100 Jahre Verstärkerröhre

Heute vor einhundert Jahren reichte der österreichische Wissenschaftler Robert von Lieben beim kaiserlichen Patentamt des deutschen Reiches seinen Patentantrag DRB179807 zum Kathodenstrahlrelais ein.

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Von
  • Andreas Stiller

Eine Liebenröhre von 1910 mit Gitter [Klicken für Großansicht] (Bild: H.T. Schmidt)

Heute vor einhundert Jahren, am 4. März 1906, reichte der österreichische Wissenschaftler Robert von Lieben beim kaiserlichen Patentamt des deutschen Reiches seinen Patentantrag DRB179807 (PDF-Datei) über das, wie er es nannte, Kathodenstrahlrelais ein: "Die vorliegende Erfindung bezweckt, mittels Stromschwankungen kleiner Energie solche von großer Energie auszulösen, wobei die Frequenz und Kurvenform der ausgelösten Stromschwankungen denen der auslösenden entsprechen." Die von einer Glühkathode ausgesendeten Kathodenstrahlen sollen durch magnetische oder elektrostatische Felder so beeinflusst werden, dass kleinere Schwankungen der Felder größere Stromschwankungen in dem Kathodenstromkreis, – von von Lieben als "Stromwellen" bezeichnet – hervorrufen. Das kann man zumindest von der Beschreibung her als die Geburt der ersten Verstärkerröhre betrachten, gedacht vor allem als Telefonieverstärker.

Bevor jedoch das Patent am 19. November 1906 veröffentlich wurde, hatte der Amerikaner Lee de Forest beim US-Patentbüro unter der Nummer 841387 ein Patent für verschiedene Röhrentypen beantragt, von denen eine in "Claim 6" genau diese Beeinflussung durch eine dritte Elektrode innerhalb der Röhre vorsah – eine Vorstufe des Gitters also, das zwei Jahre später folgte. Lee de Forest ist damit der Erfinder der Triode oder auch Rundfunkröhre, denn ihren Hauptzweck sah de Forest vornehmlich im Radiobereich. Nur wenig später schaffte er damit auch Rundfunkübertragungen, berühmt geworden ist die Live-Übertragung aus der Met im Januar 1910, unter anderem mit der Oper Pagliacci, gesungen von Enrico Caruso.

Während in Deutschland in den 30er-Jahren vorrangig von Lieben die Erfinderpriorität zuerkannt wurde, gilt weltweit de Forest als Erfinder der Elektronenröhre allgemein, was man aber aufgrund des obigen Patents ebenfalls deutlich einschränken muss. Zudem hatte der Brite Sir John Ambrose Fleming schon im Jahre 1904 seine Diode zum Patent angemeldet ("Instrument for Converting Alternating Electric Currents into Continuous Currents"). Fleming beziehungsweise die Firma Marconi, welche die Rechte übernahm, und de Forest respektive AT/T und später dann die Vereinigten Staaten stritten sich nahezu vierzig Jahre um die Patente. Der U.S. Supreme Court wies letztlich Ansprüche von Fleming/Marconi ab – und zwar weil Thomas Alva Edison und Johann Wilhelm Hittorf sowie einige andere Wissenschaftler die Glühemission und die Beeinflussung von Kathodenstrahlen in einer Röhre schon zwanzig Jahre vor der reklamierten Erfindung beschrieben hätten.

In Deutschland beziehungsweise Österreich baute von Lieben zusammen mit seinen Mitarbeiten Reisz und Strauss ebenfalls ein Gitter in "seine" Röhre ein und ein Industriekonsortium übernahm 1911 die Rechte und übertrug sie der Tochterfirma Telefunken, die dann die kriegswichtige Röhre schnell weiterentwickelte.

Statt nun einen Erfinder allein zu küren, sollte man allen drei diese Ehre zukommen lassen: Fleming für die Diode, von Lieben für die Verstärkerröhre und de Forest für die Triode und Rundfunkröhre. Viele weitere Bilder und Informationen rund um die Röhre sind auf den Websites von Hans-Thomas Schmidt und im Radiomuseum zu finden.

Mehr zu von Lieben, de Forest und Fleming bringt c't in der kommenden Ausgabe, die ab Montag (6. März) im Handel erhältlich ist. (as)

  • Röhrenradau, 100 Jahre Streit um die Röhre, c't 6/06, S. 67