Fokus: Digital Lifestyle

Tablets und Smartphones sind heute weit mehr als nur Kommunikationsmittel: Ob als nahezu omnipotente Fernbedienung, smartes Spielgerät oder Arbeitshilfe – die chicen Streichel-PCs gehören für die junge Generation einfach zum Leben dazu.

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Von
  • Bernd Müller

Tablets und Smartphones sind heute weit mehr als nur Kommunikationsmittel: Ob als nahezu omnipotente Fernbedienung, smartes Spielgerät oder Arbeitshilfe – die chicen Streichel-PCs gehören für die junge Generation einfach zum Leben dazu.

Sahin Albayrak ist das, was Konsumforscher einen „Early Adopter“ nennen: eine Person, die immer die allerneuesten Geräte haben muss und jeden Technologietrend mitmacht. Kein Wunder, dass Albayraks Haus total vernetzt ist. Photovoltaikanlage, Herdplatte, Kaffeeautomat, Kühlschrank, Waschmaschine und Trockner, PC, TV-Gerät, Stereoanlage, Gesundheitsgeräte sowie diverse Sensoren – alles lässt sich fernsteuern. Der Professor an der TU Berlin ist Gründer des Innovationszentrums Connected Living, das gemeinsam mit der Industrie Lösungen für ein vernetztes Leben bis zur Marktreife entwickelt. Zu Hause probiert Albayrak das aus, was Ottonormalnutzer in einigen Jahren verwenden wird.

Familienmitglieder der neueren Generation sind ein iPad und ein Smartphone. Mit dem Tablet-Computer steuert Albayrak das Haus oder stellt das Fernsehprogramm zusammen, das Smartphone ersetzt vollständig die Fernbedienung des TV-Geräts.

„Smartphones und Tablets sind ideal, um Haustechnik und Unterhaltungselektronik zu dirigieren“, lobt der Berliner Wissenschaftler, „sie sind mobil, einfach zu bedienen, und man kann damit natürlich auch mailen, surfen und telefonieren.“

Sie sind zudem extrem schick und flexibel. Dank Tausender Zusatzprogrämmchen, sogenannter Apps, passen sie sich dem Besitzer an wie ein Maßanzug. Viele Menschen führen mit ihrem Smartphone fast so etwas wie eine Liebesbeziehung. „Junge Menschen definieren ihren Status und ihre Sehnsucht, Freiheit zu leben, heute über Kommunikationstools wie Smartphones oder Tablet-Computer“, sagt der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann. Das gefällt auch der Branche: 20 Millionen Smartphone-Besitzer gibt es in Deutschland schon, und 2,1 Millionen Tablets verkauften sich hierzulande 2011 – ein Zuwachs von 162 Prozent. Für dieses Jahr schätzt der IT-Branchenverband BITKOM einen Verkauf von 2,7 Millionen Stück.

Mit dem Trend vom Handy zum Smartphone und vom Notebook zum Tablet ändert sich auch die Art und Weise, wie die mobilen Geräte genutzt werden. Ursprünglich wurden sie entwickelt, um das Bedürfnis zu befriedigen, auch von unterwegs kommunizieren zu können. Doch inzwischen haben sich die Nutzer dank der vielseitigen Smartphones so sehr an die permanente Mobilität gewöhnt, dass sie selbst dann mobil kommunizieren wollen, wenn sie sich in ihrer Zweizimmerwohnung vom Fernsehsessel zum Kühlschrank bewegen.

Noch vor wenigen Jahren war Mobilität anders definiert – als Bewegen von A nach B. Doch der Deutschen liebstes Kind – das Auto – hat als Statussymbol ausgedient. Junge Menschen würden eher auf den eigenen Wagen verzichten als auf ein Smartphone, sagt eine Studie des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. So verwundert es nicht, dass die Automobilhersteller unter Hochdruck daran arbeiten, Smartphones und Tablets als Navigationsgerät oder Multimediazentrale in ihre neuen Modelle zu integrieren. So hoffen sie, dass wenigstens ein wenig vom Glanz der Kommunikations-Gadgets auf ihre Produkte abfärbt.

Sehnsuchts- und Neidobjekt Nummer eins ist zweifellos das iPhone. Ihm ist es zu verdanken, dass sich das simple Mobiltelefon zu einer Art Schweizer Messer für alle Kommunikationsbedürfnisse entwickelt hat. Basis dafür ist die geniale Idee des kürzlich verstorbenen Apple-Gründers Steve Jobs, das iPhone mittels Apps für mehr Aufgaben als nur Surfen und Telefonieren nutzbar zu machen. Dieses Prinzip setzte Apple mit dem iPad fort – und landete erneut einen großen Erfolg. Das Tablet liefert genug Rechenleistung auch für Business-Anwendungen oder Spiele, ist simpel zu bedienen und hat genau die richtige Größe für die Handtasche.

Visionär Jobs erkannte auch, wie wichtig ein schickes Outfit ist. Trotz durchschnittlicher Technik hob das eigenwillige Design iPad und iPhone aus dem Einheitsbrei der Kommunikations-Gadgets heraus und machte sie zu Statussymbolen, die ein unwiderstehliches Das-will-ich-haben-Gefühl erzeugen. Unter dem Begriff „Digital Lifestyle“ hat sich so ein ganz neues Lebensgefühl definiert, von dem eine florierende Zubehörindustrie profitiert und das Psychologen und IT-Industrie gleichermaßen beschäftigt.

Ursprünglich war auch das iPhone vor allem als Begleiter für unterwegs gedacht. Doch mit der zunehmenden Möglichkeit, Haustechnik und Unterhaltungselektronik zu vernetzen, eröffnet sich für Smartphones und Tablets ein ganz neues Einsatzgebiet: als mobiles Bedienterminal in den eigenen vier Wänden. Das spart Kosten, weil separate Bedienkonsolen wegfallen, und erleichtert die einheitliche Bedienung sämtlicher Geräte, wie es Sahin Albayrak in seinem Haus demonstriert.

Den Heim-PC allerdings werden die Flachmänner zunächst nicht ersetzen. Laut der Studie „Die Zukunft der Consumer Electronics 2011“ des IT-Verbandes BITKOM nutzt etwa ein Drittel der Käufer sein Tablet überwiegend dafür, Videos aus dem Internet anzuschauen. Unterhaltung steht im Vordergrund, ideal für den Einsatz in Zügen, Flugzeugen und Cafés.

Zu Hause jedoch wären die Tablets ohne den Trend zur Heimvernetzung der letzten Jahre nur die Hälfte wert. Ihren im Vergleich zum PC geringen Festplattenspeicherplatz für Musik und Videos machen sie durch ihre Fähigkeit wett, in einem vorhandenen Heimnetz geschickt die Fäden zu ziehen. Internetrouter, die Musik über Kabel oder Funk verteilen, sowie TV-Geräte und Blu-ray-Player mit Netzwerk- oder WLAN-Anschluss haben den Boden für die Flachmänner bereitet (siehe Seite 72).

Die Hersteller von Unterhaltungselektronik scheinen nur auf Tablets und Smartphones gewartet zu haben – das zeigt ein Blick zurück: Vor genau fünf Jahren hat Technology Review unter dem Titel „Kollidierende Universen“ schon einmal einen Artikel zum Verschmelzen von Informationstechnologie und Unterhaltungselektronik veröffentlicht (siehe TR 3/2007, S. 70). Schon der Titel deutete an, wie schwierig diese Verschmelzung werden würde. Zwar gab es schon damals Produkte wie Windows Media Center, die Xbox-Spielekonsole von Microsoft oder Apple TV, eine kleine Box zur drahtlosen Übertragung von Multimedia-Inhalten auf den Fernseher. In den fünf Jahren seitdem ist aber keine umwälzende Technologie neu dazugekommen, die es geschafft hätte, die unterschiedlichen Anwendungszwecke und Standards in ein einheitliches Bedienkonzept zu packen. Erst mit den SmartPhones und Tablets kam die Idee, ausgehend von einem einfachen und universellen Bedienkonzept völlig unterschiedliche Geräte steuern zu können. „Tablets und deren Apps sind das Missing Link in der Unterhaltungselektronik und Heimvernetzung“, jubelte die Gesellschaft für Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik anlässlich der Internationalen Funkausstellung 2011 in Berlin.

Zu einer intelligenten Heimvernetzung gehört auch das „intelligente“ Stromnetz, auf neudeutsch „Smart Grid“, das erhebliche Energieeinsparungen der Haustechnik verspricht. Tablets könnten hier als Energiemonitor dienen und Hausgeräte so steuern, dass diese möglichst günstigen Strom konsumieren. Und die Gesundheitsbranche hofft endlich auf den Durchbruch beim sogenannten „Ambient Assisted Living“, das vor allem Senioren länger ein selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung ermöglichen soll: Sturzsensoren im Teppich oder ein Gerät, das bei Herzrhythmusstörungen automatisch den Arzt alarmiert – all das gibt es schon seit Jahren, doch durchgesetzt haben sich die Geräte nicht, weil sie zu teuer und zu schwer zu bedienen sind. Auch hier sorgen Smartphones und Tablets für einen Push. So gibt es von Withings eine Personenwaage...

Die Fokus-Artikel im Einzelnen:

  • Alleskönner: Smartphone und iPad durchdringen das moderne Lebens
  • Spiele: Die smarten Flachcomputer verdrängen Spielekonsolen
  • Smart Home: Mobilgeräte als Fernsteuerung für die Haustechnik
  • Arbeitswelt: In immer mehr Unternehmen werden Tablets eingesetzt
  • Lebensgefühl: Interview über die Auswirkungen der Online-Kommunikation

(vsz)