Brüssel stellt die Weichen für längeren Schutz von Tonaufnahmen

Der EU-Rat will bestimmte Schutzrechte für Tonaufnahmen von derzeit 50 auf 70 Jahre verlängern. Urheberrechtsexperten kritisieren, dass davon nahezu ausschließlich die großen Labels profitieren.

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Die EU-Länder wollen die Geltungsdauer bestimmter Schutzrechte für Tonaufnahmen von derzeit 50 auf 70 Jahre verlängern. Darauf haben sich einem Bericht der Nachrichtenagentur dpa zufolge die ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten am Mittwoch in Brüssel verständigt – gegen den einstimmigen Rat von Urheberrechtsexperten und den Widerstand von Bürgerrechtsorganisationen. Der von den Botschaftern verfassten Vorlage müssen die zuständigen EU-Minister noch bei einem Treffen am kommenden Montag zustimmen.

Damit soll der Schutz der sogenannten verwandten Schutzrechte auf Tonaufnahmen künftig länger währen. Darunter fallen die Rechte an der Aufführung eines urheberrechtlich geschützten Werkes, nicht aber die Urheberrechte der Autoren oder Komponisten selbst. Im Musikbereich etwa sind die Einspielungen von Musikwerken betroffen: Darunter fallen die Beiträge der an den Aufnahmen beteiligten Interpreten sowie Leistungsschutzrechte für Produktion, Vervielfältigung und Veröffentlichung.

Für einen Musiktitel aus dem Jahr 1962 liefen die verwandten Schutzrechte bisher im kommenden Jahr aus. Danach wird die konkrete Aufnahme und Interpretation "gemeinfrei". Das heißt aber nicht, dass die zugrunde liegende Komposition genutzt und vervielfältigt werden kann, ohne dass die Inhaber der Urheberrechte an dem Stück – in aller Regel die Verlage der großen Labels – dafür vergütet werden müssen. Die möglicherweise noch geltenden Urheberrechte bleiben also unberührt: Wer das Musikstück vervielfältigen oder im Internet zugänglich machen will, muss weiter hin urheberrechtliche Nutzungsrechte erwerben.

Schon 2008 hatte sich die EU-Kommission für eine Verlängerung der Schutzfristen auf 95 Jahre stark gemacht. Dabei sollten ausführende Künstler, die ihre Rechte an Labels oder Verlage abgetreten hatten, ein Rückrufrecht erhalten, sollten sie von der Verlängerung nicht profitieren. Das Europäische Parlament stimmte der Verlängerung im Jahr 2009 zu, allerdings nur um 20 Jahre. Zugleich forderten die Parlamentarier, die Interpreten an den durch die Verlängerung entstehenden Mehreinnahmen zu beteiligen. Axel Metzger, Experte für Geistiges Eigentum am Institut für Rechtsinformatik der Universität Hannover, nennt das einen "Teilerfolg". Immerhin habe das Parlament seine Rolle als Kontrollinstanz erfüllt und eine weiterreichende Verlängerung wie in den USA verhindert.

Gescheitert war der Vorstoß laut einem von iRights.info zusammengestellten Dossier (PDF-Datei) bisher am Widerstand einiger Mitgliedstaaten im EU-Rat. Anfang 2011 waren dann Dänemark und Portugal umgeschwenkt und hatten damit die Mehrheitsverhältnisse gedreht. Jetzt soll alles ganz schnell gehen: Nach der Abstimmung der EU-Botschafter dürfte der Ministerrat das Vorhaben in der kommenden Woche abnicken. Eine neue EU-Richtlinie müssen die Mitglieder dann noch in Landesrecht umsetzen. Das in Deutschland zuständige Justizministerium hat sich dazu auf Anfrage bisher nicht geäußert.

Urheberrechtsexperten kritisieren, die EU-Kommission habe bei den Plänen sich die Feder zu sehr von der Musikindustrie führen lassen. "Auch die jetzt beschlossenen 70 Jahre sind letztlich ein Erfolg der Musiklobby", sagt Metzger gegenüber heise online. Im Falle der Musikbranche sind es hauptsächlich die "Big Four", die mit einer Schutzrechteverlängerung weiter gut verdienen werden. "Es geht um die Kataloge der 1960er Jahre", erklärt Metzger – also Werke von Elvis Presley, den Beatles und anderen heute noch populären Interpreten. "Die Plattenfirmen werden aus ihren eigenen Archivbeständen weiter künstlich beatmet", sagt Metzger.

In einer gemeinsamen Stellungnahme (PDF-Datei) zu dem Kommissionsvorschlag von 2008 hatten namhafte Experten für Geistiges Eigentum von verschiedenen Universitäten und Forschungsinstituten kritisiert, dass die vier großen Labels EMI, Sony Music, Universal Music und Warner Music im Besitz fast aller Rechte seien, die von der Schutzfristverlängerung betroffen sind. 72 Prozent der Einnahmen aus den Rechten gingen an die Labels. Weitere 24 Prozent füllen demnach die Taschen des etablierten obersten Fünftels der Künstler, während sich die restlichen 80 Prozent die übrig gebliebenen 4 Prozent der Einnahmen teilen müssten.

Das Fazit der Experten: Das von EU-Kommission und Industrie gerne vorgebrachte Argument, die Verlängerung der Schutzfristen diene den normalen Künstlern, ist heiße Luft. Sie sehen durch die willkürliche Verlängerung auch die Glaubwürdigkeit des Schutzfristensystems untergraben. "Die Länge der Schutzfristen müsste rationalen Maßstäben entsprechen", erklärt Metzger – etwa der Zeit, die ein Label braucht, um seine Investitionen in ein Produkt zu amortisieren. Darüber hinaus fürchten die Experten einen "Dämpfungseffekt" auf die Kreativität. Die Schutzfristverlängerung betrifft etwa auch neue Werke, die mit Samples entstehen. Werden die Schutzrechte verlängert, bleibt auch das Sampling kleiner Passagen aus den Stücken eine lizenzpflichtige Nutzung. (vbr)