Softwarepatentgegner feiern weiteren Zwischensieg

Der vom EU-Parlament beantragte Neustart bei der Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" wird als "Sieg der Demokratie" und "Schlag ins Gesicht der Patentbürokratie" begrüßt.

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Der Beschluss des Rechtsausschusses des EU-Parlaments vom gestrigen Mittwoch, der Kommission den Neustart des Verfahrens für die Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" eindringlich ans Herz zu legen, hat im Lager der Softwarepatentgegner so manchen Sektkorken knallen lassen. Die Entscheidung sei ein "unüberhörbares Signal" der Abgeordneten, "dass die gegenwärtige Ratsversion der Richtlinie und die Unmenge an Beschwerden, welche sie ausgelöst hat, keinen gangbaren Weg darstellt", schreibt der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII). Florian Müller, Leiter der Kampagne NoSoftwarePatents.com, spricht von einem "spektakulären Sieg der Demokratie".

Unter den EU-Parlamentariern selbst hatte sich nach vagen Auskünften der Kommission zum weiteren Kurs nach den Verzögerungen bei der offiziellen Verabschiedung der Position des EU-Rates vom Mai der Eindruck festgesetzt, dass nur ein Befreiungsschlag die Richtlinie noch retten könnte. Es sei zwar einfach, mit den Phrasen bezüglich mehr Rechtssicherheit durch einen schnellen Erlass der Richtlinie übereinzustimmen, sagte Piia Noora Kauppi von der Volkspartei. Doch es sei wichtiger, die Interessen der Innovatoren Europas zu vertreten.

Unterstützung erhalten die EU-Abgeordneten etwa auch von Jörg Tauss, dem forschungspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. Er moniert, dass der Standpunkt des Rates bisher nicht aus dem "Entwurfsstadium" herausgekommen sei und von der Version des Parlamentes einfach zu weit abweiche. Ein Neustart könnte seiner Ansicht nach "allen beteiligten Gremien die Chance bieten, ohne Gesichtsverlust aus festgefahrenen Positionen herauszufinden und zu tragfähigen Kompromissen zu kommen". Zugleich böte er die Möglichkeit, sich über die Notwendigkeit der Richtlinie zu verständigen. Die erforderlichen Klarstellungen zur Auslegung des Europäischen Patentübereinkommens müssten nicht unbedingt aus Brüssel kommen. Im Zweifel wäre es daher besser, das Vorhaben ganz einzustellen, als eine unausgewogene Richtlinie zu verabschieden.

Für Oliver Moldenhauer vom Attac-Koordinierungskreis ist das Votum auch "ein Schlag ins Gesicht für die Patentbürokratie im Bundesjustizministerium." Dieses habe trotz gegenteiliger Meinung des Bundestages die Ratsposition weiter unterstützt, die laut Kritikern der Patentierbarkeit von Software und Geschäftsmethoden keinen Riegel vorschieben und somit negative Folgen auf den Wettbewerb ausüben würde. Der Antrag des EU-Parlaments sei dagegen "ein wichtiger Erfolg für Freie Software und den Kampf gegen überbordende geistige Eigentumsrechte". Der Tokioter Professor Karl-Friedrich Lenz spricht gar von der jetzt wieder möglich gewordenen Rettung des Patentsystems. Dieses hätte sich selbst zerstört, wenn alle Grenzen der Patentierbarkeit entfernt worden wären.

Noch könnte der Rat theoretisch seinen umkämpften Standpunkt Mitte Februar auf einem der anstehenden Ministertreffen abnicken lassen. Doch damit rechnet kaum jemand mehr, da der Präsident des EU-Parlaments diesen laut der Geschäftsordnung nicht mehr verkünden könnte. Andererseits ist der Vorstoß der EU-Abgeordneten für die Kommission nicht bindend. Im Interesse an einem Kompromiss zwischen Parlament und Rat wäre sie aber gut beraten, einen neuen Vorschlag vorzulegen, falls das Ministergremium nicht selbst seine Position überarbeitet. Das Bundesjustizministerium will sich in die Brüsseler Kalamitäten nicht einmischen: "Fortgang und Kommunikation in Sachen computerimplementierte Erfindungen liegen aktuell ausschließlich in den Händen der Luxemburger Ratspräsidentschaft", erklärte ein Sprecher gegenüber heise online.

Zahlreiche Konzerne insbesondere aus der Mobilfunkbranche sowie Industrieverbände hatten in den vergangenen Tagen noch Lobbying gegen einen Neustart und für die rasche Verabschiedung der Ratsposition betrieben. Die Abgeordneten ließen sich davon allerdings nicht beeindrucken. Die britische EU-Parlamentarierin Arlene McCarthy, die vor der 1. Lesung eine wegweisende Stellung im Rechtsausschuss für die Richtlinie inne hatte und sich dabei näher beim ursprünglichen Vorschlag der Kommission als beim späteren Text der Plenarabstimmung bewegt hatte, fordert nun eine Studie zur Einschätzung der bisherigen Entwürfe. Dabei solle herausgefunden werden, ob diese tatsächlich so schädlich für verschiedene Bereiche der IT-Industrie wären, wie Lobbyisten beider Seiten behaupten.

Zum Thema Softwarepatente siehe auch:

(Stefan Krempl) / (anw)