Vorratsdatenspeicherung für eine 0,006 Prozentpunkte höhere Aufklärungsquote

Die Kritik an der Vorratsdatenspeicherung untermauern Datenschützer und Juristen mit Daten. Drei zivilgesellschaftliche Organisationen halten EU-Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung für nichtig und vor Gericht für nicht haltbar.

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Von
  • Peter Mühlbauer

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, das Netzwerk Neue Medien und die Neue Richtervereinigung haben ihre Warnungen vor einer Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in deutsches Recht konkretisiert. In einer Stellungnahme untermauern die drei Organisationen den bereits zuvor geäußerten Vorwurf, dass die Vorratsdatenspeicherung kaum oder gar keinen Nutzen bringt, mit Daten.

Kronzeuge der Vorwürfe ist ausgerechnet eine Studie des Bundeskriminalamts, nach der die Vorratsdatenspeicherung die durchschnittliche Aufklärungsquote "von derzeit 55 % im besten Fall auf 55,006 %" erhöhen kann. In Irland und in einigen anderen Staaten, in denen es bereits eine Vorratsdatenspeicherung gibt, hatte sie keinen merkbaren Einfluss auf die Kriminalitätsrate. Aus diesen und aus anderen Gründen sei nicht zu erwarten, betonen die Organisationen, dass damit weniger Verbrechen geschehen würden und die Sicherheit der Bevölkerung gestärkt würde.

Am 21. September soll im Rechtsausschuss des Bundestags eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen stattfinden, nach der der Bundestag über den Gesetzentwurf zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und zur Einführung einer allgemeinen Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten entscheiden soll. Der bisherige Entwurf wurde unter anderem vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags als nicht vor Gericht haltbar kritisiert.

Die drei zivilgesellschaftlichen Organisationen warnen den Bundestag zudem eindringlich vor der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten in deutsches Recht, da die Brüsseler Vorgaben offensichtlich von schweren, gegen das Gemeinschaftsrecht und die Grundrechtsordnung verstoßenden Fehlern behaftet seien.

Sollte das Parlament den Entwurf dennoch absegnen und die Richtlinie damit national implementieren, droht den Organisationen zufolge die offizielle Nichtigerklärung des Brüsseler Rechtsaktes durch den EuGH. Die Richtlinie sei schon in formeller Hinsicht rechtswidrig, weil die Europäische Gemeinschaft über keine Kompetenz zum Erlass der darin enthaltenen Regelungen verfügte. Das 44-seitige Papier weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Irland vor einem Jahr beim EuGH eine Nichtigkeitsklage gegen die Direktive eingereicht hat. Stützen könne es sich dabei auf die zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des Gerichtshofs zur Übermittlung von Fluggastdaten in die USA. Auch in jenem Fall habe die Kommission die Datenübermittlung auf Grundlage der Binnenmarktkompetenz autorisiert, was die Richter beanstandeten. Nichtsdestoweniger hat sich die EU inzwischen auf anderer Rechtsbasis erneut mit den USA über die Weitergabe der Passagierdaten geeinigt und dabei eine deutliche Erweiterung der Speicherfrist beschlossen.

Für den Fall, dass die Mitgliedsstaaten bei der Vorratsdatenspeicherung in Brüssel ähnlich agieren, steht laut der Stellungnahme eine Verwerfung des deutschen Umsetzungsgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht an. So sehe der Entwurf durchaus eine Datensammlung "zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken", welche das oberste deutsche Gericht wiederholt abgelehnt habe. Mit keinem Wort gehe die Bundesregierung auf eine Entscheidung der roten Roben ein, "wonach es verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt, dass die Erfassung der Verbindungsdaten allgemein der Strafverfolgung dient. Vorausgesetzt sind vielmehr eine Straftat von erheblicher Bedeutung, ein konkreter Tatverdacht und eine hinreichend sichere Tatsachenbasis".

Erst im vergangenen Jahr habe das Bundesverfassungsgericht zudem an den Gesetzgeber noch einmal die Warnung gerichtet, dass bei der angestrebten Gesamtregelung der strafprozessualen heimlichen Ermittlungsmaßnahmen die Frage zu stellen sei, "ob und in welchem Umfang von einer neuerlichen Ausdehnung heimlicher Ermittlungsmethoden im Hinblick auf Grundrechtspositionen unbeteiligter Dritter Abstand zu nehmen ist". Demgegenüber schieße die Bundesregierung etwa mit den geplanten Zugriffsrechten auf die Vorratsdaten auch für Geheimdienste, ein Verbot von Anonymisierungsdiensten, weitgehende Identifizierungspflichten und zu weit gestrickte Verpflichtungen zur Speicherung von E-Mail-Verbindungsdaten sowie eine fehlende Entschädigung der TK-Anbieter über die Vorgaben der Richtlinie hinaus.

Müsse jeder die Aufzeichnung großer Teile seines Kommunikations-, Bewegungs- und Internetnutzungsverhaltens bedenken, seien "Kommunikationsstörungen und Verhaltensanpassungen" zu erwarten. Deshalb schade die Massendatenspeicherung der "freiheitlichen Gesellschaft insgesamt", heißt es in der Stellungnahme gegenüber den zuständigen Ausschüssen des Bundestags. Die Organisationen fordern nun zumindest eine Aussetzung des Vorhabens, bis der Europäische Gerichtshof über die anhängige Nichtigkeitsklage gegen die Richtlinie entschieden hat.

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die etwa beim Telefonieren im Fest- oder Mobilfunknetz und bei der Internet-Nutzung anfallen, siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online):

(Stefan Krempl) / (pem/telepolis) / (fr)