Alphabetisierung mit drei Watt

Eine indische-amerikanische Initiative hat einen 35 Dollar teuren Tablet-Rechner für Weltgegenden ohne Stromversorgung entwickelt. Dank einer neuen Chip-Technologie verbraucht das Gerät sehr wenig Strom.

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Von
  • Katherine Bourzac

Eine indische-amerikanische Initiative hat einen 35 Dollar teuren Tablet-Rechner für Weltgegenden ohne Stromversorgung entwickelt. Dank einer neuen Chip-Technologie verbraucht das Gerät sehr wenig Strom.

In die Erschließung digitaler Niemandsländer könnte bald neuer Schwung kommen: Indische Ingenieure wollen nach einjähriger Testphase in einem entlegenen Dorf die Massenproduktion des nur 35 Dollar teuren Tablet-Rechners I-slate starten. Der I-slate zeichnet sich durch einen extrem niedrigen Stromverbrauch aus. Er soll in Landstrichen ohne Stromversorgung Schüler beim Lernen unterstützen.

Das Gerät wird das erste sein, das mit einem "probabilistischen" CMOS-Chip (PCMOS) arbeitet. Entwickelt hat die Technologie Krishna Palem, Professor für Elektrotechnik an der texanischen Rice University und Direktor des Institute vor Sustainable Nanoelectronics an der Nanyang Technological University in Singapur. Um den Energieverbrauch zu senken, arbeitet der PCMOS-Chip nicht mit maximaler Präzision, sondern liefert Ergebnisse, die manchmal mit kleinen Fehlern behaftet sind.

In herkömmlichen Chips werden die Transistoren mit einer Spannung geschaltet, die sicherstellen soll, dass der Elektronenfluss eines geöffneten Transistors viel stärker ist als das unvermeidliche Elektronenrauschen im Halbleitermaterial bei geschlossenem Gatter. Senkt man die Spannung ab, um Energie zu sparen, wird das Verhältnis von korrektem Signal zum Rauschen schlechter, so dass die Wahrscheinlichkeit von fehlerhaften Berechnungen zunimmt. Palem hat jedoch herausgefunden, dass solche Ungenauigkeiten gerade in der Bild- und Tonverarbeitung tolerierbar sind, weil Gehör und Sehsinn beim Menschen ebenfalls nicht exakt arbeiten. Im PCMOS-Chip regeln spezielle Algorithmen, welche Transistoren mit einer niedrigeren Spannung angesteuert werden können.

Den PCMOS-Ansatz stellte Palem bereits 2006 vor. Neben dem I-slate arbeitet der Ingenieur daran, die Technologie in stromsparende Hörgeräte zu implementieren. Der Tablet-Rechner habe dank PCMOS eine Leistung von nur drei Watt, sagt Palem. Auf diese Weise könne er schon mittels kleinen Solarzellen, wie sie in Taschenrechner eingebaut sind, betrieben werden.

Äußerlich ähnelt der I-slate dem iPad von Apple: Er hat einen 7-Zoll-Bildschirm, der ebenfalls mit Berührungen bedient wird. Im Inneren handelt es sich jedoch nicht um einen vollwertigen Rechner, weil ein Betriebssystem fehlt - hierin unterscheidet sich das Gerät auch vom 100-Dollar-Laptop der MIT-Initiative One Laptop per Child. "Es handelt sich um ein ausgeklügelte monofunktionales Gerät", erläutert Palem seinen Ansatz. Kinder können auf ihm im voraus geladene Schulbücher öffnen, Notizen machen und Mathematikaufgaben lösen. Mit einem Plastikstift können sie dabei auf einen Teil des Displays, das so genannte Scratch Pad, schreiben.

Palem, der auch einer Forschungsgruppe an der Nanyang Technological University leitet, hat den I-slate gemeinsam mit der indischen Nonprofit-Organisation Villages for Development and Learning Foundation sowie der US-Designfirma Seso entwickelt. In den vergangenen Monaten hat Palems Team den Tablet-Rechner in einer Schule in Mohd Hussainpalli getestet, einem Dorf 110 Kilometer südwestlich der Großstadt Hyderabad. Dort auf dem Land ist Stromversorgung bislang lückenhaft, und in einigen Dörfern gibt es nicht einmal Lehrer.

Die Benutzeroberfläche wurde von Seso-Chef Marc Mertens entworfen. Herauszufinden, wie man sie auf die Bedürfnisse der Schüler zuschneidet und gleichzeitig die Funktionen minimiert, um Strom zu sparen, sei nicht leicht gewesen, sagt Mertens. So kann der I-slate keine Animationen oder andere komplexere Inhalte darstellen.

Das Mathematik-Programm basiert auf dem in der Region gängigen Lehrbuch. Die Schüler können selbst entscheiden, welche Aufgaben sie lösen und zu schwierige erst einmal überspringen. Um den Lernerfolg zu überprüfen, können Lehrer den Inhalt des I-slate auf einen anderen Rechner ziehen. Im Feldtest zeigte sich laut Palem, dass die Schüler dank des tragbaren Rechners erkennbare Fortschritte machten.

Mertens' Team will die Inhalte, die auf den I-slate passen, noch erweitern. Das sei bei Mathematik-Aufgaben leichter als bei Textbüchern, sagt Mertens. Er wolle auch Lerninhalte auf das Gerät bringen, die mehr Kreativität zulassen.

Der Prototyp im Feldtest war noch mit einem herkömmlichen Chip ausgestattet. "Wir sind dabei, die Hardware noch weiter zu vereinfachen und zugleich die Effektivität der Benutzeroberfläche zu überprüfen", sagt Palem. "Sobald die Oberfläche ausgereift ist, werden wir zum probabilistischen Chip übergehen." (nbo)