XP-Days Germany 2011: Agilität als allgemein anerkannte Praxis

Die Abkehr vom Dogmatismus war ein beherrschendes Thema der XP-Days Germany 2011, die vom 17. bis 19. November die agile Entwickler-Community nach Karlsruhe gezogen hatte.

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  • Matthias Lohrer

Die Abkehr vom Dogmatismus war ein beherrschendes Thema der XP-Days Germany 2011, die vom 17. bis 19. November die agile Entwickler-Community nach Karlsruhe gezogen hatte.

Wie ein Sinnbild dieser Richtung wirkte ein Projekt, das SAP vorstellte. Es ging um eine Software, die Skipper bei einer Regatta dabei unterstützt, je nach Wetter die richtigen Segel zu setzen, um möglichst schnell zum Ziel zu kommen. Die Erfahrung ist: Gegen Wind und Wetter hilft kein Dogmatismus. Da hilft es nur, auszuprobieren, Erfahrungen zu sammeln und miteinander zu vergleichen. Erst auf der Grundlage reicher Erfahrungen wird die Kombination der unterschiedlichen Parameter gelingen. Dieses lustvolle Ausprobieren kennzeichnet derzeit auch die agile Community.

So hieß Stefan Roocks Vortrag: "Try this – Dinge, die Sie in Scrum mal ausprobieren sollten." Er legte nahe, doch mal vier Daily Scrums am Tag durchzuführen und die Gruppen für das Pair-Programming jeweils immer neu zusammenzustellen. Der sich daraus ergebende Vorteil sei, dass sich die Entwickler jedes Mal neu in die Materie hineinfinden müssen und deswegen die richtigen, nämlich grundlegenden Fragen stellen. Auch riet Roock dazu, die Daily-Standup-Meetings zu variieren. Es solle nicht gefragt werden, was man heute machen werde, sondern wie Teams bis zum nächsten Daily Scrum den maximalen Wert schaffen können. Zudem sei es besser, nicht zu fragen, was man gestern gemacht habe, sondern eher, was man gestern erledigt habe.

Scrum-Erfinder Ken Schwaber wirkte bislang manchmal leicht dogmatisch. So hatte er im Juni 2010 auf dem Karlsruher Entwicklertag verkündet, dass es so etwas wie "Scrum 2.0" niemals geben werde. Das Konzept von Scrum sei stabil und in sich abgeschlossen. Nun aber verkündete er diverse Änderungen, etwa beim Gebrauch der Begriffe Team, Product Backlog und Sprint Backlog. Und auf seiner Website scrum.org gibt es jetzt sogar einen Bereich, der die Community ausdrücklich auffordert, an der "Scrum extension and modification" mitzuarbeiten. Auf die Herkunft seines Sinneswandels angesprochen, antwortete er, dass die Leute ihm zwingende Gründe genannt hätten, bestimmte Dinge bei Scrum anzupassen. Und diesen Erfahrungen der Scrum-Anwender könne er sich einfach nicht verschließen. Demnach siegt auch bei Schwaber der Pragmatismus über den Dogmatismus.

Aber was hat SAP mit dem Thema Agilität zu tun? Ist Deutschlands größter Softwarehersteller nicht ein riesiger, schwerfälliger Tanker, also alles andere als agil? Von dem Image müsse man sich lösen, sagten die SAP-Angestellten Jürgen Staader und Jürgen Heymann. Die Prozesse skalierten nicht mehr mit der stark gewachsenen Mitarbeiterzahl, und die vom Markt geforderte Projektflexibilität sei nicht mehr gegeben. Ein Grund dafür sei, dass das Wasserfallmodell mit seinen langen Entwicklungszyklen nicht richtig funktioniert habe.

Obwohl bei SAP seit Längerem vereinzelt agile Methoden im Einsatz waren, hat man seit 2009 im Rahmen der Einführung von Lean-Prinzipien in der Entwicklung großflächig Scrum eingeführt. Das Unternehmen hat ebenfalls damit begonnen, Techniken von Extreme Programming anzuwenden. In dem Zusammenhang hat SAP in Zusammenarbeit mit XP-Days-Veranstalter andrena objects in diesem Jahr ein Ausbildungsprogramm für Scrum-Teams namens Agile Software Engineering (ASE) zusammengestellt, das Scrum ergänzen soll. Entwickler lernen hierdurch die Werte, Prinzipien und konkreten Praktiken kennen, die sie in einem agilen Kontext anwenden können. An eine Woche Training schließen sich drei Wochen Coaching an. 1200 Entwickler wurden 2011 auf diese Weise geschult. Doppelt so viel sollen es im nächsten Jahr werden.

XP Days Germany (6 Bilder)

XP-Days I

Agilität im Stehen ausgelebt.

Das Thema "Verstehen, was der Kunde braucht" war vielleicht der zweite Schwerpunkt der XP-Days. Die eingangs angeführte Software für Segler diente SAP als Beispiel dafür, wie es Walldorfer Festlandbewohnern gelungen sei zu lernen, was ein Hochsee-Skipper benötigt. Dafür ist viel Offenheit und Kreativität nötig. "Design Thinking" heißt der dafür verwendete und vom Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik entwickelte Ansatz.

Den Schwerpunkt auf den Kundennutzen legte auch Gojko Adzic in seiner Keynote. Der Autor von "Specification by example" ist Spezialist für das Überwinden kommunikativer Hürden. Bei ihm stehen Akzeptanztests im Mittelpunkt, und jeder Ansatz von "one size fits all" liegt auch ihm fern. Eine gute Ergänzung bot Thomas Krause von Agilent Technologies mit seinem Vortrag zum "Forgotten Customer". Der vergessene Kunde ist laut Krause der Administrator, der die jeweilige Software zum Laufen bringen muss. Dazu brauche er keine unübersichtlichen GUIs, sondern in erster Linie ein Tool für die Kommandozeile. Es soll Konfigurationen am besten in einfachen Textdateien speichern, die sich leicht über ein diff abgleichen lassen. Solche und ähnliche Anforderungen würden beim Kontakt mit dem Kunden nur allzu leicht vergessen.

Matthias Grund von andrena objects blickte auf die Anfänge der XP-Days zurück: "Seit den ersten XP-Days im Jahr 2004 hat sich viel verändert. Was damals noch ein Gebiet für Spezialisten war, ist heute allgemein anerkannte Praxis. Gojko Adzic hat mit dem Thema akzeptanztestgetriebene Entwicklung ein Feld aufgespannt, das in die Zukunft verweist. Ich glaube, dass in den kommenden Jahren hier neues Engineering-Know-how entstehen wird." Für die kommenden XP-Days wünscht sich Grund, dass das namengebende Extreme Programming wieder stärker in den Fokus rückt und Beiträge mit technischem Schwerpunkt wieder ein größeres Gewicht bekommen.

Matthias Lohrer
ist freier IT-Fachjournalist.
(ane)