Die Woche: Pest oder Cholera

Während Apple in seinem App Store ein strenges Regiment führt und auch Anwendungen ablehnt, deren Inhalte dem Unternehmen nicht passen, steht der Android Market jeder App offen. Für den Benutzer ist beides ärgerlich.

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Von
  • Andrea Müller

Hätte mir jemand im Juni gesagt, dass ich mal ein iPad benutzen würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Ob des Medienhypes um die Wunderflunder hatte ich eine gesunde, von rationalen Gründen gänzlich ungetrübte Aversion gegen das Tablet aus Cupertino entwickelt. Jetzt hatte ich beruflich die Gelegenheit, zwei Wochen ein iPad zu benutzen und viel ist von meiner anfänglichen Abneigung nicht übrig geblieben; das Gerät macht einfach Spaß, auch mir.

Womit ich mich jedoch bis heute nicht anfreunden kann, ist Apples Gebaren als Hausherr des App Store. Nur Programme, die Apples Segen erhalten, werden zugelassen. Das wäre nicht weiter schlimm, gäbe es für Entwickler auch andere Plattformen, über die sie Apps verteilen könnten, aber dem hat Apple einen Riegel vorgeschoben. Für Entwickler, die ihre Software aufs iPad oder iPhone bringen wollen, führt kein Weg am App Store vorbei. Dabei gilt es nicht nur, formale Qualitätskriterien einzuhalten, sondern jede Anwendung wird von Apple-Mitarbeitern geprüft, bevor sie im App Store erscheinen darf.

Ob sie das tatsächlich darf, wird nicht unbedingt nach objektiven Kriterien entschieden, Apple behält es sich nicht nur vor, Apps aus funktionalen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen abzulehnen. Ein Mail-Client, der IMAP mit großen Verzeichnisbäumen auch auf dem iPhone und -Pad benutzbar macht? Brauchen wir nicht, es gibt doch das eingebaute Mail. Nackte Brust im Bild? Igitt, weg mit dem Schweinkram. Nicht zu Unrecht bemerken Kritiker, dass es von der Zensur erotischer Inhalte bis zur Zensur unliebsamer politischer Meinungen kein großer Schritt sei.

Browser-Anbieter Opera musste genau 20 Tage, 8 Stunden und 31 Minuten zittern, bis Apple der iPhone-App des Browsers die Tore zum AppStore öffnete. Da das iPhone bereits einen Browser als Kernkomponente enthält, war es beim Einreichen der App fraglich, ob Opera Mini überhaupt im App Store würde angeboten werden dürfen. Die norwegische Firma richtete eigens für den Prüfzeitraum einen Online-Counter ein, bei dem die Nutzer Wetten abgeben konnten, wie lange die Prüfung dauern würde. Das ist jedoch gar nichts gegen die über eineinhalb Jahre, die Google warten musste, bis seine Voice-App zugelassen wurde.

Ganz anders geht es in Googles Market für Android Apps zu: Mehr als ein Google-Konto braucht man nicht, um sich als Android-Entwickler zu registrieren und Apps in den Market hochzuladen. Hält man sich an wenige formale Vorgaben , steht die App unmittelbar nach dem Upload im Market-Regal. Entwicklern mit Google-Phobie steht es frei, ihre Apps über andere Plattformen oder einfach nur auf der eigenen Homepage anzubieten -- ideale Voraussetzungen, die unweigerlich zu einem riesigen Angebot an Apps führen müssen.

Bevor ich ein Android-Gerät hatte, schien der Market daher genau mein Ding zu sein: Als jemand, der gerne in einer breiten Software-Auswahl stöbert und Anwendungen ausprobiert, versprach mir der Market Vielfalt ohne Ende. Dass es damit nicht so weit her ist wie ich dachte, bemerke ich jetzt mit meinem Samsung Galaxy Tab. Alle Apps, die ich garantiert brauche, waren schnell installiert, aber das Herausfischen interessanter Nischen-Apps aus dem riesigen Software-Pool gestaltet sich nahezu unmöglich.

Allein wenn man durch die Neuzugänge im Market blättert, wird man von gefühlten 100 Jigsaw-Puzzeln erschlagen, bei denen die einzige Vielfalt in der Auswahl besteht, ob man knuffige Haustiere, US-Stars oder nackte Frauen zusammenschieben möchte. Die nahezu endlose Liste der scheinbar besonders leicht zu programmierenden Verschiebepuzzle lockern Klingeltöne und Wallpapers auf, ab und an kommen auch Liebhaber von digitalen Furzkissen auf ihre Kosten.

Ok, Quantität steht nicht für Qualität, aber so eine Enttäuschung hatte ich nicht erwartet. Selbst das Stöbern in den App-Kategorien macht nur wenig mehr Spaß. Da die Apps im Market keinerlei Qualitätskontrolle durchlaufen, gerät man immer wieder an welche, die reproduzierbar abstürzen, gar nicht erst starten oder Android gleich mit in den Abgrund reißen. Nach sieben Minuten Bistro Cook spielen wurde der Bildschirm schwarz und das Galaxy ließ sich nur durch einen Neustart wiederbeleben. Schade, eigentlich gefällt mir das Spiel. Ob die völlig ungeprüften Apps nicht irgendwelche Sicherheitslücken enthalten, habe ich mich auch schon mit etwas mulmigem Gefühl gefragt.

Als Benutzer wäre es mir lieber, Google hätte bei den Linux-Distributionen abgekupfert. Dort gehören nicht alle erdenklichen Anwendungen zum Kernangebot. Ubuntu und OpenSuse etwa pflegen Haupt-Repositories, bei denen die Anwender für jeden Zweck eine Vorauswahl an Anwendungen finden. Bei diesen können sie auch ziemlich sicher sein, dass sie wie beschrieben funktionieren und keine groben Fehler enthalten. Wer mehr will, kann zusätzliche Paketquellen aktivieren, die von der Community gepflegt werden, oder Software direkt von der Entwickler-Homepage beziehen.

Was würde gegen einen Market sprechen, bei dem Apps vor der Freischaltung -- zumindest auf Funktionsfähigkeit -- überprüft werden? Und wäre es wirklich ein Drama, würde Google Anwendungen wie ein zum Test geschriebenes und hochgeladenes "Hello World" genau wie reine Test-Anwendungen ablehnen – und auch das dreihundertste Verschiebepuzzle? Der Entwickler könnte seine App ja immer noch auf einer alternativen Plattform anbieten. Viele Nutzer würden sich über eine Qualitätskontrolle im Market freuen, kämen dann noch bessere Such- und Sortierfunktionen dazu, wäre der Market richtig nützlich. (amu) (amu)