Überall berührungsempfindlich

Mit dem TDR-Verfahren werden eigentlich Bruchstellen in Seekabeln aufgespürt. Deutsche Forscher nutzen die Technik nun für neuartige Touch-Sensoren.

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Von
  • Kate Greene

Mit dem TDR-Verfahren werden eigentlich Bruchstellen in Seekabeln aufgespürt. Deutsche Forscher nutzen die Technik nun für neuartige Touch-Sensoren.

Immer mehr Gadgets setzen auf berührungsempfindliche Oberflächen. Egal ob Tablet-PC oder Smartphone – bedient wird stets per Fingerstrich. Wissenschaftler an der LMU München und am Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam arbeiten nun an neuartigen Touch-Sensoren, die sich auch in Alltagsgegenstände wie Kleidung, Kabel, Möbel, Karton oder Papier integrieren lassen.

Dabei kommt eine Technik zum Einsatz, die sich "Time Domain Reflectometry" nennt – kurz TDR. Dieses Messverfahren wird seit Jahrzehnten unter anderem verwendet, um Schäden in Unterseekabeln zu ermitteln. Das Grundprinzip klingt einfach: Man sendet einen kurzen elektrischen Impuls durch ein Kabel und wartet dann, bis dieser Impuls reflektiert wird. Basierend auf der bereits vorher bekannten Laufgeschwindigkeit des Signals und der Zeit, die es tatsächlich dauert, bis es zurückkommt, lässt sich über einen Algorithmus die Position eventueller Probleme lokalisieren – Schäden an der Leitung beispielsweise oder Veränderung in deren Leitfähigkeit.

Patrick Baudisch, Professor im Fachgebiet Human Computer Interaction am HPI, erklärt, dass Ingenieure bereits in den 60er Jahren erkannt hätten, dass sich so feststellen lässt, ob ein Kabel berührt wird. Seit jüngerer Zeit ist es möglich, auch kleinste zeitliche Verzögerungen über sehr kurze Distanzen genau zu bestimmen. Das macht TDR für interaktive Anwendungen interessant.

Die Implementierung der Technik ist unkompliziert, meint Doktorand Raphael Wimmer von der LMU, der das Projekt mit Baudisch vorantreibt. Bei einer Demonstration werden zwei parallel verlaufende Kupferstreifen an ein Stück Papier geklebt. Metallclips verbinden die Kupferstreifen mit einem Impulsgenerator und einem Detektorenmodul. Pikosekunden-lange elektrische Impulse werden dann herausgeschickt. Falls es irgendwelche Veränderungen in der elektrischen Kapazität zwischen den zwei Kupferstreifen gibt, die beispielsweise durch Finger entstehen, die auf oder neben den Drähten platziert wurden, lässt sich dies über den Detektor auslesen.

Ein Oszilloskop zeigt die Wellen an, die der reflektierte Impuls produziert. Eine Software auf einem angeschlossenen Computer analysiert sie und bestimmt die Position der Berührung. Momentan ist das Prototypsystem noch recht groß. Wimmer meint aber, dass sich sowohl Impulsgenerator als auch Detektor und Berechnungseinheit auf einem Chip zusammenfassen lassen müssten.

Um eine Oberfläche berührungsempfindlich zu machen, müssen nur zwei Drähte (oder metallene Spuren aus leitfähiger Tinte) her, die sich zudem in verschiedenen Mustern konfigurieren lassen, um die notwendige Abdeckung zu erhalten. Im Vergleich dazu verwendet ein kapazitiver Touchscreen eines Smartphones eine Matrix aus Drähten, die von beiden Seiten des Bildschirms herangeführt werden. "Man muss sie auf eine bestimmte Art zu einem Controller verlegen und das ist ziemlich kompliziert", meint Wimmer. TDR vermeiden diese ingenieurtechnische Herausforderung.

Jeff Han, Gründer und Chef des Multitouch-Pioniers Perceptive Pixel, meint, dass die Nutzung von TDR "sehr clever" sei. Da seien ganz neue Anwendungen möglich, beispielsweise schlichte Kopfhörerkabel, die plötzlich parallel als Touch-Sensor dienen.

In den nächsten Monaten wollen Wimmer und Baudisch testen, wie sie das TDR-System schrumpfen können, damit es in einen Chip passt. Das Team untersucht außerdem die Möglichkeit, Lichtimpulse in Glasfaserkabeln ähnlich wie elektrische Impulse zu nutzen. Das hätte den Vorteil, dass diese unempfindlich gegenüber elektrischen Interferenzen wären. (bsc)