Pharma & IT: Einsatz von Rich Internet Applications im Pulklese-Verfahren

Bei einer Webapplikationen zur Fälschungssicherung von Arzneimitteln via RFID kommt das Thema Rich Internet Application (RIA) zum Tragen und damit ein an zunehmender Bedeutung gewinnendes Framework namens Vaadin ins Spiel.

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Von
  • Eldar Sultanow
  • Dr. Michael Kreutzer
Inhaltsverzeichnis

Das Pharma-Umfeld wird zunehmend durch Arzneimittelfälschungen und Qualitätsunsicherheiten belastet – es sei an aktuelle Schlagzeilen aus Mainz erinnert. Der Artikel stellt ein Pharma-Sicherheitskonzept vor, das auf RFID-Techniken gründet. Bei den Webapplikationen zur Fälschungssicherung von Arzneimitteln via RFID kommt das Thema Rich Internet Application (RIA) zum Tragen und damit ein an zunehmender Bedeutung gewinnendes Framework namens Vaadin ins Spiel.

Bei Arzneimitteln konzentrieren sich die Sicherheitsmaßnahmen vor allem auf die Entwicklung, Herstellung und Anwendung. Bereiche wie die Produkt-, Informations- und Anwendungssicherheit sind präzise reglementiert und streng überwacht. Denn immer mehr Vertriebswege sind daran beteiligt (Hersteller, Dienstleister, Zwischenhändler oder Apotheken, Praxen und Ambulanzen). Mit zunehmender Zahl der Beteiligten nimmt die Transparenz ab. Die Anfälligkeit des bestehenden Systems erleichtert das Einschleusen illegaler Ware oder Fälschungen.

Die Weltgesundheitsorganisation ließ in einer Studie 335 Fälle von Arzneimittelfälschungen analysieren (German Pharma Health Fund e.V.): 60 Prozent hatten gar keinen Wirkstoff, 17 hatten die falsche Menge des Wirkstoffs, 16 gar einen falschen und nur 7 Prozent enthielten den richtigen Wirkstoff. Laut der Organisation beträgt der Anteil gefälschter Arzneimittel am gesamten Warenverkehr circa 10 Prozent weltweit und liegt bei rund 25 Prozent in Regionen wie Asien und Russland und sogar 50 Prozent in einigen Entwicklungsländern. Das jährliche Umsatzvolumen mit gefälschten Arzneimitteln wird auf 100 Milliarden US-Dollar geschätzt. Das zeigt die Notwendigkeit des im Folgenden in seiner Architektur vorgestellten "QS on Demand"-Systems der XQS-Service GmbH.

Es handelt sich um ein RFID-gestütztes Track & Trace-System für Arzneimittel, das den Einsatz fälschungssicherer, massenserialisierbarer Originalitätsmarker mit packungsbezogener Verfolgung kombiniert. Das System kontrolliert Wege in der Lieferkette, Vertriebskanälen, Herstellungsschritten, in der Rezeptur und Kommissionierung bis hin zur Abgabe. Darüber hinaus erfolgt eine Qualitätssicherung via Temperaturüberwachung, Ermittlung des Lieferstatus und der Ursachenbestimmung bei Fehlleitungen.

Die zentrale Erfassung von nicht veränderbaren Kennzeichen auf dem Arzneimittel erfolgt mit RFID, da Silizium schwerer zu kopieren ist als ein drucktechnisch hergestellter Aufkleber oder eine andere Kennzeichnung. Das "QS on Demand"-System setzt sich zusammen aus (RIA-)Anwendungen für das Pulklese-Verfahren, die Temperaturüberwachung mit RFID und einem elektronischen Pharma-Lieferschein einschließlich Edgeware und Schnittstellen zu ERP-Systemen wie SAP und Cypro. Der elektronische Pharma-Lieferschein ist eine Logistikkomponente, wobei die versendende Stelle einen mit RFID-Elektronik versehenen Drucker enthält. Er kann RFID-Tags direkt in das Papier drucken. Die Warensendung geht mit dem elektronischen Lieferschein zum Kunden, der ihn über die Terminalbox in sein ERP-System einlesen kann.

Die gesamte Architektur richtet sich nach der in Abbildung 1 dargestellten Prozesskette. Der Hersteller bringt die RFID-Tags an. Danach beschreibt und versendet er die Arzneimittelsendungen an den Großhandel. Das kann beim Packmittelhersteller, während der Verpackung oder extern und außerhalb des Herstellungsprozesses erfolgen. Danach lassen sich die markierten Arzneimittel an der Lesestation via Einzel- oder Pulklese- Verfahren mit der weiter hinten dargestellten Vaadin-Applikation erfassen. Bei größeren Mengen werden dafür ausgelegte Lesegeräte (Tunnelreader) eingesetzt.

Die Gesamtarchitektur verdeutlicht die Prozesskette (Abb. 1).

Darauf versendet der Großhandel die Arzneimittel an die Apotheken, die wiederum ihre Lieferung an einer Lesestation erfassen, und zwar an einem XQS-Terminal. Apotheken und Arzt ziehen die Packung über ein kleines Lesegerät oder legen sie in eine Leseschale. Der Terminal liest aus den Tags die Arzneimittelinformationen, die Temperaturen und überprüft, ob sie alle im Gültigkeitsintervall liegen – falls nicht, werden im Temperaturgraphen die Bereiche (Uhrzeit, Dauer) angezeigt. Der Apotheker bereitet die Arzneimittel zu oder gibt sie direkt an den Facharzt (oder Patienten) ab. Über die Schnittstelle des Terminals zum Materialwirtschaftssystem lassen sich die entgegengenommenen Arzneimittel automatisch in das ERP-System einpflegen. Auch der Facharzt verfügt über ein mit RFID-Lesegerät ausgestattetes Terminal, an dem er das Medikament erfasst, bevor er es zubereitet oder verabreicht.

"Kühlware wie Blutbeutel oder Medikamente unterliegen einer Temperaturüberwachung" (Abb. 2)

Arzneimittel sind temperatur- oder lichtempfindlich, und Kühlware wie Blutbeutel oder Medikamente unterliegen einer Temperaturüberwachung (siehe Abbildung 2). Es wurden deshalb unterschiedliche Temperatursensortypen getestet (Genauigkeits-, Robustheitstests) und Evaluierungskriterien sowie eine Testumgebung erstellt, denn nur ein ausgereiftes Produkt darf in ein derartiges Qualitätssicherungssystem integriert werden. Für die Temperatursensorik wurde KSW-VarioSens als adäquate Lösung für eine Integration gewählt, ein RFID-Temperatur/Zeit-Datenlogger im Kreditkartenformat mit einer klebenden Rückseite, die auch als Etikett applizierbar ist. Parametrisierung, Starten, Stoppen und Datentransfer erfolgen über ein kontaktloses Interface gemäß ISO-Standard 15693 mit entsprechendem Treiber und Software. Eine Lithium-freie Filmbatterie ermöglicht das Schreiben von 15.000 Messwerten. Der Speicherbereich ist für 720 Messwerte ausgelegt und wiederbeschreibbar. Das System "QS on Demand" integriert den Logger und stellt Schnittstellen sowie eine Terminal-Software für den Einsatz der Logger bereit.

Wie eingangs erwähnt kommt für die Entwicklung der Applikation ein RIA-Framework zum Einsatz. Solche Frameworks stellen ein Konglomerat aus serverseitigen MVC- und clientseitigen JavaScript- und AJAX-Frameworks dar und sind Webanwendungen, die mit Fokus auf Usability und Interaktivität zur Laufzeit Datenbankabfragen generieren, die Daten im Webbrowser benutzergerecht visualisieren und zudem animiert sind. Das im konkreten Fall genutzte Vaadin-Framework ist unter der Apache-Lizenz 2.0 veröffentlicht, und sein Name steht im Finnischen für ein weibliches Rentier, was sich wiederum mit "Ich beharre" übersetzen lässt.

Vaadin basiert auf Googles Web Toolkit (GWT) und bietet eine serverseitige Architektur (sprich ein Großteil der Logik läuft auf dem Server). Es verwendet die AJAX-Technik, um im Webbrowser Interaktivität sicherzustellen. Das Framework stellt eine große Sammlung von GUI-Komponenten bereit, mit denen man die Oberfläche der Anwendung schreibt. Die Komponenten benutzen Events, Listener und Datenbindungen, um miteinander zu kommunizieren. Vaadins Architektur ist robust und für die schnelle Entwicklung von Anwendungen ausgelegt. Die Komponentenarchitektur zusammen mit den Datenbindungsfunktionen hilft Entwicklern, modulare Webapplikationen zu erstellen.

Die "QS on Demand"-Applikation verarbeitet alle über das Pulklese-Verfahren gelesenen Arzneimittel und zeigt sie im Vaadin-Frontend an. Für die Pulklesung wird die Phasenjittermodulation eingesetzt – ein Verfahren, das für die schnelle Identifikation einer großen Menge von Transpondern (RFID-Tags) ausgelegt ist (siehe Abbildung 3). Sie setzt voraus, dass zur Kennzeichnung von Arzneimitteln HF-Systeme (13,56 MHz) mit Phasenverschiebung des Funksignals verwendet werden. Damit sorgt sie für die Pulkerfassung, eine hohe Übertragungsrate, keine Interferenzen, keine Signaldämpfung durch Flüssigkeiten, Antikollisionsmerkmale, Lesesicherheit sowie für Feuchtigkeits- und Verschmutzungsresistenz.

Der Tunnelreader liest 160 chaotisch angeordnete Arzneimittelpackungen (links) und 240 Kompressionsstrümpfe in 120 Packungen (Abb. 3).