Bundestag bleibt bei Nein zur Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten

Der Rechtsausschuss des Parlaments hat sich erneut gegen eine Mindestspeicherfrist für Telekommunikations-Verkehrsdaten ausgesprochen; Bürgerrechtler fordern EU-Parlamentarier ebenfalls zur Ablehnung der pauschalen Beschnüffelung der Nutzer auf.

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Der Rechtsausschuss des Bundestags hat sich am heutigen Mittwoch mit großer Mehrheit gegen Pläne des EU-Rates gestellt, Telcos und Internetprovider zur mindestens ein- bis dreijährigen Vorhaltung sämtlicher bei der Telekommunikation anfallender Verkehrsdaten zu verpflichten. Bei der im EU-Rat vorgeschlagenen Vorratsdatenspeicherung geht es um sämtliche Verbindungsdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen.

Die Rechtspolitiker nahmen nun einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen von SPD, CDU/CSU und den Grünen an. Mit dem darauf basierenden Beschluss erinnert der Bundestag erneut an seine bei der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) zum Ausdruck gekommene Ablehnung einer Mindestspeicherungsfrist für Verkehrsdaten. Gleichzeitig fordert er die Bundesregierung auf, "dies zur Grundlage ihrer Verhandlungen auf EU-Ebene zu machen".

Sollten in den anstehenden Beratungen in Brüssel "Rechtstatsachen dargelegt werden", die aus Sicht der Bundesregierung eine Überprüfung der im Rahmen der Beratungen zum TKG eingenommenen Position in dieser Frage notwendig erscheinen lässt, erwarten die Abgeordneten "eine unverzügliche Information" ihrer zuständigen Gremien. Damit wollen sie sich die Möglichkeit offen halten, eine erneute Stellungnahme abzugeben, welche "die Bundesregierung dann ihren weiteren Verhandlungen zu Grunde legen wird"- Anfang Dezember hatte sich auch der Innenausschuss einstimmig gegen die von der Wirtschaft und Datenschützern abgelehnte Datenjagd angesichts des momentanen Stands der Debatte ausgesprochen.

Die FDP-Fraktion hatte einen weitergehenden Antrag gestellt, mit dem der Rechtsausschuss den ursprünglich von Großbritannien, Frankreich, Irland und Schweden vorgelegten Entwurf für einen Rahmenbeschluss zur EU-weiten Vorratsdatenspeicherung (PDF) grundsätzlich ablehnen sollte. Die Bundesregierung sollte damit eindeutig aufgefordert werden, die Einführung der umstrittenen Maßnahme zur pauschalen Überwachung des Nutzerverhaltens über die EU-Gremien zu verhindern. Eine derartig umfassende Speicherung von Datentypen wie unter anderem "Internet-Protokolle einschließlich E-Mail, Datenübertragungs- und Netzübertragungsprotokolle, Sprachübermittlung über Breitband, Daten zur Umsetzung der Netzadresse" greife "unverhältnismäßig stark in die Privatsphäre der Nutzer ein", schrieb die FDP zur Begründung. Ein adäquater Nutzen für die Strafverfolgung sei dagegen nicht belegt. Der Antrag wurde angesichts der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse jedoch abgelehnt.

Bürgerrechtlicher appellieren derweil in einem offenen Brief auch an das Europaparlament, auf einen vergleichbaren Beschluss hinzuwirken. Die EU-Abgeordneten sollen den Ministerrat "klar und vorbehaltlos" auffordern, "von der Einführung einer Verkehrsdaten-Speicherungspflicht abzusehen." Im Einklang mit einem früheren Aufruf von rund 90 europäischen Bürgerrechtsorganisationen weisen der Frankfurter Jurist Patrick Breyer, der Chaos Computer Club (CCC), dergrossebruder.org, das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF), das Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit sowie STOP1984 darauf hin, dass eine Vorratsdatenspeicherung angesichts kaum zu erwartender Erfolge bei der Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung unverhältnismäßig in die Menschen- und Bürgerrechte einschneide.

Es dürfe nicht sein, heißt es in dem Aufruf, "dass der auf demokratischem Weg in Deutschland gefundene Konsens, keine Vorratsspeicherung von Verkehrsdaten einzuführen, durch einen hinter verschlossenen Türen gefassten Exekutivbeschluss des EU-Rates umgangen wird." Breyer hat zudem grundsätzliche Zweifel, ob das Ministergremium die Einführung von Mindestspeicherfristen überhaupt im Rahmen der so genannten Dritten Säule ohne tatsächliche Mitbestimmung des EU-Parlamentes fassen kann. Es handle sich nämlich "nicht um eine Maßnahme der Mitgliedsstaaten, sondern um eine Inanspruchnahme Privater."

Auf Zustimmung stieß der Brief bereits beim liberalen EU-Abgeordneten Alexander Alvaro, der im EU-Parlament als Berichterstatter in Sachen Vorratsspeicherung fungiert. Ihm fehlen "insbesondere Angaben darüber, ob und in welchem Umfang die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Rahmen der Kriminalitätsbekämpfung tatsächlich beeinträchtigt wurde." Gangster und potenzielle Attentäter dürften seiner Ansicht nach "auf Grund neuerer technischer Mittel die Verfolgbarkeit ihrer Daten leicht zu verhindern wissen". Demgegenüber würden viele Unschuldige pauschal überwacht.

Daneben befürchtet Alvaro "enorme Belastungen für die europäische Telekommunikationsindustrie". Alleine bei größeren Festnetz- und Mobilfunkunternehmen im Bereich der klassischen leitungsvermittelnden Telefonie sei zu erwarten, dass pro Jahr um die fünfhundert Milliarden zusätzlich zu speichernde Datensätze mit einem Datenvolumen von rund 8 Terabyte entstehen. Die Justiz- und Innenminister der EU halten bislang trotzdem an der Einführung der umstrittenen Maßnahme möglichst noch vor dem Sommer fest. Sie haben sich allein dahingehend verständigt, die bisherigen Vorschläge aus den Reihen des EU-Rats zu konkretisieren. (Stefan Krempl) / (jk)