Punkte für Produktivität

"Game Dynamics", also der Einsatz spielerischer Elemente bei der Arbeit, soll zu einem effizienteren Verhalten am Computer führen.

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Von
  • Erica Naone

"Game Dynamics", also der Einsatz spielerischer Elemente bei der Arbeit, soll zu einem effizienteren Verhalten am Computer führen.

Die meisten Menschen haben eine lange Liste mit Dingen, die sie gerne tun würden: Mehr Sport, ein sparsameres Leben oder der effizientere Umgang mit E-Mails und anderen Internet-Aufgaben. Es ist allerdings ungemein schwer, solche aufreibenden Ziele zu erreichen. Andererseits schaffen es spannende Computerspiele immer wieder, Nutzer die ganze Nacht über wach zu halten, um eine komplizierte Aufgabe zu bewältigen – und sei sie außerhalb der Rechnerwelt noch so sinnlos.

Gleich mehrere Internet-Firmen versuchen deshalb, Prinzipien aus Computerspielen auf das reale Leben zu übertragen. Dazu gehören etwa die Ortsdienste Foursquare und SCVNGR. Sie nutzen "Game Dynamics", Spieledynamik, um ihre "Mitspieler" zu motivieren. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe anderer Firmen, die Ähnliches probieren – übertragen unter anderem auf den Bereich der persönlichen Produktivität.

Ganz einfach ist dieser Ansatz allerdings nicht, wie das Start-up Baydin lernen musste. Es bietet Zusatzprogramme (Plug-ins) für die E-Mail-Werkzeuge Outlook und Google Mail an und testet gerade ein Spiel, mit dem der Nutzer leichter ans ultimative Ziel jedes E-Mail-Abarbeiters kommen soll: "Inbox zero", ein leeres, komplett erledigtes Eingangspostfach. Dabei zeigte sich aber, dass Game Dynamics manchmal ein unvorhersehbares und recht grobschlächtiges Werkzeug sein können.

"Wir versuchen, das Verhalten der Nutzer rund um ihre E-Mails zu verbessern", sagt Firmenchef Alexander Moore. Das Spielmotiv sei hierzu sehr gut geeignet. Die Hauptfrage dabei bleibe allerdings, welche Verhaltensmuster man dabei fördern und welche man "bestrafen" sollte.

Das Baydin-E-Mail-Spiel steht momentan als Prototyp-Version für Testzwecke zur Verfügung. Es nimmt sich jeweils 30 E-Mails aus der Inbox des Nutzers und bittet ihn dann, mit diesen zu arbeiten – sie zu archivieren, zu löschen, weiterzuleiten oder zu beantworten. Eine weitere Option ist der sogenannte "Bumerang": Dabei wird eine Botschaft markiert, später noch einmal im Eingangspostfach aufzutauchen. Es gibt eine Zeitvorgabe, in der der Nutzer entscheiden muss, was er mit jeder Nachricht anfängt – und für jede Entscheidung oder Aktion gibt es Punkte. Den Punktestand können die Mitspieler dann per Twitter ihren Freunden mitteilen – als eine Art Wettbewerbselement zum Angeben oder als Möglichkeit, innerhalb einer Clique einen "Highscore" zu erreichen.

Moore zufolge soll das Plug-in kostenlos verteilt werden. Ein Geschäftsmodell will man erst entwickeln, sobald genügend Nutzer mitmachen. "Das E-Mail-Spiel ist der Kern von etwas Großem und wir versuchen gerade, herauszufinden, was das genau ist", sagt der Baydin-Chef. Nicht nur er glaubt indes an die Idee: Auch der bekannte Silicon-Valley-Financier Dave McClure ist angetan und investierte in das Start-up.

Allerdings stellte sich im Probebetrieb heraus, dass es nicht so einfach ist, die Nutzer mittels Game Dynamics zu beeinflussen. So kam es vor, dass das Prototypsystem unbeabsichtigt schlechtes Verhalten belohnte. Gab es zu viele Punkte für das Löschen von E-Mails, verstanden das einige Nutzer als Aufruf zu einer großen "Delete"-Aktion, bei der auch Botschaften gelöscht wurden, die eigentlich besser beantworten werden sollten. "Es war sehr leicht, Anreize für ein Verhalten zu schaffen, das man gar nicht wollte", sagt Moore.

Solche unbeabsichtigten Konsequenzen haben die Entwickler bei Baydin aber auch davon überzeugt, dass ein Spiel sehr mächtig sein kann. So führten sie beispielsweise einen Timer ein, der rot blinkte, wenn die Nutzer zu lange mit einer einzelnen Aufgabe verbrachten – außerdem gab es gleich Punktabzug. Moore und seine Kollegen staunten, wie stark das dazu führte, dass Nutzer den Job schneller erledigten. "Wir hätten nicht geglaubt, wie machtvoll das sein kann."

Das Thema Game Dynamics habe in letzter Zeit recht viel Hype erfahren, meint B.J. Fogg, der den Bereich Design und Forschung am Persuasive Technology Lab der Stanford University leitet. Allerdings gelingt es dem Experten zufolge nur wenigen Spielen, Verhalten in der realen Welt dauerhaft zu ändern. Das funktioniere nur dann effektiv, wenn es sich um Dinge handle, die man auch ohne Spiel im Hinterkopf weiterführen könne.

Die zu finden, sei nicht leicht. Im Bereich E-Mail empfiehlt er Baydin deshalb, jene Verhaltensmuster zu ermitteln, die wenig Anstrengung vom Nutzer verlangten, aber trotzdem große Auswirkungen hätten. Das müsste dann belohnt werden. Das Leeren des Eingangspostfachs sei ein zu schwerer Job, ein adäquates Antwortverhalten für wichtige Nachrichten dagegen erreichbar. "Baydin muss herausfinden, welches gute Verhalten unterstützt werden sollte und dann alle Barrieren zur Seite räumen, die es bislang verhindern."

Moore sieht das ähnlich. "Viele Firmen haben mittlerweile gezeigt, wie leicht es ist, Game Dynamics dazu zu verwenden, Nutzer an sich zu binden." Nun werde es Zeit, Wege zu finden, mit diesem Prinzip positives Verhalten zu fördern. (bsc)