Bitkom-Präsident: Deutschland braucht mehr Unternehmergeist

Die IT-Branche versammelt sich kommende Woche zur CeBIT in Hannover. August-Wilhelm Scheer, Präsident des Branchenverbands Bitkom, sprach in einem Interview über die Bedeutung der Messe, den Wettbewerb mit anderen Veranstaltungen und die Zukunft des IT-Standorts Deutschland.

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Von
  • Andrej Sokolow
  • dpa

Die IT-Branche versammelt sich kommende Woche zur weltgrößten Computermesse CeBIT in Hannover. August-Wilhelm Scheer, der Präsident des Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom), sprach mit der Deutschen Presse-Agentur über die Bedeutung der Messe, den Wettbewerb mit anderen Veranstaltungen und die Zukunft des IT-Standorts Deutschland.

Herr Scheer, der allgemeine Eindruck ist, die CeBIT hat seit den Rekordmessen zur Jahrhundertwende deutlich an Strahlkraft verloren. Spürt der Bitkom das auch? Wie steuern Sie gegen?

Scheer: Die CeBIT ist noch immer die überragende High-Tech-Messe in der Welt. Sie zeigt die gesamte Breite der Branche. Aber die CeBIT ist auch in einem Wandel, wie unsere ganze Industrie. Unternehmen wie IBM, die früher vor allem Hardware produziert haben, bieten heute primär Dienstleistungen an. Die Messe reagiert auf solche Entwicklungen. Mit dem neuen Konzept haben wir uns für die Zukunft sehr gut aufgestellt. Wir werden neben den Fachbesuchern, die etwa 80 Prozent der CeBIT-Gäste ausmachen, auch den mündigen Verbraucher auf die Messe holen.

Stichwort Verbraucher: In den vergangenen Jahren schienen die Konsumenten manchen Cebit-Ausstellern nicht willkommen zu sein. Ist das nicht ein Zick-Zack-Kurs, dass sich das jetzt wieder ändern soll?

Die Aussteller selbst haben sich verändert. Nehmen Sie zum Beispiel Microsoft: Microsoft stellt heute Spiele her, steigt in die Telekommunikation ein – und will damit natürlich auch den Endverbraucher ansprechen. Auch die Besucher haben sich verändert, viele Entwicklungen wie Apps und Cloud Computing adressieren den Privatbereich. Die Messe fährt auf dem Kurs der Branche. Es wäre schlimm, wenn man stur an Althergebrachtem festhielte und nicht mitkriegte, dass sich das Umfeld geändert hat.

Die CeBIT-Veranstalter sagen immer, man dürfe den Erfolg einer Messe nicht an Besucher- oder Ausstellerzahlen bewerten. Woran messen Sie den Erfolg einer CeBIT?

Am besten misst man ihn an dem Umsatz, den Aufträgen, die die Aussteller erzielt haben. Kürzlich erzählte mir der Geschäftsführer eines kleinen Unternehmens für E-Learning-Software, dass er einen Auftrag aus Afrika bekommen hat, für den er den Kontakt auf der vergangenen CeBIT geknüpft hatte. Ich kenne das: Ich bin als Aussteller auf jeder CeBIT seit ihrer Gründung gewesen, von den ganz kleinen Anfängen an. Die Früchte des Messeauftritts erntet man oft erst später.

Es fällt aber trotzdem auf, dass die Chefs internationaler Konzerne eher etwa auf dem Mobile World Congress in Barcelona anzutreffen sind, denn in Hannover?

Das höre ich häufiger, aber stimmt es auch? Auf der CeBIT spricht Sam Palmisano, der weltweite Chef von IBM. Der CEO von Ford tritt auf, Alan Mullaly. René Obermann ist da, der HP-Chef kommt. Und die CeBIT versammelt die Spitzen der Politik – anders als Barcelona. Die Kanzlerin, der türkische Ministerpräsident Erdogan, EU-Kommissarin Kroes. Die CeBIT ist das Davos der IT-Branche. Gleichzeitig gilt: Nach Hannover kommen Fachbesucher, die auch mal in die Küche gucken wollen. Und in der Küche stehen nun einmal die Köche und nicht immer die Chefs der Restaurants. Trotzdem: Wir müssen daran arbeiten, dass wir auch mehr Glamour auf die Messe bekommen.

Was sind für Sie die großen Themen der CeBIT?

Das herausragende Thema ist Cloud Computing. Das ist ein bedeutender Trend, weil er die Branche grundsätzlich verändert. Als ich vor 40 Jahren programmieren lernte, waren die Großrechner in Teak-Schränke eingebaute teure Geräte. Sie waren voll ausgelastet, aber der Nutzer musste schlangestehen, um sie nutzen zu dürfen. Dann haben wir jedem einen leistungsstarken Rechner auf den Tisch gestellt, der nur zu 5-10 Prozent ausgelastet ist. Und jetzt sehen wir mit dem Cloud Computing eine Bewegung zu mehr Effizienz. Ansonsten haben wir als Themen auch E-Health, Breitband oder die neuesten Tablet-PCs, Smartphones und Apps auf der Messe.

Die CeBIT war schon immer auch ein Aushängeschild für den IT-Standort Deutschland. Wie schätzen sie dessen aktuellen Zustand ein?

Wir haben Fachkräftemangel, das bremst die IT-Industrie. Die Auftragsbücher sind voll, die Informationswirtschaft wächst in diesem Jahr um mehr als vier Prozent. Hardware boomt wie verrückt mit teils zweistelligen Zuwachsraten, Software kommt gleich danach. Es gilt aber auch: Wir sind das viertgrößte Land, was den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik angeht, sind aber nicht so stark, was deren Produktion betrifft. Wir brauchen mehr international erfolgreiche Unternehmen.

Wie ändert man das?

Wir müssen mehr Unternehmergeist in unser Land bekommen. Denn das ist ja das Spannende an unserer Industrie, dass sie von Gründern lebt. Man sieht es daran, wie groß das Interesse an der Gesundheit von Apple-Chef Steve Jobs ist, oder dass einer der Google-Gründer wieder das Steuer übernimmt. Die zweite zentrale Frage ist: Wie bringen wir unsere guten Ideen aus der Forschung – wir haben allein im ITK-Sektor 18 Fraunhofer-Institute – in die Produktion?

Gerade bei deutschen Firmengründern hört man oft einen gewissen Neid auf ihre US-Kollegen heraus, weil es in Amerika Investoren gibt, die risikofreudiger sind. Bremst ihr Fehlen hier den Unternehmergeist?

Das ist nur ein Aspekt. Den Erfolg des Silicon Valley macht nicht nur das Risikokapital aus, sondern auch die Nähe zu Elite-Universitäten. Aus Stanford sind drei Weltunternehmen hervorgegangen: Google, Cisco, Sun. Es gibt Menschen, die nicht nur reich geworden sind, sondern auch die Welt verändert haben. Und junge Leute haben dort nicht nur Vorbilder, sondern auch Partner, die ihnen helfen können. Das haben wir in Deutschland nicht. Unsere Gründerzentren sind zersplittert. Jeder Landrat ist glücklich, dass er ein kleines Technologiezentrum hat – wo aber selten etwas daraus wird. Und die Risikokapitalgeber bekommen in Deutschland weniger Rendite, also ziehen sie sich zurück. Deswegen müssen wir mehr bündeln, dann kann auch ein Magnet für Geldgeber entstehen. Ich denke, das hat die Politik allmählich auch verstanden.

Wie lange kann es dauern, bis solche Maßnahmen greifen?

Das kann schnell gehen. Ich denke, in drei bis fünf Jahren muss etwas passieren. Unsere Industrie ist schnelllebig, die Innovationszyklen sind kurz. Das bringt auch die Chance, wieder Anschluss zu finden. Zum Beispiel sind wir beim Cloud Computing gerade dabei, uns eine erfolgreiche Nische zu erschließen. Wir bauen in Deutschland sichere Autos, wie bauen sichere Maschinen – warum also nicht auch sichere Cloud-Computing-Lösungen? Das gleiche gilt für Mini-Computer, die in andere Geräte eingebaut werden, sogenannte Embedded Systems. Wir müssen uns auf Gebiete konzentrieren, auf denen wir nicht nur mitschwimmen, sondern auch den Ton angeben können.

Das vergangene Jahr war geprägt von der Diskussion um den Online-Straßenatlas Google Street View, in der sie auch die Bundesregierung kritisiert haben. Steht die Politik manchmal der Innovation im Weg in Deutschland?

Nun, das ist gemischt. Zum einen ist positiv, dass die Netz-Politik breit diskutiert wird. Es gibt aber auch Themen, mit denen wir nicht so glücklich sind. Und dazu gehört auch diese etwas überzogene Diskussion um Street View und andere Geodatendienste. Ich kritisiere, wenn man meint, seine eigene kleine Freiheit dadurch verteidigen zu müssen, dass man seine Hausfassade verpixelt. Wir haben in den vergangenen Wochen etwa in Ägypten gesehen, wie die große Freiheit durch das Internet gefördert werden kann. Einen öffentlichen Straßenzug als besonders schützenswert darzustellen, kommt mir dagegen etwas kleinkariert vor. Und was sagt die Reiseindustrie dazu, wenn sich Paris oder Rom im Internet schönmachen – und bei uns sieht München bei Street View wie nach dem Zweiten Weltkrieg aus, weil so viele Häuser ausgepixelt sind?

Also ist es kein Zufall, dass die großen Internet-Unternehmen alle nicht aus Deutschland kommen?

Wir haben sehr erfolgreiche Internet-Unternehmen hier, nehmen sie etwa die VZ-Netzwerke oder Xing. Aber es stimmt, die großen, internationalen Konzerne kommen nicht aus Deutschland. Ich denke, das liegt an der fehlenden Aggressivität der Unternehmen. Die wenigsten wollen die Welt erobern. Ein Mark Zuckerberg hat sich ja nicht damit zufriedengegeben, Facebook als Harvard-Netzwerk einzurichten. Oder es auf Boston und New York auszudehnen. Nein, er will die ganze Welt erobern. Und das haben wir in anderen Industrien ja auch geschafft, etwa mit Autos oder im Maschinenbau. Jetzt müssen wir zusehen, dass wir es in der Hightech-Welt ebenfalls hinkriegen.

Wie kommen wir denn da hin?

Dafür müssen wir an den Menschen arbeiten. Das ist gleichzeitig unsere schwierigste und unsere vornehmste Aufgabe. Wir müssen beim Bildungssystem anfangen. Und wir müssen unser Zuwanderungsproblem lösen. Wenn Sie jetzt bei großen Unternehmen wie SAP fragen, ob sie Probleme mit der Zuwanderungspolitik haben, sagen sie: Nein. Denn sie sind zwangsläufig schon lange dorthin gegangen, wo die Spezialisten sind, die sie in Deutschland nicht finden. Sie haben Tausende Mitarbeiter etwa in Indien. Damit treiben wir die Unternehmen aus Deutschland raus. Anstelle zu sagen: Wir ziehen die Intelligenz der Welt an, sie soll bei uns arbeiten, ihre Ideen einbringen, hier Firmen gründen und uns dabei helfen, unseren Wohlstand zu erhalten. (anw)