Vom GUI zum NUI

Craig Mundie, Chefstratege von Microsoft, hat die Vision des Softwarekonzerns für 3D-Technologien skizziert: Online-Shopping, Websuche und Computerspiele sollen zur erweiterten Alltagswelt von Nutzern werden.

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Von
  • Erica Naone

Craig Mundie, Chefstratege von Microsoft, hat die Vision des Softwarekonzerns für 3D-Technologien skizziert: Online-Shopping, Websuche und Computerspiele sollen zur erweiterten Alltagswelt von Nutzern werden.

Für 3D-Kino und –Displays markiert das Jahr 2010 den endgültigen Durchbruch. Auch Microsoft setzt auf die neue Technologie: Sie werde „die Menschen dazu bringen, den Computer nicht mehr nur als Werkzeug zu sehen“, sagt Microsofts Chef-Stratege Craig Mundie. Rechner würden zu einer natürlichen Erweiterung unserer Alltagsumgebung. In einem Vortrag am MIT hat Mundie nun die Vision des Software-Konzerns umrissen: Online-Shopping, Websuche und Computerspiele – all das sollen Nutzer demnächst in 3D erleben können.

Dank besserer Chips, Bildschirme und Sensoren könne die klassische grafische Benutzeroberfläche – oder GUI für graphical user interface – der „natürlichen Benutzeroberfläche“ – oder NUI für natural user interface – weichen, sagt Mundie. Nutzer würden künftig mit dreidimensionalen Darstellungen von Inhalten ganz einfach über Gesten und Stimme interagieren können. Diese Steuerung lasse sich leichter lernen als Menüs, Scrollbalken oder Doppelklicks, mit denen sich viele Menschen bis heute herumplagen.

Dank des NUI könnten sich Nutzer dann auch mehr auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren. Bislang absorbiere der Umgang mit Software zu viel Aufmerksamkeit, selbst bei geübten Nutzern, beklagt Mundie.

Viele Programme erfordern heute „anwendungsspezifische Prothesen“, wie Mundie es ausdrückt, etwa Lenkräder als Schnittstelle zu Autorennen in Computerspielen. Für NUIs würden hingegen Peripheriegeräte wie Kameras, die Nutzerbewegungen aufzeichnen, genügen. Zudem ließen sich diese Zusatzgeräte vielfältiger einsetzen als heutige Bedienhilfen, die oft nur eine einzige Funktion haben.

Im November will Microsoft laut Mundie den „Kinect“-Sensor für die Spielkonsole Xbox 360 herausbringen. Er umfasst ein Spracherkennungsmodul sowie eine Kamera zur Gestenerkennung. Die Sensoreinheit soll rund 150 Dollar kosten. Mit Hilfe von Kinect sollen Nutzer dann Computerspiele ohne zusätzliche Bediengeräte spielen können. Für Microsoft ist dies der erste Schritt zu einer 3D-Interaktion, der 3D-Displays populärer machen soll. „Wir wollen ein Spiel-Genre schaffen, bei dem Nutzer nicht mehr darüber nachdenken müssen, wie sie ihre natürlichen Bewegungen auf den Computer übertragen“, sagt Mundie.

Den Ansatz hat Mundie mit einem Konzeptvideo für das Game „The Spy from the 2080s“ demonstriert, an dem mehrere Spieler in 3D und in Echtzeit teilnehmen und zu dem auch eine Fernseh-Show gehört. Aus der können die Spieler Hinweise entnehmen, die sie dann mit anderen zusammen auf ihren Konsolen weiterverfolgen. Im Konzeptvideo beeinflusst das Spiel wiederum den weiteren Verlauf der TV-Show.

Computerspiele sind für Mundie aber nur der Anfang von Microsofts neuer 3D-Welt. Später soll auch das Web eine räumliche Darstellung bekommen. In einem Online-Shop könnte ein Nutzer dann das Produkt virtuell in die Hand nehmen, von verschiedenen Seiten betrachten oder auch hineinschauen, wie Mundie während seines Vortrags in einem weiteren Demo gezeigt hat.

Bis dahin müsse aber noch einiges geschehen, räumt Mundie ein. „Wir brauchen viel mehr leistungsfähige Computer.“ Die meisten Rechner könnten heute noch keine hochauflösenden 3D-Videos in Echtzeit bewältigen. Auch konzeptionell gibt es noch offene Fragen. So müsste etwa die Gestenerkennung standardisiert werden, damit ein Rechner unterscheiden kann, ob eine Handbewegung als Steuerbefehl gemeint ist oder als Teil einer Unterhaltung mit einem anderen Spieler.

Microsoft sei gut beraten, mit Computerspielen zu starten, urteilt Norbert Hildebrand von der Marktforschungsfirma Insight Media, die sich auf neue Display-Technologien spezialisiert hat. Entscheidend für 3D-Technologien sei, dass es genug Inhalte gebe. Spiele seien hierfür hervorragend geeignet, weil sie bereits dreidimensional erstellt und nur für heutige Konsolen wieder auf zwei Dimensionen heruntergerechnet würden. Sie für 3D-Bildschirme aufzubereiten, sei relativ einfach.

Im Web hingegen seien einige Investitionen nötig, um Online-Shops oder -Werbung dreidimensional zu produzieren. 3D-Shopping, wie Mundie es anvisiert, hält Hildebrand zum jetzigen Zeitpunkt für „Marketing-Gerede“. Ein Problem sei, dass derzeitige 3D-Displays Text nicht gut darstellen könnten. Werbefirmen könnten im Moment nur Hybridversionen bauen, in denen Produktbilder in 3D und Informationstexte in 2D vermengt sind.

Der Durchschnittsuser betrachte 3D-Darstellungen noch nicht als Alltagstechnik, sondern als eine Technologie für spezielle Anwendungen, glaubt Hildebrand. Einige Marktforscher deuten die steigenden Verkäufe von 3D-fähigen HD-Fernsehern als Zeichen, dass die Verbraucher sich allmählich auf die Technik einlassen. Ob die Verbraucher die Geräte nur wegen HD-TV kaufen oder auch explizit wegen der 3D-Darstellung, ist allerdings unklar. Es sei schwierig zu messen, ob sie die 3D-Technik überhaupt nutzten und wenn ja, wie oft, schränkt Hildebrand ein.

Damit Mundies 3D-Vision Wirklichkeit werde, müssten einige Faktoren zusammenkommen: Inhalte, noch größere Bandbreiten und schnellere Prozessoren für die 3D-Videodaten, so Hildebrand. Ganz wichtig sei aber eine neue Generation von 3D-Bildschirmen, die keine Spezialbrillen mehr benötigt. (nbo)