Mit Smartcards zum smarten Strombezug

Die Chipkarten-Branche entdeckt die intelligenten Stromnetze: Man sollte "nicht erst 40 Millionen Smart Meter einbauen und sich hinterher über die IT-Security Gedanken machen." Stuxnet habe die Gefährdung vernetzter Infrastruktur gezeigt.

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Von
  • Richard Sietmann

In dem gegenwärtigen Hype um das Smart Metering (intelligente Stromzähler) hat die Chipkarten-Branche ebenfalls ein neues Geschäftsfeld entdeckt. Die gesicherten Mikrocontroler, die zum Schutz der Zugriffs- und Abrechnungsmechanismen vor Manipulationen massenhaft in den SIM-Karten des Mobilfunks und den Conditional-Access-Karten beim Bezahlfernsehen im Einsatz sind, werden möglicherweise auch in den intelligenten Stromzählern Verwendung finden. Die wiederum sollen künftig Verbrauchsdaten sekundengenau telemetrisch erfassen und online dem Versorger übermitteln, der dann eines Tages vielleicht sogar zum Ausgleich von Erzeugungslastspitzen einzelne Haushaltsgeräte aus der Ferne steuert.

Man sollte "nicht erst 40 Millionen Smart Meter einbauen und sich hinterher über die IT-Security Gedanken machen – das sollte man schon alles im Vorfeld tun", warnte Markus Bartsch von TeleTrust Deutschland auf der Omnicard, die heute in Berlin zu Ende ging, vor den Risiken, die sich aus der informationstechnischen Vernetzung der Versorgungsinfrastruktur ergeben könnten. Der Stuxnet-Wurm habe das hohe Angriffspotenzial gezeigt, und "erstmals war die Prozessleittechnik explizites Angriffsziel".

Im e-Energy-Projekt, mit dem das Bundeswirtschaftsministerium die Entwicklung von Smart Grids fördert, habe der Fokus der Aktivitäten bisher vor allem "auf der Entwicklung funktionaler IKT-Infrastrukturen und Komponenten" gelegen, kritisierte die Direktorin des Fraunhofer-Instituts für Sichere Informationstechnologie (SIT), Claudia Eckert. Dagegen hätten die Fragen der Sicherheit, Robustheit und Verlässlichkeit einer solchen Infrastruktur bislang "nur eine untergeordnete Rolle gespielt". In der kommenden Woche werde sich jedoch, kündigte der im Bundeswirtschaftsministerium für 'e-Energy' zuständige Referatsleiter Andreas Goerdeler auf der Veranstaltung an, eine neue Arbeitsgruppe zum Themenbereich 'IT-Security für e-Energy' konstituieren.

Die Smartcard-Hersteller sind gerüstet. Sie können auf ein komplettes Ökosystem von Sicherheitstechniken zurückgreifen, das sich von ID-Chips, Kryptographie-Modulen, Secure-Access-Modulen, der Detektion von Hard- und Softwareangriffen bis zum kontrollierten Online-Austausch der Firmware durch den Betreiber bei erkannten Schwachstellen erstreckt und mit denen sich die vernetzten Zähler aufrüsten lassen. Der Formfaktor der Smartcard als Gehäuse für die manipulationsresistenten Mikroprozessoren wird indes nur eine geringe Rolle spielen. Eine Ausnahme könnten Prepaid Cards für den vorausbezahlten Strombezug bilden. "Was im Telekommunikationsbereich funktioniert, warum soll so etwas nicht auch hier funktionieren?" fragte Ludwig Karg, der als Geschäftsführer der BAUM Consult GmbH die Begleitforschung für das e-Energy-Programm des BMWi leitet. Vorstellbar sei, dass man sich irgendwann beim Aldi seine Prepaid-Stromkarte aufladen lässt, sie zuhause in den Energiemanager steckt und so das Schnäppchenangebot zum Strombezug nutzt.

Holger Kunkat von NXP Semiconductors glaubt nicht an solche Szenarien. Prepaid Metering Systeme seien "nicht unbedingt das größte Thema für Europa". In England gebe es zwar Beispiele, vor allem in der Gasversorgung, doch sie würden "aus unserer Sicht in Deutschland kaum Fuss fassen können"; die Kultur sei eine andere. Viel wahrscheinlicher sei dies in Entwicklungs- und Schwellenländern, wo der Energiediebstahl ein größeres Thema sei als hierzulande. "Wir sehen sehr viel Bedarf in China, Indien sowie den mittelamerikanischen und afrikanischen Ländern."

Vielleicht ändert sich das Szenario ja mit der Elektromobilität, der die intelligenten Zähler ebenfalls neue Möglichkeiten eröffnen – etwa indem man beim Auftanken unterwegs mit der Karte an den Aufladestationen den Öko- oder Atomstrom von seinem eigenen Anbieter bezieht und abrechnet. Mit dem Stromklau durch Laptop-Besitzer, den Hotels und Gaststätten heute noch tolerieren, hätte es mit dem Smart Metering dann wohl auch ein Ende.

Siehe dazu auch das neue Sonderheft "Energie" von Technology Review, das aufzeigt, welche Wege bei der Energieerzeugung und -verteilung heute und in Zukunft eingeschlagen werden:

(jk)