Medientage: Mehr Aufklärung über Jugendschutzprogramme gefordert

Auf den Münchner Medientagen sorgten sich Jugendmedienschützer und ihrer Kritiker über die Zukunft des "technischen Medienschutzes".

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Von
  • Monika Ermert

Acht Jahre nach dem Start der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) haben zwei Jugendschutzprogramme Aussichten, offiziell anerkannt zu werden. Die Jugendmedienschützer und ihre Kritikern sorgen sich aber weiter um die Zukunft des "technischen Jugendschutzes", zeigten zwei Diskussionsrunden auf den 25. Münchner Medientagen. Kinder und Jugendliche seien durch die Software immerhin mehr geschützt als ohne, sagte die Chefin der Bremischen Landesmedienanstalt, Cornelia Holsten. Allerdings unterstrich sie ebenso wie die KJM-Stabstellenchefin Verena Weigand, dass noch viel zu tun sei, um Eltern die Programme nahe zu bringen.

Wirtschaft, Aufsicht und Medien müssten sich jetzt zusammen dafür einsetzen, Jugendschutzprogramme stärker zu verbreiten, sagte Weigand. Ihr neuer Chef, der frisch gekürte Präsident der Bayerischen Landesmedienanstalt (BLM), Siegfried Schneider, versicherte, dass auch in den öffentlichen Haushalten für diese Zwecke Geld übrig sein müsste. Dabei führte er die in Bayern beschlossene Ausbildung von 130 Medienexperten an, die künftig in Schulen, Kindergärten und auf Elternabenden über Chancen und Risiken der Internetnutzung und auch über Jugendschutzprogramme informieren sollten.

Neu an den kürzlich positiv bewerteten Programmen von Jusprog und der Deutschen Telekom ist, dass neben klassischen Filterlisten von den Inhalteanbietern selbst angebrachte Alterskennzeichen ausgelesen werden. Erst in dieser Kombination hatten die Jugendmedienschützer Jugendschutzprogramme überhaupt für anerkennungswürdig befunden. Zuvor hatte die KJM wechselweise übermäßiges oder unzureichendes Blocking beanstandet. Auch bei den neuen Programmen müsse man "fordernd" bleiben, sagte Holsten, 80 Prozent "Treffergenauigkeit" müssten es schon sein. Kunden der Deutschen Telekom erhalten das Programm kostenlos, sagte Gabriele Schmeichel, Jugendschützerin des Unternehmens und Vorstandsvorsitzende der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia (FSM). Ob es auch andere Internetnutzer gratis bekommen können, werde gerade geprüft.

Die Treffergenauigkeit bleibt einer der heiklen Punkte, wurde in einem von der FSM organisierten Workshop deutlich. Um Inhalteanbietern das Erzeugen der standardmäßigen Alterslabels zu erleichtern, hat die Selbstregulierungsorganisation einen Labelgenerator entwickelt, der auf einem lange ausgetüftelten Kategoriensystem aufbauent. Otto Volmers, stellvertretender FSM-Geschäftsführer, lud dazu ein, das System im aktuellen Beta-Stadium auf Herz und Nieren zu überprüfen.

Ein Praxistest mit dem Medientagepublikum, das über in Bild abstimmen sollte, auf dem ein Stier den Kiefer eines Toreros durchbohrt, zeigte, wie weit die Meinungen auseinander gehen. Das Fachpublikum war uneins beim Beantworten der Frage, ob die Szene "verstörende Bedrohungs- oder Gewaltszenarien" enthält, "die nachhaltig in die Erlebniswelt von Kindern eindringen".

Das Leben in so eine Zahl abzubilden, die dann auch noch für ein bestimmtes Kind richtig sein soll, ist nach Ansicht des Bloggers Christian Scholz, der derzeit durch die Jugendschutzrunden tourt, keine erfolgversprechende Strategie. Scholz war auch eingeladen worden, weil er es mit einer Art "Crowd Sourcing" für Alterskennzeichen seiner Blog-Inhalte versucht hatte. Da habe er dann vor den unterschiedlichen Bewertungen für die jeweiligen Inhalte gestanden und überlegt, warum er das weiter betreiben soll, wenn es doch umgangen werde.

Weigand konterte, eine "leichte Einschränkung der Freiheit oder auch nur eine als solche empfundene" sei dem Blogger schon mal zumutbar, "damit es den Kindern besser geht". Weil sowohl die Selbstbewertungen als auch der Einsatz der Jugendschutzprogramme freiwillig ist, dürfe sich nach Ansicht der Jugendschützer auch niemand beschweren.

Die KJM werde die weitere Entwicklung genau verfolgen, betonte Weigand. Es seien "Anreize" nötig, auch andere Plattformen wie Spielekonsolen, hybride TV-Plattformen oder auch Web 2.0-Angebote noch mit vergleichbaren Systemen nachzurüsten. Abstand nahmen die Jugendschützer von Ideen, ein Opt-in für den ungefilterten Netzzugang zum Standard bei Neukunden der vier großen britischen Provider einzuführen

Durch den Wechsel an der BLM-Spitze ist das Amt des KJM-Vorsitzenden derzeit vakant. Selbst wenn der neue BLM-Chef in die Fußstapfen seines Vorgängers Wolf-Dieter Ring tritt, wird wohl hinter den Kulissen über die künftige Arbeitsteilung zwischen der KJM und der nun in Berlin angesiedelten gemeinsamen Geschäftsstelle diskutiert. Die in Erfurt angesiedelte KJM-Geschäftsstelle will 2013 nach Berlin übersiedeln. (anw)