Lego für Profis

Verschiedene Firmen haben sich auf Sonderkomponenten für Legos Roboter-Konstruktionssystem "Mindstorms NXT" spezialisiert. Zu ihren Kunden gehören Technikexperten und Hochschulen aus allen Erdteilen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Udo Flohr

Verschiedene Firmen haben sich auf Sonderkomponenten für Legos Roboter-Konstruktionssystem "Mindstorms NXT" spezialisiert. Zu ihren Kunden gehören Technikexperten und Hochschulen aus allen Erdteilen.

Für einen Legostein kann der NXT Intelligent Brick eine ganze Menge. Der programmierbare Steuerungscomputer bildet das Herzstück des neuesten, 619-teiligen Roboterbaukastens aus dem Hause Lego. Er verfügt über Anschlüsse für mitgelieferte Sensoren, die zum Beispiel Licht, Ultraschall oder Druck erfassen – so lassen sich Roboter konstruieren, die auf ihre Umgebung reagieren und Entfernungen zu Hindernissen einschätzen.

Über Standardschnittstellen wie USB und Bluetooth kommuniziert der Brick per Kabel oder drahtlos und versteht sich dabei mit PCs, Laptops und anderen Standardgeräten. Einfachste Programme lassen sich – etwas umständlich – über vier eingebaute Tasten am Brick selbst eingeben, für alles Weitere stehen Tools für Windows- oder Mac-Rechner bereit. Dabei hat der Nutzer die Wahl zwischen zahlreichen Programmiersprachen oder einer grafischen Entwicklungsumgebung basierend auf LabVIEW des texanischen Softwarehauses National Instruments. Sie simuliert die Hardware als Kästchen auf dem Bildschirm; durch einfaches Verschieben und Kombinieren der virtuellen Komponenten mit der Maus programmiert der Legokonstrukteur Befehlssequenzen, die der Brick mit seinen angebauten Motoren und Sensoren später ausführt – ein vielseitiges Lehrmittel für Schulen und Universitäten, ein nützliches Prototyping-Tool, vor allem aber ein schönes Spielzeug.

Denn der Brick ist das Gehirn eines Robotersystems, das sein Besitzer je nach Zweck und Geschmack als Humanoiden mit Armen und Beinen, als multifunktionelles Raupenfahrzeug oder als Sensorspinne gestalten kann. Die Kennzeichnung "ab 10 Jahren" auf der Lego-Mindstorms-Packung darf getrost mit Augenzwinkern verstanden werden: Väter – und einige Mütter – kaufen das NXT-Kit auch deshalb, weil sie sich 20 Jahre zuvor derartige Technik für ihre eigene Legokiste erträumt hatten. Ein entscheidender Vorteil sei, schreibt der US-Blogger Chris Anderson auf "geekdad.com", dass NXT "spaßig für meinen neunjährigen Sohn, aber trotzdem nicht langweilig für mich ist". Enthusiasten aller Altersgruppen organisieren sich in der internationalen Lego Users Group, Zehntausende treffen sich mehrmals jährlich auf "Brickworld"-Konferenzen samt Ausstellung. Zig Websites helfen Lehrern und Dozenten, NXT-basierte Unterrichtseinheiten zu erstellen.

Wer allerdings vom intelligenten Legostein bereits in der Grundschule fasziniert war, der sucht spätestens als Student nach anspruchsvolleren Projekten, die der mitgelieferte Standardbaukasten nicht mehr hergibt. Eine Erweiterungsmöglichkeit besteht beispielsweise darin, den Brick drahtlos mit einem Smartphone zu kombinieren. Passende Apps steuern dann den NXT-Roboter. Um die Bildverarbeitung des Systems zu verbessern, können Tüftler sogar die Kamera des Mobiltelefons mitbenutzen. Auf diese Art konstruierten die Amerikaner David Gilday und Mike Dobson einen NXT-Roboter, der einen Rubik-Farbwürfel in nur 5,35 Sekunden sortiert – der schnellste Mensch braucht dazu immerhin 5,66 Sekunden.

Und nicht nur das Handy lässt sich in den Spielzeugroboter integrieren – rund um das NXT-System ist ein ganzer Kosmos von Firmen entstanden, die sich auf Ergänzungen für den Brick spezialisiert haben, darunter auch Microsoft mit seinem Robotics Developer Studio. Die meisten Zulieferer operieren jedoch eher in einer Nische, ihr Angebot besteht häufig aus sehr speziellen Ergänzungen, die im regulären Lego-Programm fehlen.

Zu den bekannteren gehört MindSensors, gegründet von dem amerikanischen Physiker Nitin Patil. Auf die Idee für ein solches Start-up kam Patil, nachdem ihm sein Bruder Deepak 2001 den NXT-Vorgänger RCX (Robotic Command eXplorer) zum Geburtstag geschenkt hatte. Nitin Patil hatte gerade in Fest- körperphysik promoviert und arbeitete an der University of Virginia. Schon immer Elektronik-begeistert, entwarf er einen "Multiplexer" – eine elektronische Schaltung, die Anschlüsse für zusätzliche Sensoren am RCX bereitstellte. Darauf hatten Lego-User schon gewartet. Andere Kleinserien kamen hinzu. Bald betrieben die Brüder Patil einen Versandhandel für RCX- und später für NXT-kompatible Sonderkomponenten. Ihnen kam zugute, dass Lego die technischen Spezifikationen der Hard- und Software im Sinne einer Open-Source-Philosophie offenlegt, um solche Weiterentwicklungen zu ermöglichen.

Der MindSensors-Katalog ist für Nerds eine wahre Fundgrube. Neben zahlreichen Multiplexer-Varianten finden sich darin zum Beispiel Controller und Fernsteuerservos – präzise Motoren, aus denen NXT-User etwa Autopiloten konstruiert haben, die Modellflugzeuge autonom fliegen. Eine Mini-Tastatur erweitert die spärlichen Eingabemöglichkeiten, ebenso ein berührungsempfindlicher Vorsatz, mit dem man auf dem winzigen Bildschirm des Bricks zeichnen kann. Doch vor allem gibt es Augen und Ohren aller Art, darunter die bei Lego fehlende Kamera und Infrarot-Sensoren, die Hindernisse auf den Millimeter genau orten. An der Universität im schwedischen Lund entstand daraus ein Modellauto, das in kleinste Parklücken selbstständig einparkt.

Das Angebot entwickeln Patil und seine Mitarbeiter am Firmensitz in Richmond im US-Bundesstaat Virginia und stellen es auch auf eigenen Produktionsanlagen her. Ein Großteil der Ideen kommt aus der Benutzergemeinde, von Hobbybastlern ebenso wie von Lehrern und Robotik-Professoren. "Wir spielen auch selbst viel mit Lego", sagt Deepak Patil, der inzwischen das operative Geschäft leitet. Sogar ausgefallene Wünsche werden auf Realisierbarkeit und Vermarktungschancen abgeklopft, Nachfragen nach Kleinserien und Anpassungen berücksichtigt. "Wir halten uns allerdings heraus aus Bereichen, wo wir mit den Chinesen konkurrieren müssten", erklärt Patil. "Wir kopieren auch keine bereits verfügbaren Produkte."

Ist eine Idee akzeptiert, wird ihre Umsetzung zunächst am Computer simuliert. Anschließend entsteht aus vorhandenen Komponenten ein Prototyp samt eingebetteter Betriebssoftware – der "Firmware". Für dieses Betastadium finden sich unter den per Internetforum organisierten Anwendern immer genug Tester. "Wir hören unmittelbar auf ihren Input und verbessern die Produkte entsprechend", erläutert Patil. Die Extras sind normalerweise mit dem Lego-System kompatibel – NXT-Programme sprechen sie ohne spezielle Zusatzsoftware an.

Ein Beispiel ist das "NXTPowerMeter", es misst den Stromverbrauch des Bricks oder externer Geräte und wurde auf Wunsch eines Professors entwickelt, der so etwas für ein Roboter-Turnier brauchte. Ein Tüftler aus Singapur konstruierte damit später ein Gerät, das den Stand der Sonne verfolgt oder die Effizienz von Solarzellen im Tagesverlauf kontrolliert und hilft, deren optimale Position zu ermitteln. Zum direkten Verkauf eignen sich solche Kreationen in der Regel nicht, denn die Kunden müssten jedes Mal einen NXT-Kasten mitkaufen. Um einen Protoyp zu erproben, bieten sie sich aber sehr wohl an.

MindSensors scheint seine Nische auf dem Markt rund um das NXT-Kit gefunden zu haben. Das Unternehmen beschäftigt inzwischen sieben Mitarbeiter, auf seiner Kundenliste finden sich Universitäten aus allen Teilen der Erde, unter anderem auch aus Stuttgart, Hannover und Hildesheim. Außer MindSensors gebe es derzeit jedoch viele kleine Anbieter, die nicht alle überlebensfähig seien, glaubt Patil. Für die nächsten Jahre erwartet er eine Konsolidierung.

Gute Überlebenschancen hat dabei vermutlich HiTechnic, ein Tochterunternehmen des Netzwerkherstellers Dataport Systems aus Holland Patent im US-Bundesstaat New York. Anders als MindSensors wirbt HiTechnic damit, sein Angebot sei von Lego zertifiziert. 1986 gegründet, begann Dataport bereits Mitte der 90er, Robotersensoren herzustellen. Für die NXT-Plattform findet sich zum Beispiel ein barometrischer Sensor, der Luftdruck, Temperatur und Höhe misst. Mit einem Gyroskop-Sensor kann man den HTWay aufbauen, ein verkleinertes Modell des Segway-Transporters, der wie das Original auf zwei Rädern balanciert. Und im Umfeld der weltweiten Roboterolympiade WRO bietet HiTechnic zum Preis von 157 Dollar das "Football Kit" an, einen Bausatz für einen Fußball spielenden Roboter. Im dem Paket enthalten ist ein Spezialball nach Robocup-Junior-Standard, der mit 20 Infrarot-LEDs den Lego-Kickern den Weg weist. Jedes Jahr bestreiten NXT-Kreationen einen Großteil der Roboter-Wettbewerbe – und haben auch schon gewonnen. (bsc)