Bundestagsgutachter stellen Umsetzbarkeit der Vorratsdatenspeicherung in Frage

Eine Analyse des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags führt erhebliche Zweifel an einer Ausgestaltung der EU-Richtlinie zur Protokollierung von Nutzerspuren ins Feld, die mit der Grundrechte-Charta vereinbar wäre.

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Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags führt neue Bedenken zur Möglichkeit der grundrechtskonformen Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ins Feld. Derzeit lasse sich "zweifelsfrei keine Ausgestaltung" der Richtlinie beschreiben, die sicher mit der Grundrechte-Charta der EU vereinbar sei, heißt es in dem vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung veröffentlichten Rechtsgutachten (PDF-Datei). Vor allem sei nicht abschließend zu beurteilen, ob weniger eingriffsintensive Datenerhebungen wie das anlassbezogene "Quick Freeze" ebenso zur Bekämpfung schwerer Straftaten und der Gefahrenabwehr geeignet seien.

Es habe sich zudem gezeigt, dass sich "die Erfolge der Vorratsdatenspeicherung in einem sehr kleinen Rahmen halten", heißt es in dem Gutachten. Durch Protokollieren der Nutzerspuren habe sich die Aufklärungsquote nur "marginal" verbessert, was laut einem anderen Rechtsgutachten des Bundestags ähnlich auch für andere EU-Länder gilt. "Zweck und Mittel stehen hier zumindest nicht in einem ausgewogenen Verhältnis", auch wenn sich die Vorratsdatenspeicherung wenigstens "abstrakt" dazu eigne, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, Straftaten zu verhüten und zu verfolgen sowie Rechte und Freiheiten zu schützen.

Die Regelungen der Richtlinie könnten auch "unangemessen in das Gemeinschaftsgrundrecht der berufs- und wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit zu Lasten der Telekommunikationsanbieter eingreifen", meinen die Gutachter; Provider bekämen einen "verwaltungs- und kostenrechtlichen Mehraufwand". In der Speicherverpflichtung könne so eine "mittelbare Verkürzung" des Schutzbereichs der Grundrechte-Charta zur freien Berufsausübung gesehen werden.

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung sieht sich mit dem Gutachten in seiner Auffassung bestätigt, dass die Richtlinie "der anstehenden Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof nicht standhalten wird". Die EU müsse "dieses Experiment" daher sofort abbrechen und den "völlig unverhältnismäßigen Zwang zur Totalspeicherung aller Verbindungsdaten der gesamten Bevölkerung" durch ein Verfahren ersetzen, bei dem Daten Verdächtiger gezielt aufbewahrt würden. Für jeden Rechtsstaat sei bei der Gesetzgebung das Gebot der Verhältnismäßigkeit bindend, erklärt der Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internetnutzern; dieses könne bei der Vorratsdatenspeicherung nicht eingehalten werden. Der Arbeitskreis ruft die Bundesregierung daher auf, sich für ein "EU-weites Verbot dieses Überwachungswerkzeugs einzusetzen". (anw)