Schicksal des Großen Lauschangriffs weiter ungeklärt

Auf einer Anhörung des Rechtsausschusses im Bundestag waren sich Experten uneins, ob die akustische Wohnraumüberwachung gemäß der Vorgaben aus Karlsruhe überhaupt noch praktikabel sei.

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Welch harte Nuss das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zum Großen Lauschangriff der Politik zu knacken gegeben hat, zeigte sich am Mittwoch auf einer Anhörung des Rechtsausschusses im Bundestag. Zur Diskussion stand der umstrittene Entwurf, den die Bundesregierung zur Umsetzung der Vorgaben aus Karlsruhe vorgelegt hatte. Vor allem die als Experten zahlreich geladenen Strafverfolger übten scharfe Kritik an dem Gesetzesvorhaben. Es drohe die "totale Abschaffung" des Ermittlungsinstruments aufgrund der "absoluten" Undurchführbarkeit der Maßnahme, warnte Dieter Büddefeld, Direktor des Landeskriminalamtes Brandenburg, die Abgeordneten. Dies "wird nicht im Sinne eines effektiven Schutzes der Bürger sein." Von den Ermittlern beklagt werde jedoch eigentlich nicht der Gesetzesentwurf, verwies der Karlsruher Rechtsanwalt Christian Kirchberg auf die Grundproblematik, sondern die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.

Die Richter hatten dem Großen Lauschangriff vor einem Jahr enge Grenzen gesetzt. Demnach ist er nicht gestattet, wenn der "Kernbereich privater Lebensgestaltung" Verdächtiger in der grundgesetzlich geschützten Wohnung berührt wird. Die Polizei darf künftig zudem nur noch bei schweren Straftaten abhören, die mit einer höheren Höchststrafe als fünf Jahre Haft geahndet werden. Den Strafverfolgern fällt es sichtlich schwer, dies zu akzeptieren. So berichtete der Leitende Kriminaldirektor des Landeskriminalamtes Hamburg, Reinhard Chedor, von der Aufklärung eines Tötungsdelikts, bei dem die Ermittler korrekt angenommen hatten, dass der später Verurteilte sich gegenüber seiner Frau offenbaren würde. Dabei sei auch herausgekommen, dass der Täter noch eine Vergewaltigung auf dem Gewissen hatte. "Diese letzte Maßnahme wäre nicht mehr möglich", gab Chedor zu bedenken. Der wichtige Aspekt, dass der Lauschangriff der Verhinderung weiterer Straftaten diene, sei auch nicht zu vergessen.

Insgesamt würde der Große Lauschangriff "erheblich aufwändiger und kostenintensiver", bemängelte Joachim Kessler, beim Bundeskriminalamt für die operative Durchführung der Maßnahme zuständig. Taktische Möglichkeiten der Polizei würden erheblich eingeschränkt. Mit den gegenwärtigen Langzeitaufnahmegeräten sei ein Unterbrechen und Löschen gar nicht in jedem Fall möglich. Sein BKA-Kollege Detlev Kurt Riedel sieht seine Beamten zudem gerade "im Islamistenbereich" künftig völlig überfordert mit der Auslegung des geschützten "Kernbereichs". Dort käme es schon heute häufig zu "unterschiedlichen Interpretationen der Kommunikation selbst durch Islamwissenschaftler", erklärte der Kriminaloberrat. Oft sei "nicht einmal eine Richtung zu erkennen", was im Gespräch thematisiert werde.

Die Strafverfolger haben sich nun einige Schleichwege überlegt, um doch noch "zur Rettung der Maßnahme" beizutragen, wie es die Unionspolitikerin Daniela Raab formulierte. Büddefeld etwa schlug ein Verfahren vor, bei dem der Polizeibeamte bei offensichtlichen Eingriffen in den geschützten Intimbereich das eigentliche Abhören stoppe, gleichzeitig aber eine elektronische Aufnahme erfolge. Diese soll verschlüsselt und nur nach einer Richteranordnung ausgewertet werden. Allein als Protokoll zur Absicherung gegen spätere Vorwürfe der Manipulation des Beweismaterials dringen die Strafverfolger auf die Aufzeichnung dieser "Richterspur". Ein solches Procedere wird auch vom Bundesrat unterstützt. Als Alternative brachte Büddefeld ins Spiel, dass die Lauscherei generell durch Sonderkammern der Richterschaft durchgeführt wird. Die damit einhergehende "enorme Belastung" sei angesichts der Bedeutung des Instruments vertretbar. Zudem forderte Büddefeld ein strengeres Strafmaß für Straftaten wie die Bildung krimineller Vereinigungen, um diesen wieder mit der Maßnahme begegnen zu können.

Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erklärte, dass sie keinerlei Möglichkeit sehe, den Vorschlag des Bundesrats "in irgendeiner Weise verfassungsgemäß zu gestalten." Sie verwies darauf, dass das bisherige Chaos bei der Auswertung von Bändern und den Unklarheiten über die Zuordnung zu den richtigen Verfahren zu den strikten Vorgaben aus Karlsruhe geführt habe. Wer sich dennoch dafür einsetze, werde "nur wieder beim Bundesverfassungsgericht landen". Rolf Hannich, Bundesanwalt beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe, erkannte ebenfalls "keinen Spielraum für den Bundesratsvorschlag". Dafür überraschte er die Rechtspolitiker mit der Anregung, den Lauschangriff zunächst immer zu erlauben, "wenn wir es nicht so genau wissen" mit dem Kernbereich. "Wir haben ein Beweiserhebungsverbot" aus Karlsruhe, hielt der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Jerzy Montag, dem entgegen. Es zwinge im Zweifelsfall zur Abschaltung.

Die Abgeordneten erhielten noch viele andere Vorschläge für die weiteren Beratungen. "Lassen wir es" ganz, lautete der Tipp Kirchbergs angesichts der "unlösbaren taktischen, rechtlichen und technischen Probleme". Diese Haltung wird vom Deutschen Anwaltverein sowie der Humanistischen Union unterstützt. Diese moniert zudem, dass der vorliegende Gesetzentwurf weitgehend die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Schutzkriterien ignoriere. Der Strafrechtler Klaus Rogall von der Freien Universität präsentierte gleich einen eigenen Gesetzesvorschlag. Der Regierungsentwurf war ihm "unheimlich", weil er "schon zu perfekt" sei und sich ängstlich sowie "kaffeesatzlesend" an die Entscheidungsgründe der roten Roben klammere. Insbesondere seien die Abbruchregelungen klarer zu fassen. (Stefan Krempl) / (jk)