RFID: Fußball-WM als Schrittmacher des Pervasive Computing

Rechtsexperten fordern einen Paradigmenwechsel im Datenschutz.

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Von
  • Richard Sietmann

Wird die Fußball-Weltmeisterschaft im kommenden Jahr, bei der hierzulande erstmals im großen Stil die Eintrittskarten mit RFID-Funkchips versehen werden, zum Einstieg in das Pervasive Computing, aus dem es kein Zurück mehr gibt? Mit dieser Frage beschäftigte sich ein Zukunftsgespräch des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) in Berlin. Mit dem Einsatz der RFID-Technik habe der DFB als Ausrichter des Turniers nur die Sicherheitsauflagen der FIFA umgesetzt, dass die Tickets personalisiert sein müssen, um den Schwarzhandel zu unterbinden und bekannte Gewalttäter aus den zwölf Spielstätten fernhalten zu können, erklärte der für den Bereich des Ticketing zuständige Organisationsbeauftragte des DFB, Willi Behr, auf der Veranstaltung. "Wir wollten zunächst mal erreichen, dass die Tickets fälschungssicher sind."

Die verlangte Registrierung der Käufer mit ihrer Pass- oder Personalausweisnummer solle bei Kontrollen frei von Sprachbarrieren gegenüber ausländischen Besuchern die schnelle Identifikation des rechtmäßigen Inhabers anhand von Pass oder Personalausweis ermöglichen, sodass es beim Einlass nicht zu Staus kommt. Zugleich sollte aber auch die Servicequalität für die Kunden verbessert werden, wie Behr betonte. Geht ein Ticket verloren, lässt es sich auf einfache Weise sperren und dem rechtmäßigen Inhaber ersetzen. "Bei uns kommt pro Platz nur einer rein, weil der Platz nur einmal vergeben wird". Der IT-Experte des DFB bekräftigte aber auch, dass es noch um mehr geht. "Wir wollen der Welt ein Stück Innovation zeigen", erklärte er und ließ keinen Zweifel daran, dass der Deutsche Fußballbund mit der neuen Technik die "nachhaltige Nutzung" durch die Bundesliga-Vereine anstrebt.

Genau an diesem Punkt meldete der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix Klärungsbedarf an. Für ihn stellt sich bei allem Verständnis für das Bestreben, bei dem Großereignis ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten, die entscheidende Frage, ob die WM mit ihren gesteigerten Sicherheitsanforderungen ein Ausnahmefall bleibt oder zum Pilotprojekt einer künftigen Regelanwendung wird: "Wollen wir in Zukunft Großveranstaltungen wie Fußballspiele oder Konzerte nur noch besuchen können, wenn wir uns vorher identifiziert haben?"

In diesem Zusammenhang wiederholte Dix die Kritik der Datenschützer an der Registrierung der Ausweis- oder Passnummer zur Personalisierung der Tickets für den Erwerber. "Nach deutschem Pass- und Personausweisrecht ist es unzulässig, die Personalausweis- oder Passnummer zum Abruf von personenbezogenen Daten aus Datenbanken zu nutzen – das ist eine ganz klare gesetzliche Regelung", mahnte er. Zugleich wies Berlins oberster Datenschützer auf den Kontext hin, in dem diese schrittweise Aufweichung des Rechts steht. Durch das Pervasive Computing und den ungebrochenen Trend der Miniaturisierung in der Elektronik, die sich in der Nanotechnologie fortsetzt, werde die Verarbeitung personenbezogener Daten "immer intransparenter und unsichtbarer", und infolge dessen es auch immer schwieriger, "die Autonomie des Einzelnen unter den Bedingungen solcher Technologien noch einigermaßen aufrecht zu erhalten".

Auch Alexander Rossnagel, Professor für Recht der Technik und der Umwelt an der Universität Kassel, sieht den Datenschutz in dem Dilemma, dass hier Prozesse in Gang gesetzt werden, "in denen wir keine Möglichkeiten zur Mitbestimmung haben". Das Pervasive Computing ziele auf die Erweiterung der Sinne, die Erweiterung des Gedächtnisses und die Entlastung von Alltagsentscheidungen und Routineaufgaben. Damit gehe eine exponenzielle Zunahme der Verarbeitung personenbezogener Daten einher, die nicht nur vereinzelte Möglichkeiten des Missbrauchs eröffnet, sondern die zentralen Grundlagen des Datenschutzes überhaupt in Frage stellt.

So ist beispielsweise die heutige gesetzliche Regelung der Einwilligung des Betroffenen in die Erhebung und Verarbeitung seiner persönlichen Daten nicht mehr aufrecht zu erhalten, wenn in einer massiv vernetzten, intelligenten Umgebung jede Wechselwirkung mit der "ambient intelligence" eine explizite Zustimmung erforderte, weil sich dann die propagierte Entlastungswirkung in ihr Gegenteil verkehrte. Desgleichen läuft der Auskunftsanspruch, der nach heutigen Recht gegenüber der datenverarbeitenden Stelle besteht, beim Pervasive Computing ins Leere, weil dann viele Daten kontextabhängig mit erhoben werden und es gar keinen Ansprechpartner für solch ein Auskunftsbegehren mehr geben wird.

"Alle Kriterien des herkömmlichen Datenschutzes stoßen in einer Welt, in der ubiquitär Daten verarbeitet werden, an Grenzen", resümiert Rossnagel und plädiert deshalb für eine vorgreifende Folgenbegrenzung anstelle der nachträglichen Korrekturen, wie sie der heutigen Rechtsgestaltung zu Grunde liegen. Ein Lösungsansatz könnten Prüf- und Gestaltungspflichten für Technologieentwickler sein, aber auch die "professionelle Kontrolle von Systemen und Strukturen" anstelle der Untersuchung einzelner Missbrauchsfälle durch die Datenschützer heute. "Die Bedrohung wird immer technischer, folglich muss auch der Datenschutz immer technischer werden".

In der Diskussion unterstützte Alexander Dix diese Forderung. Er erinnerte daran, dass die Rechtsexperten Hansjürgen Garstka, Andreas Pfitzmann und Alexander Rossnagel bereits vor drei Jahren ein entsprechendes Konzept zur Modernisierung des Datenschutzes vorgelegt hatten und bezeichnete es als "Skandal, dass die rot-grüne Bundesregierung nicht in der Lage war, dieses Konzept in die Tat umzusetzen". Für den Leiter des IZT, Rolf Kreibich, der die Podiumsdiskussion moderierte, wäre schon mit einer "intelligenten Folgenabschätzung" viel gewonnen. Die Technik, meinte Kreibich, sei nicht dazu da, den Menschen irgendetwas aufzunötigen; "sie ist dazu da, die Lebensqualität zu verbessern".

Allerdings beschränkt sich die gesellschaftliche Debatte wohl nicht zufällig auf technische Innovationen und wird nicht unter dem Begriff der Lebensqualität geführt – denn darüber, was Lebensqualität ausmacht, scheiden sich die Geister. Die einen sind Kontroll-Freaks, die auch den letzten Zipfel der Lebenswelt programmiert steuern wollen, während die anderen sich noch an der natürlichen Vielfalt und dem Eigenlauf der Dinge erfreuen wollen. Nun sind das aber zwei Lebensentwürfe, die sich gegenseitig ausschließen – und am Ende reduziert sich alles auf die Frage, wer mit welchem Recht wen steuert. (Richard Sietmann) / (jk)