen sei, so bestätigte er gegenüber Heise Online, sei auch die Webseite der Tunesischen Menschenrechtsliga vom Konferenzort aus nicht mehr erreichbar.

Der Aufruhr dürfte vermutlich ein Nachspiel haben. Er konnte den internationalen Regierungen nicht verborgen bleiben, da sie während der Blockade des Plenums gestern eine Stunde auf die Rückkehr der Zivilgesellschafts-Vertreter warten mussten. Mit Blick auf die Kosten und die noch vorhandenen riesigen Finanzierungslücken für den aufwendigen Prozess ist bereits ein Teil der weiteren Vorbereitungstreffen nach Genf zurück verlegt wurden. Gestern Abend verdichteten sich nun die Anzeichen dafür, dass die EU-Delegation heute einen Antrag stellen könnte, den Gipfel selbst erneut in Genf und nicht wie geplant in Tunis abzuhalten. Obwohl die EU sich schon im Vorfeld kritisch zur Gastgeberrolle Tunesiens geäußert hatte, wäre dies ein gewaltiger Paukenschlag. Die Reaktionen arabischer und afrikanischer Länder wären unabsehbar. Bendrath mahnte, der Kontakt zu den tunesischen Menschenrechtsaktivisten dürfe auf keinen Fall abreißen.

Siehe zum Thema auch:

(Monika Ermert) / (psz)