Minirocking

Knallhart wie Rugby, aber ausgetragen von jungen Frauen. Das ist Roller Derby, eine seit Langem in den USA beliebte Sportart, die auch hierzulande zunehmend Anhänger findet.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Kai König
  • Diane Sieger

Tätowierte und gepiercte Mädchen mit seltsamen Namen in Netzstrumpfhosen und kurzen Röcken, die versuchen, sich gegenseitig von den Rollschuhen zu schubsen – so oder ähnlich könnte der Versuch lauten, Roller Derby für jemanden zusammenzufassen, der noch nie zuvor von dieser Sportart gehört hat. Doch beim Roller Derby geht es um noch viel mehr; es ist ein Lebensgefühl für die Spielerinnen und außerdem ein grandioses Spektakel für die Zuschauer. Zwar steckt der Sport in Deutschland noch in den Kinderschuhen, aber wie üblich finden sich umfassende Informationen zum Thema im Netz.

Wer bislang noch nie das Vergnügen hatte, Roller Derby als Sport kennenzulernen, dem sei eine kurze Reportage aus dem Spiegel TV YouTube Channel empfohlen. Der Clip gibt einen kurzen Überblick über den Sport und lässt Mitglieder der Berlin Bombshells zu Wort kommen. Innerhalb von zwei Minuten erklären Rennausschnitte und Interview-Clips grob, worum es überhaupt geht, und ermöglichen informiertes Weitersurfen.

Auf den ersten Blick stellt sich Roller Derby für Uneingeweihte als ein chaotischer Vollkontaktsport dar. Die üblicherweise weiblichen Spieler drehen auf einer ovalen Rollerskate-Bahn ihre Runden und versuchen, sich gegenseitig von der Bahn zu drängen.

Ziel ist, Punkte für das eigene Team nach bestimmten Kriterien zu sammeln. Das klassische Roller Derby wird auf einer ovalen Steilbahn gespielt, einem sogenannten Banked Track. Davon abweichend gibt es die auf einer flachen Bahn ausgetragene Flat-Track-Variante. Um Regeln, das Austragen von Wettkämpfen et cetera kümmern sich Clubs. Die beiden großen Organisationen heißen „Women’s Flat Track Derby Association“ und „Old School Derby Association“.

Je nach gespielter Variante unterscheiden sich die Regeln leicht von Event zu Event, basieren aber auf den gleichen Grundideen. Eine Partie ist in bis zu zwei Minuten andauernde Jams unterteilt. Ein Team besteht für eine Partie in der Regel aus bis zu 14 Spielerinnen, von denen je Team immer fünf während eines Jams auf der Bahn sind. Innerhalb dieser Fünfergruppe gibt es drei designierte Rollen: den Jammer, einen Pivot und drei Blocker.

Die Jammer starten einige Meter hinter Pivot und den Blockern, die das sogenannte Pack bilden. Die Aufgabe der Jammer ist es, sich möglichst schnell durch das Pack vor ihnen hindurchzukämpfen und es danach zu überrunden. Der Jammer, der sich nach dem Beginn des Jams als Erster durch das Pack arbeitet, heißt Lead Jammer und kann den Jam aus strategischen Gründen vor Ablauf der maximalen Dauer von zwei Minuten jederzeit abbrechen. Für jede erfolgte weitere Überrundung eines gegnerischen Spielers bekommt das Team des entsprechenden Jammers einen Punkt.

Aufgabe der Blocker und der Pivots ist es, genau das zu verhindern. Das Blocken der Jammer ist dabei erlaubt, hat aber regelgerecht zu erfolgen. So darf man sich nicht an anderen Spielern festhalten oder sie von der Bahn ziehen. Regelverstöße entdecken die Schiedsrichter schnell und belegen sie mit Minor oder Major Penalties.

Wem diese theoretische Erläuterung nicht ausreicht, sollte sich die Regeln von YouTube erklären lassen. Die Regelseite der London Rollergirls stellt auch sehr anschaulich die verschiedenen Helmsignaturen je nach Position der Spielerin dar.

Doch wann und wo ist diese eigentümliche Sportart eigentlich entstanden? Zum ersten Mal wurden Rennen auf einer ovalen Bahn bereits 1935 durchgeführt. Damals handelte es sich jedoch eher um ein Ausdauerrennen, bei dem es galt, als letztes Team noch Skater auf der Bahn stehen zu haben. Später kamen Regeln, ein Punktesystem und publikumswirksame Körperkontakte hinzu. Anfang der 80er-Jahre verlor der Sport an Aufmerksamkeit und feierte erst 1999/2000 ein Comeback. Diese Hintergründe sowie weitere Details der Geschichte des Roller Derby findet man auf der Webseite der Berlin Bombshells.

Roller-Derby-Teams haben üblicherweise Namen, die auf Wortspielen beruhen oder auf die geografischen Herkunft der Mannschaften verweisen. Die Roller-Derby-Liga in Neuseelands regelmäßig von Erdbeben heimgesuchter Hauptstadt Wellington beispielsweise trägt den Namen „Richter City Roller Derby“ und hat Mannschaften namens „Brutal Pageant“ oder „Comic Slams“.

Auch die Spielerinnen und Schiedsrichter agieren unter Alter Egos: Michelle O’BamYa, Anna Mosity oder K.C. Ya Later! sind nur einige davon. Einsteigerinnen werden in der Regel dazu angehalten, ihren neuen Derby-Namen vor der erstmaligen Verwendung in einem sogenannte Bout im internationalen Rollergirls Master Roster zu prüfen und zu registrieren. Inspiration liefert Mia Psycho’s Roller Derby Name Generator, der nach Eingabe der gewünschten Position und des echten Namens einen Vorschlag wie DeathMetal Disaster generiert.

Wie bei vielen anderen Sportarten hat das Roller Derby in Bereiche außerhalb der Sportarena erfolgreich Einzug gehalten, unter anderem in Comics. Einblicke in Roller-Derby-Comics bietet derbylove. Folgt man diesem Link, gelangt man zur ersten Seite einer wöchentlich erscheinende Fortsetzungsgeschichte mit dem Titel „Losing my Bearings“. Zusätzlich befinden sich auf dieser Seite Links zu weiteren Roller-Derby-Comics.

Auch das Filmgenre beschäftigt sich immer mal wieder gerne mit dem Thema. Wikipedia bietet sogar eine Übersicht von Filmen an, die sich bereits seit den 1970er-Jahren rund um diese Sportart drehen. Besonders hervorzuheben ist hierbei der Film „Whip it“, der in Deutschland im September 2011 in den Kinos angelaufen ist. Regisseurin und Nebendarstellerin Drew Barrymore sowie Hauptdarstellerin Ellen Page (bekannt aus Kassenschlagern wie „Juno“ und „Inception“) haben diesem Film zu großer Beliebtheit verholfen. Kleinstadtmädchen Bliss aus einer eher ländlichen Gegend in Texas trifft auf die raue Welt der Derby Girls in der Großstadt Austin. Neben blauen Flecken, ein paar Tränen und ein bisschen Liebeskummer gibt es natürlich auch ein Happy End – eine gelungene Teenagerkomödie aus der Welt des etwas anderen Sports. Den Trailer zur deutschen Version sowie zahlreiche Filmausschnitte bietet die TrailerLounge.

Um ein bisschen mehr darüber zu erfahren, welcher Typ Mädchen sich auf das Abenteuer Roller Girl einlässt, lohnt sich ein Blick auf das Tagebuch von Em-shazzam, Michelle und Erica. In ihrem Blog geben die drei dem Leser Einblicke in ihr Leben auf dem Weg vom „Fresh Meat“ in die Roller-Derby-Liga in Australien. Außerdem präsentiert die Gruppe einen Rückblick auf das Jahr 2010, in dem sie sich vorgenommen hatte, zehn Monate lang über eine Reihe von Zielen rund um ihre Derby-Karriere zu berichten. Ob sie es geschafft haben, ihre eigene Derby-Fitness-DVD zu produzieren oder eine Roller-Disko zu organisieren, lässt sich anhand von Fotos und Videoclips überprüfen.

Wer jetzt Lust aufs Mitrollern bekommen hat oder als Zuschauer bei einem Derby dabei sein möchte, kann sich auf der Karte bei Roller Derby Central den nächstgelegenen europäischen Club heraussuchen.

Anfang Dezember hat im kanadischen Toronto die erste Roller-Derby-Weltmeisterschaft stattgefunden. Aktuelle Ergebnisse sind auf deren Wikipedia-Seite zu finden. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Artikels war das Turnier noch nicht beendet, anhand der bislang gespielten Partien sind jedoch die USA und Kanada Top-Favoriten auf den Titel. Das überrascht nicht, ist Nordamerika doch die Heimat der besten Roller-Derby-Ligen der Welt. (ka)