Kann man den Urknall hören?

Karsten Danzmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik über "gequetschte Raumzeit" und die schwierige Suche nach Gravitationswellen.

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Von
  • Udo Flohr

Karsten Danzmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik über "gequetschte Raumzeit" und die schwierige Suche nach Gravitationswellen. Das Interview ist in gekürzter Form im aktuellen Print-Heft TR 2/2011 erschienen, das seit Donnerstag, den 27. Januar am Kiosk ist. Online kann man das Heft auch direkt im Kiosk bestellen .

Technology Review: Professor Danzmann, kann man heute noch den Urknall hören, der doch schon vor 13,7 Milliarden Jahren stattfand?

Karsten Danzmann: Vielleicht sollte man sich erst mal Gedanken darüber machen, ob man das Universum selbst hören kann. Mit Schall – geht das natürlich nicht. Denn Schall besteht ja daraus, dass Luft gequetscht und gedehnt wird, diese Welle von Quetschungen und Dehnungen in der Luft weiterläuft und am Ende über unser Trommelfell das Innenohr ein klein wenig quetscht. So hören wir. Und das geht nicht im Universum – wenn irgendwo ein Stern explodiert, kann kein Schall entstehen, weil dazwischen keine Luft ist, die den Schall zu uns leiten könnte. Jedenfalls hat man das immer gedacht...

TR: ...bis Albert Einstein kam, richtig?

Danzmann: Einstein brachte uns bei, dass man den Raum selbst quetschen kann – ohne dass da etwas drin ist. Baut man ein Ohr, das darauf empfindlich reagiert – also auf Quetschungen und Dehnungen des Raumes – dann kann man das Universum nun doch wieder hören. Allerdings ist der Effekt sehr, sehr klein. Die Analogie zum Hören passt übrigens ganz gut, denn wenn sich solche Wellen – übrigens auch im hörbaren Frequenzbereich – im Universum ausbreiten und uns erreichen, dann quetschen und dehnen sie auch unser Innenohr. Es ist nur viel zu unempfindlich. Wäre unser Innenohr aber einige Millionen, Milliarden Mal empfindlicher, würde es selbst auf solche Gravitationswellen reagieren. Denn so nennt man die Wellen der Raumzeit.

TR: Die mit Lichtwellen wenig gemeinsam haben?

Danzmann: Licht besteht aus einem elektrischen Feld, das sich im Raum ausbreitet. Gravitationswellen dagegen quetschen den Raum selbst und diese Welle der Raumquetschung breitet sich aus. Wie Raum gequetscht und gedehnt werden kann, ist die Grundlage der Allgemeinen Relativitätstheorie, konzeptionell aber schwer zu verstehen.

TR: Zumal da kein Medium gequetscht wird...

Danzmann: sondern der Raum selber wird krumm. Das kann man sich in – einschließlich der Zeit – vier Dimensionen schlecht vorstellen. Die meisten Menschen haben schon mit dreien Schwierigkeiten. Aber in zweien geht es: nehmen Sie eine Ebene, wie wir sie aus der Schule kennen. Und jetzt biegen Sie diese Ebene einfach – die Oberfläche einer Kugel ist zum Beispiel ein gekrümmter zweidimensionaler Raum. Das geht ganz leicht. Oder Sie nehmen eine Wasseroberfläche, wenn Sie da einen Stein reinfallen lassen, wird sie gekrümmt, und es breiten sich Wellen aus. Genau so erklärt Einstein die Schwerkraft.

Er sagt, nehmen wir eine Gummimembran als zweidimensionalen Raum. Wenn wir da irgendwo die Erde reinlegen, macht die eine Delle. Und in dieser Delle läuft der Mond herum wie eine Roulette-Kugel. Immer herum, bis er irgendwann durch Reibung genug Energie verloren hat und herunterfällt, genau wie die Roulette-Kugel. Und wenn die Erde sich bewegt, dann breitet sich diese Delle der Raumzeit aus. Genauso funktioniert das mit den Gravitationswellen. Das Unangenehme daran ist, dass der Effekt extrem klein ist. Der Raum wird zwar krumm, aber ganz, ganz wenig. Darum hat es auch über 90 Jahre gedauert, bis man die Technologie hatte, so etwas nachzuweisen.

TR: Der Mond bewegt ja auf der Erde gewaltige Wassermassen – aber das ist keine Gravitationswelle?

Danzmann: Das ist eine Auswirkung der normalen Gravitation. Mit "Gravitationswelle" dagegen bezeichnet man das Fernfeld. Man kann das leicht unterscheiden: Die normale Wirkung der Schwerkraft verläuft longitudinal, das heißt in Richtung der Quelle. Wenn der Mond um die Erde herumläuft, dann zieht er das Wasser an, und zwar in Richtung des Mondes. Explodierte der Mond aber, würde er eine Gravitationswelle erzeugen, die weit weg eine Wirkung senkrecht zu ihrer Ausbreitungsrichtung zeigt. Sie würde also den Raum senkrecht dazu quetschen und dehnen. Beides ist natürlich Gravitation. Aber als Gravitationswelle bezeichnet man das, was von unserer normalen Newtonschen Nahfeld-Gravitation weit entfernt noch übrig bleibt.

TR: Und die Welle vom Urknall ist heute noch übrig?

Danzmann: Das ist der wesentliche Punkt: Gravitation ist – soweit wir heute wissen – durch nichts abschirmbar. Die Gravitation vom Anfang des Universums ist also noch da, weil sie nicht verschwinden kann. Wir bemerken sie nur nicht.

TR: Schwächen sich Gravitationswellen nicht ab?

Danzmann: Doch. Aber der Effekt ist so minimal, dass man ihn vernachlässigen kann. Gravitationswellen durchdringen die Sonne, die Erde, die Milchstrasse, das ganze Universum, ohne dass man eine merkbare Schwächung feststellt. Das ist ein Fluch und ein Segen. Ein Segen, weil es bedeutet, dass – bis zurück zum Urknall – das Universum für Gravitationswellen immer transparent war. Während Licht von damals zum Beispiel nicht entkommen konnte, denn das Universum ist erst 380.000 Jahre nach dem Urknall für Licht durchsichtig geworden. Vorher war es zu dicht und zu heiß. Der Fluch ist, dass so eine Gravitationswelle dann auch mit unseren Messgeräten nicht in Wechselwirkung tritt. Darum ist es so verdammt schwer, die Dinger nachzuweisen.

TR: Muss man das denn noch? Es gab ja 1993 bereits einen Nobelpreis für Gravitationswellen.

Danzmann: Wenn es nur darum ginge, ihre Existenz nachzuweisen, wäre das tatsächlich langweilig. Aber auch damals gab es den Nobelpreis nicht für den direkten Nachweis der Gravitationswellen, sondern für die Beobachtung des Doppel-Pulsars PSR1913+16. Die Kollegen Hulse und Taylor haben über viele Jahre zugesehen wie dieses Doppelsternsystem Energie verliert – denn die Sterne kreisen immer dichter umeinander. Dann haben sie ausgerechnet, wie viel Energie das System durch Aussendung von Gravitationswellen verlieren müsste.

Das stimmt so perfekt überein, dass eigentlich niemand mehr Zweifel haben kann, dass die Wellen existieren. Aber wir wollen ja die Gravitationswellen für die beobachtende Astronomie nutzbar machen. Wir wissen heute, dass 99,6 Prozent unseres Universum dunkel sind und kein Licht aussenden. Andererseits unterliegt aber alles im Universum der Schwerkraft. Wären wir also in der Lage, Gravitationswellen zu detektieren, könnten wir damit auch die dunkle Seite unseres Universums hören. Und wer weiss, was uns da noch alles auffallen wird.

TR: Wie unterscheidet Ihr Messgerät zwischen Gravitationswellen und Gravitation?

Danzmann: Wir messen die Gravitationswellen dadurch, dass wir Abstandsänderungen messen. Die einfache Idee ist, man stellt zwei Spiegel auf, lässt zwischen ihnen einen Laserstrahl hin- und herlaufen und misst so den Abstand zwischen den Spiegeln. Kommt eine Gravitationswelle vorbei, ändert sich der Abstand. Die Kunst besteht darin sicherzustellen, dass das System wirklich nur auf Raumkrümmung reagiert und auf nichts anderes.

Man muss sich sehr viel Mühe geben, alle Hintergrund-Störquellen herauszuhalten. Tatsächlich ist hier auf der Erde die stärkste Störung die Seismik, also das Bodenwackeln. Es gibt eine Vielzahl von Rauschquellen, aber zum Glück sind die meisten recht gut verstanden. Wie man zum Beispiel Vibrationen isoliert, das ist keine Schwarze Magie mehr, sondern heute eine hoch entwickelte Technik. Das kostet sehr viel Mühe, und darum hat es auch 90 Jahre gedauert, diese Massen so ruhig zu kriegen, dass man klitzekleine Effekte sehen kann.

TR: Wie klein?

Danzmann: Unser Laserinterferometer GEO600 misst über eine Strecke von einem Kilometer eine Längenänderung von einem Zehntausendstel eines Atomkern-Durchmessers. Der Atomkern selbst ist noch einmal 100.000mal kleiner als ein Atom. Das ist schon verdammt empfindlich.

TR: Wie weit müssen Sie die Genauigkeit noch verbessern?

Danzmann: Zur Zeit können wir etwa 50 Millionen Lichtjahre weit raushorchen. Das Problem dabei ist, dass sich in dieser Entfernung nur wenige Galaxien finden – das Weltall ist ja vorwiegend leer. Der nächste größere Haufen von Galaxien, der Virgo-Cluster, liegt direkt dahinter – er fängt in etwa 60 Millionen Lichtjahren an. Dort liegen dann nicht nur ein paar Dutzend Galaxien sondern viele Tausend. Der nächste große Schritt ist also, die Empfindlichkeit möglichst um den Faktor zehn zu steigern. Wenn etwa 2015 die zweite Generation Interferometer die jetzige ablöst, wird es soweit sein: Man wird anfangen, routinemäßig Signale zu detektieren, da bin ich mir ziemlich sicher. Im Moment wäre es noch eher ein Glücksfall.

TR: Wenn die Wellen alles durchdringen, wieso dann diese Grenze von 50 Lichtjahren?

Danzmann: Weil die Amplitude von Gravitationswellen mit der Entfernung von der Quelle abfällt. Je weiter weg eine Taschenlampe ist, desto dunkler erscheint sie. Genauso ist es mit Gravitationswellen. Allerdings nicht ganz so schlimm, denn wir messen eine Amplitude, die anders als die Intensität nicht mit dem Quadrat der Entfernung sondern nur proportional dazu abfällt. Mit der gegenwärtigen Empfindlichkeit können wir eben Signale noch auf bis zu 50 Millionen Lichtjahre detektieren. Dahinter werden sie zu schwach.

TR: Warum braucht man eigentlich mehrere Detektoren?

Danzmann: Weil das wie mit den Ohren ist: Mit nur einem Ohr könnten Sie auch nicht sagen, woher ein Geräusch kommt. Genauso ist das mit Gravitationswellendetektoren: Sie brauchen mehrere, um die Richtung rekonstruieren zu können. Und, das ist noch etwas komplizierter als beim Schall, Gravitationswellen kommen auch in zwei Polarisationsrichtungen. Darum braucht man mehr als zwei Detektoren, mindestens drei, möglichst vier, um das Signal vollständig zerlegen zu können bezüglich seiner Richtung und seines Informationsgehaltes.

TR: Wurde bisher überhaupt schon etwas gemessen?

Danzmann: Nein. Bis heute hat noch nie jemand eine Gravitationswelle detektiert. Aber wie gesagt, das ist auch nicht weiter überraschend, denn man hat ein ganz gutes Verständnis von zumindest den bekannteren Quellen. Bei der gegenwärtigen Empfindlichkeit müsste wirklich schon durch Zufall direkt in unserer Nachbarschaft etwas passieren. Das war bisher noch nicht der Fall.

TR: Welche Art Ereignis erhoffen Sie sich?

Danzmann: Wir überlegen uns natürlich, was wir wohl als erstes hören werden. Am besten verstanden ist der Tod eines kompakten Doppelsternsystems – zum Beispiel zwei Neutronensterne, zwei schwarze Löcher, oder auch von jedem eins. Wie der Doppelpulsar, für den Hulse und Taylor den Nobelpreis bekamen. Der wird in 80 Millionen Jahren nicht mehr existieren, weil die beiden Sterne dann in ihrer Bahnbewegung durch die Emission von Gravitationswellen soviel Energie verloren haben, dass sie ineinander stürzen. Dieses Ereignis erzeugt ein recht gut vorhersagbares, typisches Signal. Die meisten rechnen eigentlich damit, dass ein derartiges Ereignis wohl das erste sein wird.

Das erste Ergebnis könnte aber auch von einem Pulsarstern kommen. Das sind kompakte, schnell rotierende Sterne aus reiner Neutronenmaterie, also extrem dicht. Sie haben an ihrer Oberfläche gewisse Asymmetrien und senden bei ihrer Umdrehung Gravitationswellen aus. Die dritte Möglichkeit ist ein Supernova-Core-Kollaps, das heißt ein einzelner Stern erreicht das Ende seines Lebens, Wasserstoff ist ausgebrannt, alles andere auch. Der stürzt dann innerhalb einiger Tausendstelsekunden in einer gewaltigen Explosion in sich zusammen. Auch dabei entstehen Gravitationswellen. So etwas passiert im Mittel in jeder Milchstraße einmal alle 30 Jahre, ist in unserer aber schon lange nicht mehr passiert.

TR: Ihre neueste Errungenschaft in Hannover heißt gequetschtes Licht – was ist das und wozu brauchen Sie es?

Danzmann: Es gibt verschiedene Methoden die Empfindlichkeit solcher Detektoren zu steigern. Die brutalste ist einfach die Laserleistung zu steigern. Das stößt aber irgendwann an Grenzen. Einmal weil man keine stärkeren Laser hat, zum anderen weil das Laserlicht dann irgendwann anfängt das Interferometer aufzuheizen und zu verzerren. Eine andere Möglichkeit ist aber Licht mit besserem Rauschverhalten. Das Rauschen normaler Laser ist vergleichbar mit Schrotkugeln, die auf eine Platte prasseln.

Unser gequetschtes Licht kann man sich so vorstellen, dass die einzelnen Photonen nicht mehr zufällig sondern hübsch der Reihe nach wie Perlen auf einer Schnur eintreffen. Momentan halten wir in Hannover bei dieser Technologie weltweit alle Rekorde. Bereits jetzt benutzen alle Gravitationsdetektoren Laser aus Hannover – sofern das gequetschte Licht sich bewährt, werden wohl in einigen Jahren alle Observatorien damit arbeiten.

TR: Woran fehlt es sonst noch?

Danzmann: An Geld! (bsc)