Heftige Diskussionen über die künftige Internet-Verwaltung

Die Vorstellungen, wie künftig im Internet regiert werden soll, gingen beim Treffen der Regierungen, Internet-Organisationen, Wissenschaftler und Unternehmen bei der UN in Genf weit auseinander.

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Von
  • Monika Ermert

Die Vorstellungen, wie künftig im Internet regiert werden soll, gingen beim Treffen der Regierungen, Internet-Organisationen, Wissenschaftler und Unternehmen bei der UN in Genf weit auseinander. Massive Veränderungen für die Internet Corporation for Assigned Names and Number (ICANN) forderte allen voran die Association for Progressive Communications (APC). Deren Sprecherin Karen Banks forderte, die Kontrolle über die private Netzverwaltung zuerst von den USA an UN-Generalsekretär Kofi Annan zu übertragen. Langfristig sollte, meinte Banks, der Übergang zu einer neuen Organisation unter Beteiligung der verschiedenen Parteien (Regierungen, Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft) realisiert werden.

"Es ist ein weitreichender Vorschlag", sagte Banks gegenüber heise online, "bisher haben sich alle zurückgehalten, aber das Problem wird sich nicht in Luft auflösen." Auch Chinas Vertreterin bezeichnete das Fehlen einer verfassten internationalen Organisation für Internet Governance als ein Hauptproblem. Allerdings betonte Hu Qiheng von der staatsnahen chinesischen Internet Society anders als die Vertreterin der Zivilgesellschaft die Rolle der Regierungen. "Nach dem rasanten Wachstum des Internet ist eine reine Selbstregulierung nicht mehr angemessen. Regierungen sind die Vertreter des staatlichen und öffentlichen Interesses, kein privates Unternehmen und keine zivilgesellschaftliche Organisation kann so wie die Regierung die Interessen der Öffentlichkeit vertreten." Regierungen müssten daher die zentrale Rolle spielen.

Die derzeitige Vertretung der Regierungen im Regierungsbeirat der ICANN (GAC) entspreche mehr der Art der Beteiligung von Nicht-Aktionären bei der Aktionärsversammlung eines privaten Unternehmens, kritisierte der brasilianische Vertreter. Ebenso wie die Aussage, die derzeitige Netzverwaltung sei privat und unabhängig, gehöre diese Behauptung ins Reich der Mythen. Die Netzverwaltung ähnele doch eher einer Regierungsbehörde. Mehr Einfluss der internationalen Gemeinschaft bedeute überhaupt nicht, dass freie Rede oder freie Entwicklung der Technologie behindert werden. Mehr Regierungseinfluss hatte auch das norwegische Außenministerium gefordert. Die EU, die sich in letzter Minute abgesprochen hatte, betonte zwar die Notwendigkeit, auf bestehende Strukturen der Netzverwaltung aufzubauen, reklamierte aber für die UN-Arbeitsgruppe mindestens die Hälfte der Sitze.

Nitin Desai, Berater von Kofi Annan in Fragen Informationsgesellschaft, und der Schweizer Diplomat Markus Kummer hatten für diese Runde der Beratungen vor allem Vorschläge für die Zusammensetzung und Arbeitsweise der UN-Arbeitsgruppe zu Internet Governance erbeten. Allerdings waren die Vorschläge am Ende des ersten Tages der Beratungen aus Desais Sicht noch zu unklar. Die Ergebnisse werden Desai und Kummer in der kommenden Woche dem UN-Generalsekretär mitteilen, der dann den Chef und die Mitglieder der Arbeitsgruppe auswählen soll.

Die Beteiligten müssen dann vor allem eine Menge Zeit mitbringen, schon allein, um die akademischen Papiere zu verdauen, die nun zum Thema Internet Governance publiziert werden. All die voluminösen Papiere und Essays versuchen, den Cyberspace zu vermessen und seine Akteure, Aufgaben und Probleme zueinander in Beziehung zu setzen. Das vor allem von US-Professor Milton Mueller vorangetriebene Internet Governance Project möchte dabei den Regierungen die Probleme der eigentlichen End-zu-End-Kommunikation zwischen den an das Internet angeschlossenen Geräten nahe bringen und im Unterschied zur Regulierung der Übertragungswege als einen der wichtigsten Ziele von Regulierung darstellen. William Drake, Chef der Computer Professionals for Social Responsibility, verortet dagegen Zivilgesellschaft und Entwicklungsländer in unterschiedlichen Lagern. Die stark westlich geprägte Zivilgesellschaft sieht sich viel eher bei privaten Regulierungsansätzen vertreten, genau dort wo sich die Entwicklungsländer ausgeschlossen fühlen.

Eine Art TCP-IP-Protokoll nicht nur fürs Technische, sondern auch für die Politik und das Regieren im Internet schlägt wiederum Wolfgang Kleinwächter von der Universität Aarhus vor. So wie das DNS-Rootserver-System zu bestimmten Adresszonen weiterleitet, sollte ein zentraler Governance-Server Fragen zu den entsprechenden Organisationen und Institutionen geben. Der Architekt für dieses Gebilde hat es allerdings wohl eher schwerer als die ursprünglichen TCP-IP-Architekten, wie eine Grafik der komplizierten Anlage des Cyberspace von der Schweizer DiploFoundation zeigt. Vielleicht stehe man vor einem echten Durchbruch beim Thema Internet Governance, sagte DiploFoundation-Direktor Jova Kurbalija. Aber vorerst ruhen auf den technisch stabilen Fundamenten im Keller und ein paar von Juristen hochgezogenen Wänden im ersten Stock ziemlich wackelige Geschosse für entwicklungspolitische, wirtschaftliche und soziale Räume.

Aufgabe der UN-Arbeitsgruppe ist es nun, die vielen potenziellen Hausbewohner ein wenig mehr auf einen gemeinsamen Bauplan einzuschwören. "Eine furchterregende Aufgabe", kommentierte Desai, wenn er daran denke, wie schwer er sich gerade damit tue, zusammen mit seiner Frau diese Dinge zu entscheiden. Immerhin hat der Ideenaustausch begonnen: Wie wäre es, fragte etwa die tunesische Vertreterin Faryel Mouria Beji, wenn man Internetnutzer in aller Welt stärker in die Beratungen einbindet, zum Beispiel nach dem Modell des ursprünglichen At-Large-Prozesses innerhalb der ICANN. Der sollte die Internet-Nutzer durch Wahlen für die Internet-Verwaltung an den Entscheidungsprozessen beteiligen -- ein Projekt, das die ICANN nach dem ersten Anlauf allerdings schnell wieder aufgab. (Monika Ermert) / (jk)