Auch deutsche Unternehmen entdecken Second Life

Reiner Hype, bald platzendes Geschäftsmodell der New Economy 2.0 oder eine Welt, die eine vollständige virtuelle Ökonomie vorzeichnet? Deutsche Unternehmen scheinen sich entschieden zu haben: Immer mehr Firmen drängen in die virtuelle Welt.

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Von
  • Jürgen Kuri

Reiner Hype, bald platzendes Geschäftsmodell der New Economy 2.0 oder eine virtuelle Welt, die die Zukunft einer vollständigen virtuellen Ökonomie vorzeichnet? Kritiker und Fans können trefflich über die virtuelle Welt Second Life streiten, während sich viele Medienvertreter in Second Life ein Stelldichein geben und ihre Erlebnisse (oder auch ihre Langeweile) in der realen Welt in Artikel gießen. Deutsche Unternehmen aber scheinen sich entschieden zu haben: Immer mehr Firmen drängen in die virtuelle Welt. Direkte wirtschaftliche Effekte versprechen sich die meisten zwar noch nicht davon. Handels- und Werbeexperten sehen darin aber schon heute einen wichtigen neuen Vertriebskanal, über den vor allem eine junge kauflustige Kundschaft direkt angesprochen werden kann.

DaimlerChrysler eröffnete in Second Life im Februar eine virtuelle Mercedes-Benz-Niederlassung und betreibt dort eine Teststrecke, auf der Autos im Computer ausprobiert werden können. "Wir bauen unseren Auftritt sukzessive weiter aus", sagt eine Sprecherin. Auch Konkurrenten wie BMW, Toyota, Nissan, Mazda, General Motors sind da. Beim VW-Konzern in Wolfsburg heißt es noch, "unsere Spezialisten verfolgen das mit großem Interesse". Der Verband der Automobilindustrie (VDA) betont: "Wir haben da ein Auge drauf."

Der Sportartikelhersteller Adidas, der im vergangenen September einen eigenen Shop in Second Life öffnete, freut sich über eine "sehr gute Resonanz". Bislang seien dort rund 23.000 virtuelle Schuhe verkauft und 1,15 Millionen Linden-Dollar – die Währung, mit der in der Online-Welt bezahlt werden kann – umgesetzt worden. 270 Linden-Dollar sind einen echten US-Dollar wert. Der Konzern spricht von einer ganz neuen Möglichkeit, an die Kunden heranzutreten. Aus dem Second-Life-Shop gibt es zugleich einen Link zu einer Website, die echte Adidas-Schuhe verkauft.

Auch der Berliner Internetdienstleister Pixelpark, der vor Kurzem in Second Life für den Energiekonzern EnBW in Karlsruhe eine Sportkampagne betreute, berichtet von einem großen Interesse. "Das ist längst nicht nur mehr ein Computerspiel. Es muss sich aber noch zeigen, wie die Unternehmen daraus wirtschaftliche Modelle entwickeln können", betont Sprecher Christoph Ringwald. "Das könnte den Online-Handel gravierend verändern. Da herrscht eine unheimliche Dynamik", sagt Michael Schumann von der Berliner Kommunikationsagentur Zühlke Scholz & Partner, die seit kurzem mit einem eigenen Büro in Second Life Unternehmen zum Thema Online-Marketing in virtuellen Welten berät.

Deutschland soll laut Second-Life-Betreiber Linden Labs in der Rangliste der Nutzerländer bereits Rang drei belegen. Das Interesse an Second Life wachse stetig, heißt es beim IT-Branchenverband Bitkom. Hunderte Unternehmen seien dort schon aktiv, vor allem Computer-, Auto- und Schuhersteller, aber auch viele Dienstleistungsunternehmen wie Singlebörsen und Reisebüros. "Die Unternehmen dringen dort mit ihrer Werbebotschaft leichter durch, als in der realen Welt", sagt Bitkom-Internetexperte Florian Koch. Zudem biete die Online-Welt eine gute Möglichkeit, Marktforschung zu betreiben. Unternehmen könnten dort sehr leicht Produkte starten, Dienstleistungen anbieten und daraus Schlüsse für die reale Welt ziehen.

Die neue Internetwelt werde wird mit großem Interesse beobachtet, heißt es auch beim Einzelhandelsverband HDE. "Die Entwicklung ist noch sehr am Anfang, aber wir gehen davon aus, dass sich der Handel dort über kurz oder lang engagieren wird", sagt Sprecher Hubertus Pellengahr. Auch für die Medienbranche ist Second Life ein neues Spielfeld. "Wir sind immer auf der Suche nach potenziellen neuen Erlösquellen und wollen dabei sein bei einer Sache, die gerade aktuell so viel beachtet wird", betont Tobias Fröhlich von Bild.T-online. Die Axel-Springer-Tochter ist seit Dezember mit einer eigenen Zeitung, "AvaStar", auf dem Second-Life-Markt und berichtet von "Downloads im fünfstelligen Bereich". Seit Februar gibt es auch eine deutsche Ausgabe. Titelthemen: "Glücksspiel auf dem Vormarsch" und "Abschied vom Billigland".

Vielleicht nimmt sich der virtuelle Ableger von "Bild" dann auch in der vom Mutterblatt gewohnten Art bald der Second Life Liberation Army als erster "virtueller Terrorgruppe" an – die SLLA selbst sieht sich als Befreiungsorganisation, die grundlegende politische Rechte für Avatare fordert: "The only response to injustice is to fight!" (Maren Martell, dpa) / (Jürgen Kuri) / (jk)