Stimulieren ohne Nebenwirkungen

Die elektrische Stimulation ihres Gehirns kann die Symptome von Parkinson-Patienten lindern, aber in einigen Fällen auch ihre Persönlichkeit verändern. Neurologen haben Wege gefunden, dieses Risiko zu minimieren.

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Von
  • Kristin Raabe

Die elektrische Stimulation ihres Gehirns kann die Symptome von Parkinson-Patienten lindern, aber in einigen Fällen auch ihre Persönlichkeit verändern. Neurologen haben Wege gefunden, dieses Risiko zu minimieren.

Kaum waren die Elektroden in seinem Gehirn angeschaltet, veränderten sich die Gemälde des Parkinson-Patienten. Der 64-jährige Architekt hatte zuvor allenfalls Häuser und andere Bauwerke gemalt, doch jetzt interessierten ihn nur noch weibliche Akte. Dabei war sein künstlerischer Ausdruck lebendiger und kreativer geworden. Andere Patienten begannen nach der Implantation der Hirnelektroden, riskante Geschäfte abzuschließen oder entwickelten einen waghalsigen Fahrstil.

Über solch dramatische Persönlichkeitsveränderungen durch eine sogenannte tiefe Hirnstimulation, die zur Behandlung der Parkinson-Symptome eingesetzt wird, berichten mittlerweile etwa 60 Fallstudien. Noch häufiger sind weniger auffällige Veränderungen: Die Patienten sind plötzlich reizbar und unkonzentriert oder leiden unter einer Depression oder manischen Stimmungsveränderungen.

Wie häufig solche Persönlichkeitsveränderungen nach einer tiefen Hirnstimulation auftreten, lässt sich im Moment noch nicht genau beziffern. Das liegt daran, dass auch die Parkinsonsche Krankheit selbst Symptome wie Apathie, Depression oder sogar Spielsucht erzeugen kann. Die Befunde variieren auch, je nachdem wie genau die Neurochirurgen ihren Zielpunkt im sogenannten Nucleus subthalamicus treffen. Diese erbsengroße Hirnstruktur liegt im Zwischenhirn. Hier befinden sich Nervenzellen, die bei Morbus Parkinson fälschlicherweise im Gleichtakt feuern und nicht, wie normalerweise, in einem unregelmäßigen Muster. Sie wirken dadurch wie ein überlauter Störsender, der ständig Signale an die Muskeln sendet. Das führt dann zum Parkinson-typischen Zittern oder zur totalen Anspannung der Muskeln, die den Patienten völlig steif werden lässt.

Werden nun Elektrodendrähte im Nucleus subthalamicus implantiert, senden sie hochfrequente Impulse aus und blockieren damit die Signale der gleichgeschalteten Nervenzellen. Diese Behandlung hat sich bei Patienten, die in einem fortgeschrittenen Stadium der Krankheit sind und denen Medikamente nicht mehr oder kaum noch helfen, als sehr effektiv erwiesen. In Deutschland wurde die tiefe Hirnstimulation mittlerweile allein in der Universitätsklinik Köln bisher bei mehr als 1000 der insgesamt etwa 250.000 Parkinson-Kranken angewendet. Weltweit wurden etwa 50.000 Patienten auf diese Weise behandelt.

Da der Nucleus subthalamicus aber auch Verbindungen zur Großhirnrinde und zum limbischen System hat – jenen Hirngebieten, in denen Forscher die Persönlichkeit und den Ursprung menschlicher Gefühle vermuten –, ist es durchaus plausibel, dass die Stimulation dieses Areals das Wesen eines Menschen verändern kann. Professor Lars Timmermann von der Uniklinik Köln ist sich sicher, dass jeder Arzt, der Patienten bei der tiefen Hirnstimulation begleitet, regelmäßig solche Fälle sieht.

"Meistens können wir die Symptome lindern oder sogar ganz beenden, wenn wir die Stimulationsstärke verändern", sagt der Neurologe. "In schweren Fällen müssen wir den Stimulator aber wieder abstellen." Das macht die Persönlichkeitsveränderung zwar rückgängig, der gefährliche Eingriff am Gehirn war dann aber völlig umsonst. Um seinen Patienten dieses Risiko zu ersparen, hat Timmermann mit Kölner Kollegen und Neuropsychologen von den Universitätskliniken Aachen und Düsseldorf einen Test entwickelt, mit dem sich das individuelle Risiko eines Patienten für eine Persönlichkeitsveränderung einschätzen lässt.

Entscheidend sind dabei drei Parameter, die bei jenen Patienten, die sich durch die Stimulation veränderten, auffällig waren: Die Hochrisikopatienten waren alle in einem weit fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung. Zudem tendierten sie schon vor dem Eingriff in psychologischen Untersuchungen in die manische oder in die depressive Richtung. Hinzu kam noch, dass ihre kognitive Flexibilität Defizite aufwies. Mit kognitiver Flexibilität bezeichnen Psychologen die Fähigkeit eines Menschen, sich auf neue Regeln einzustellen.

An der Universitätsklinik Köln werden die psychologischen Tests in Form von Fragebögen und Spielen nun routinemäßig bei allen Parkinson-Patienten durchgeführt, die für eine tiefe Hirnstimulation infrage kommen. Lars Timmermann wollte aber auch den schwer kranken Hochrisikopatienten helfen, die der Test als nicht geeignet einstuft. Fachliteratur aus den fünfziger und sechziger Jahren brachte ihn auf die richtige Spur. Damals hatten Neurochirurgen in einem benachbarten Gehirngebiet namens "Globus pallidus internus" das Gewebe durch Hitze zerstört. Nach solchen drastischen Operationen ging es vielen Parkinson-Patienten besser, ohne dass Persönlichkeitsveränderungen auftraten.

Lars Timmermann bat also die Neurochirurgen der Kölner Universitätsklinik, die Hirnelektroden bei Risikopatienten in dieses neue Gebiet einzusetzen. Tatsächlich funktionierte auch diese Variante. "Wir können die Medikamente meistens nicht so drastisch reduzieren wie bei einer Stimulation des Nucleus subthalamicus, aber die Bewegungskontrolle der Patienten verbessert sich trotzdem erheblich, und es gibt keine Auswirkungen auf die Persönlichkeit", sagt Timmermann. Inzwischen konnte er seine Ergebnisse mit einer internationalen Langzeitstudie, an der sich auch andere Zentren für tiefe Hirnstimulation beteiligt haben, bestätigen.

Die Zukunft der Parkinson-Therapie könnte sich nach Meinung des Neurologen aber noch grundlegend verändern. Bei Untersuchungen des ursprünglichen Stimulationsgebietes im Nucleus subthalamicus sowie der Muskeln der Patienten stellte er fest, dass dieses Gehirngebiet nicht nur fehlerhafte Signale an die Muskeln sendet, sondern noch viel mehr Störsignale von ihnen empfängt. "Es entsteht eine Rückkopplungsschleife, die sich kaum noch unterbrechen lässt", sagt Timmermann. Das könnte aber gelingen, wenn der fehlerhafte Informationsfluss von den Muskeln zum Gehirn durch eine geeignete Stimulation im Rückenmark gestoppt wird. Möglicherweise reicht das sogar, um die Parkinson-Symptome zu verhindern, ohne dass eine Hirnoperation mit dem Risiko einer Persönlichkeitsveränderung nötig wird. (bsc)