Kritiker bezeichnen Schleswig-Holsteins neues Polizeigesetz als verfassungswidrig

Der schleswig-holsteinische Landtag will neue Befugnisse für Ermittler etwa zum Kennzeichen-Scanning oder bei der Telekommunikationsüberwachung absegnen, doch von Opposition und Rechtsexperten hagelt es Proteste.

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Der schleswig-holsteinische Landtag will am morgigen Donnerstag im Rahmen der Abstimmung über einen Entwurf der Landesregierung für die Novelle des Polizeigesetzes neue Befugnisse für Ermittler etwa zum Kennzeichen-Scanning oder bei der Telekommunikationsüberwachung mit der Mehrheit der schwarz-roten Koalition absegnen. Damit sollen den Strafverfolgern auch weit ins Vorfeld gehende präventive Befugnisse zur Gefahrenabwehr gewährt werden. Von der Opposition und Rechtsexperten hagelt es Proteste. Nach Ansicht von Kritikern verstößt der Gesetzesentwurf auch nach Abschwächungen durch das federführende Landesinnenministerium teilweise gegen die Verfassung.

Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) etwa hatte die Fraktionen des Landtags im Januar in einem Schreiben nachdrücklich auf weiterhin bestehende verfassungsrechtliche Defizite hingewiesen. Laut ULD-Leiter Thilo Weichert führen die "Sicherheitserwägungen des Entwurfs" noch immer zu unverhältnismäßigen Einschränkungen des "Verfassungsgrundrechts" auf Datenschutz. Der Datenschutzbeauftragte bekräftigte seine Einschätzung, dass insbesondere die zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Widerspruch stehenden Regelungen in dem Entwurf "keinen Sicherheitsgewinn bringen werden, sondern in der praktischen Arbeit der Polizei durch unscharfe Tatbestandsvoraussetzungen und bei der Bevölkerung durch anlasslose Eingriffe eher das Gegenteil bewirken." Mit den neuen Möglichkeiten stünden die Ermittler vor der Herausforderung, ein für sich problematisches Polizeirecht verfassungsgemäß anzuwenden.

FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki beklagt zudem, dass von der "liberalen und rechtsstaatlichen Tradition" des schleswig-holsteinischen Polizeirechts "nicht mehr viel übrig" bleibe. Dass der erste Entwurf von Innenminister Ralf Stegner größtenteils an der Verfassung vorbei gestrickt gewesen sei und der SPD-Politiker erst nach langen Debatten, Verzögerungen sowie einem mahnenden Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Landtags teilweise einlenkte, hält er für einen "politischen und fachlichen GAU". Vor allem bei der kaum eingegrenzten Kfz-Kennzeichenüberwachung könnten "unbescholtene Bürger nicht mehr erkennen, wo, wann und unter welchen Umständen sie in das Visier polizeilicher Observation geraten", befürchtet zudem die Neue Richtervereinigung. Weit im Vorfeld einer möglichen Gefahr wolle der Gesetzgeber der Polizei eine "Jedermann-Überwachung" gestatten. Dies gefährde die Demokratie.

Innenminister Stegner bezeichnete den vom Innen- und Rechtsausschuss des Landtags mit ein paar Änderungen für gut befundenen Entwurf dagegen als "Musterbeispiel eines wirkungsvollen und bürgerfreundlichen Polizeirechts", das genauso "modern" wie "liberal und verfassungskonform" sei. Angesichts neuer Gefahren müssten sich die "Befugnisse der Polizei an veränderte Realitäten anpassen". Die Maßnahmen würden sich zudem "ausschließlich gegen Störer der öffentlichen Sicherheit" richten.

Die Polizei erhält mit dem neuen Gesetz deutlich erweiterte Eingriffsmöglichkeiten. So soll sie zukünftig befugt sein, Telefongespräche und Verbindungsdaten aus dem Internetverkehr vorbeugend zu überwachen. Ist Gefahr im Verzug, genügt dafür nach dem Entwurf schon eine polizeiliche Anordnung, die gemäß den erfolgten Korrekturen aber "unverzüglich" durch einen Richter bestätigt werden muss. Neu geregelt wird auch die anlassunabhängige Kontrolle von Personen und Fahrzeugen im Rahmen der "Schleierfahndung". Polizisten sollen demnach ­ bei einer besonderen Gefahrenlage auch ohne bestimmten Verdacht etwa den Kofferraum eines Autos "in Augenschein nehmen" dürfen. Weitere Punkte des Vorhabens sind die Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten sowie das Nummernschild-Scanning. Dabei sollen die Kennzeichen wie bei einer Rasterfahndung durch ein automatisches Lesegerät erfasst und mit Polizeidateien abgeglichen werden.

CDU-Fraktionschef Johann Wadephul zeigte sich laut den Kieler Nachrichten zufrieden, da mit dem Gesetz in der Polizeiarbeit aufgetretene Lücken geschlossen würden. Ihm zufolge hat es bei der Arbeit an dem Gesetzesvorhaben eine "verkehrte Welt" in der Koalition gegeben: Die ursprünglich von Stegner vorgesehenen Befugnisse seien so weitgehend gewesen, dass die CDU besonders auf Rechtsstaatlichkeit habe achten müssen und es für sie keinen Anlass gegeben habe, Verschärfungen zu fordern. Anke Spoorendonk von der Wählervereinigung SSW konstatierte, dass der SPD-Minister die CDU habe "rechts überholen" wollen. Für sie ist der Streit um das Polizeigesetz mit der morgigen Verabschiedung nicht zu Ende. Das "innenpolitische Rowdytum" muss ihrem Bekunden nach "mit rechtsstaatlichen Mitteln" gestoppt werden.

(Stefan Krempl) / (pek)