Softwarepatente: Last-Minute-Lobbying vor dem Parlamentsbeschluss

1&1, Buch.de und Bundestagsabgeordnete ermahnen die EU-Parlamentarier, dem Monopolschutz bei Computerprogrammen klare Grenzen zu ziehen, aber auch die Gegenseite ist noch einmal aktiv.

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Die börsennotierten Unternehmen 1&1 Internet und Buch.de sowie die Initiatoren des Bundestagsantrag gegen Softwarepatente haben deutsche EU-Abgeordnete in eindringlichen Schreiben ermahnt, dem Monopolschutz bei Computerprogrammen klare Grenzen zu ziehen. Sie hoffen damit, kurz vor der entscheidenden 2. Lesung der umkämpften EU-Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" Mitte der Woche im EU-Parlament in Straßburg noch Einfluss auf die Entscheidung der Volksvertreter nehmen zu können. Für den Fall, dass die Abgeordneten den Vorschlägen des Rechtsausschusses folgen oder die auch in den eigenen Reihen umstrittene Vorlage des EU-Rates durchgehen lassen, skizzieren die Verfasser der Briefe unheilvolle Folgen: Sollte es keine Sicherheit vor patentrechtlichen Angriffen in der EU geben, sieht 1&1-Technikvorstand Achim Weiss etwa die "Fortsetzung unseres Wachstums" und die Aufrechterhaltung der 4747 von dem Online-Haus geschaffenen Arbeitsplätzen in Gefahr.

Aber auch die Gegenseite ist noch einmal mit ganz ähnlichen Argumenten aktiv: Die Vorstandsvorsitzenden von Siemens, Alcatel, Ericsson, Nokia und Philips warnen in einem gemeinsamen Schreiben davor, den Entwurf des Rates noch zu verändern. Sonst seien die Hightech-Konzerne ebenso in Gefahr wie die "Beschäftigung in Europa" und "Investitionen in Zukunftstechnologien". Auch Intel macht sich bei den Parlamentariern noch für die Rats-konformen Empfehlungen des Rechtsauschusses stark.

"Bei reiner Software überwiegen für 1&1 die Nachteile des Patentwesens klar gegenüber den Vorteilen", wendet sich dagegen Weiss von 1&1 an die deutschen EU-Abgeordneten der noch hin und her gerissenen Europäischen Volkspartei (EVP). "Hierbei beziehen wir uns nicht nur auf unser eigenes Unternehmen, sondern vor allem auf die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland und der Europäischen Union, von denen mehr als eine Million mit ihren Webseiten zu unseren Kunden zählen. Weil sie für ihre Webpräsenz Software veröffentlichen, beispielsweise für Kontaktformulare oder in Form von Internet-Shops, sind auch sie alle von der Richtlinie betroffen." Die Position des Ministerrates würde die Spieler im Markt stärken, "die Patente gegen Unternehmen wie unseres und die unserer Kunden verwenden möchten." Weiss plädiert daher für die Aufrechterhaltung des "Schutzes", den "die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Begriff der Technik" aktuell noch darstelle. Er bittet die Unionsvertreter, auf jeden Fall an der Abstimmung teilzunehmen und bei den teilweise bereits von EVP-Vertretern mitunterstützen neuen Kompromissvorschläge des Berichterstatters Michel Rocard ihr Kreuz zu machen.

"Softwarepatente gefährden die freie Marktwirtschaft und die Innovationsfähigkeit unserer europäischen E-Commerce- und IT-Industrie", warnt auch Albert Hirsch, Vorstandssprecher der buch.de internetstores AG, mit ganz ähnlichem Tenor in einem offenen Brief an Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, EU-Parlamentarier sowie CDU/CSU-Bundes- und Landesverbände. Die Nummer Zwei im deutschen Internethandel, die neben buch.de unter anderem bol.de oder thalia.de betreibt, befürchtet anscheinend vor allem, dass der US-Platzhirsch Amazon bald mit bereits vom Europäischen Patentamt gewährten breiten Schutzansprüchen wie auf Bestellvorgänge über Netzwerksysteme per Klage bei ihr vorsprechen wird. "Wir wenden uns nicht gegen Patente an sich, solange diese einen klaren Technikbezug haben, also sich auf den Einsatz kontrollierbarer Naturkräfte beziehen", betont Hirsch. Sein Haus würde eine gesetzliche Regelung begrüßen, wie sie das EU-Parlament in 1. Lesung erarbeitet habe.

Dafür machen sich auch die Initiatoren des interfraktionellen Bundestagsantrags zur "effektiven Begrenzung" von Softwarepatenten -- Jörg Tauss von der SPD, Jerzy Montag (Grüne), Rainer Funke (FDP) sowie Günter Krings aus der Union -- in einem Brief an ihre EU-Kollegen stark. Sie erinnern noch einmal an die Zielsetzung ihres Papiers. Im Mittelpunkt stünden Forderungen nach einem eindeutigen und trennscharfen Technikbegriff nach dem BGH-Vorbild, einem Ausschluss von Trivialpatenten und so genannten Programmansprüchen sowie der Sicherung der Interoperabilität zwischen unterschiedlichen Computersystemen. Der Ratsentwurf könne dagegen keine Rechtssicherheit schaffen und habe bei der Wahrung der Interessen mittelständischer Software-Unternehmen nicht überzeugt.

Voller Sorge hat sich ferner der Bürgermeister der fränkischen Stadt Treuchtlingen, Wolfgang Herrmann, an einen federführenden EU-Abgeordneten der Union gewandt. Nachdem nicht nur seine Gemeinde "als Anwenderin von Open-Source-Software betroffen ist, sondern zwischenzeitlich viele Städte und Unternehmen, halten wir es für gefährlich und ein Unding, wenn eine so weitreichende Richtlinie beschlossen würde", empört sich der CSU-Politiker unter Verweis auf eine Eingabe der Stadtväter der Linux-Städte München und Wien. Bei einer aktuellen Umfrage der Gulp Information Services GmbH unter 316 selbstständigen IT-Experten und Projektanbietern sahen zudem 70 Prozent ihre berufliche Existenz gefährdet, falls die Ratsversion Gesetz werden sollte. 74 Prozent der Projektanbieter befürchteten eine Zunahme der Bürokratie.

Weiter in der Kritik steht der rechtspolitische EVP-Sprecher Klaus-Heiner Lehne. Der Rechtanwalt, der in der auch auf Patentrecht spezialisierten Düsseldorfer Kanzlei Taylor & Wessing als Regulierungsbeauftragter tätig ist, wies zwar selbst den Vorwurf des Interessenskonflikts entschieden zurück. Nun hat die Unternehmerinitiative gegen Softwarepatente aber herausgefunden, dass der Ansprechpartner bei der Sozietät für den Regulierungsbereich, Andreas Haak, zugleich auch als Assistent Lehnes im EU-Parlament geführt wird. Die Unternehmerinitiative sieht die Befangenheitsvorwürfe damit noch nicht vom Tisch. Begleitet von Demonstrationen von Mittelständlern und Bürgernetzen müssen die Abgeordneten am Mittwoch nun abstimmen. Die Entscheidung dürfte vielen von ihnen nach der immensen Lobbyschlacht schwer fallen.

Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente in Europa und die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)