CFP: Vom kafkaesken Schwinden der Anonymität

Auf der "Computers, Freedom & Privacy" sucht die nordamerikanische Datenschutzszene Wege aus der digitalen Kontrollgesellschaft mit biometrischen Ausweisen, Datenbanken mit Verbraucherprofilen, Mautstraßen, Videoüberwachung, RFIDs und DRM.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 91 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Die Konferenz Computers, Freedom & Privacy (CFP) hat es sich dieses Jahr zum Ziel gesetzt, die immer handgreiflicheren Konturen des Panoptikums in Form einer digitalen Kontrollgesellschaft sowie mögliche Auswege aus dem dunklen Szenario aufzuzeigen. Schon am ersten Tag des noch bis zum Freitag dauernden Stelldicheins der nordamerikanischen Datenschutzszene in Seattle entwarfen Experten in einem Workshop zum "Schwinden der Anonymität" das Bild umfassender Überwachungsbestrebungen von Seiten des Staates und der Wirtschaft. Pfeiler der durchsichtigen Gesellschaft sind demnach unter anderem Identifizierungszwänge durch biometrische aufgerüstete Ausweisdokumente, der Aufbau vernetzter Datenbanken mit detaillierten Profilen der Konsumenten und Bürger, Mautstraßen, Videoüberwachung, RFIDs und Architekturen zum digitalen Rechtekontrollmanagement (DRM).

Als "kafkaesk" bezeichnete Philippa Lawson vom kanadischen Datenschutzzentrum (CIPPIC) etwa den Dschungel der "digitalen Dossier, die über uns bereits auf dem Markt gehandelt werden". Allein der US-Datenmakler Choicepoint, der jüngst wegen eines spektakulären Falls von Identitätsdiebstählen in die Schlagzeilen geraten war, halte über 19 Milliarden Einträge über insgesamt gut 220 Millionen Verbraucher vorrätig. Die würden hinter dem Rücken der Betroffenen für "Verifikationszwecke" nicht nur von der US-Regierung in ihrem Anti-Terrorkampf eifrig abgefragt, sondern auch von Arbeitgebern, Banken, Versicherungsgesellschaften oder Vermietern. Derlei Datenjäger machen sich laut Lawson Regulierungslücken im Bereich Datenschutz in den USA zu Nutze, weil es dort nach wie vor an einer grundlegenden Gesetzgebung in diesem Bereich mangelt.

Was die US-Behörden selbst an heiklen persönlichen Daten ins Netz stellen, gehört laut der Juristin Veronica Pinero auf den Prüfstand. Denn während sich die Regierung in Washington DC bei Auskünften gemäß dem allgemeinen Akteneinsichtsrecht, dem Freedom of Information Act, verstärkt zugeknöpft präsentiert, herrscht in den meisten US-Bundesstaaten eine zur Schau gestellte Offenheit bei der Anprangerung von Sexual- oder Gewalttätern. Der Staat Washington, in dem der Tagungsort liegt, bietet etwa online einen weitgehend unbeschränkten Zugang zu einem entsprechenden Informationscenter. Mit Hilfe Microsofts MapPoint-Lösung können Interessierte dort auf interaktiven Stadtplänen herausfinden, ob in der Nachbarschaft entsprechend verurteilte Schwerverbrecher leben. Diese werden mit Name und Adresse aufgelistet. Firmensites wie Predator Report, ChildSafeNetwork oder Sexual Offenders bieten bundesweit entsprechende Informationen.

Ein anderes Beispiel für die Realisierung des Panoptikums, das der englische Philosoph Jeremy Bentham Ende des 18. Jahrhunderts bezogen auf eine Gefängnisanstalt entwarf, ist laut dem kanadischen Rechtsprofessor Alex Cameron der Zwang zur Anerkennung von Anti-Kopierschutzmechanismen mittels DRM. Selbst außerhalb eines solchen Kontrollsystems halten sich die Nutzer ihm zufolge an die Erwartungen, die durch die Schutzsysteme propagiert werden. Dass sich der Kampf für mehr Datenschutz und Anonymität häufig frustrierend gestaltet, erläuterte ferner Catherine Thompson am Beispiel des Maut-Highways 407 bei Toronto. Im Rahmen der Public-Private-Partnership sei die Betreiberfirma zwar von kanadischen Datenschutzbeauftragten angehalten worden, eine anonyme Nutzung mit Hilfe vorbezahlter Chipkarten zu ermöglichen. Die Betreiberfirma habe sich trotzdem immer wieder Hintertüren offen gelassen, um sich die persönlichen Daten der den Highway nutzenden Autobesitzer zu verschaffen.

Auch im Internet haben viele ambitionierte Projekte zur Stärkung der Anonymität schlicht "keinen Markt gefunden", konstatierte Stephanie Perrin von der Firma Digital Discretion. Sie erinnerte etwa an das Scheitern des datenschutzfreundlichen Bezahlsystems DigiCash des Krypto-Experten David Chaum. "Privacy Enhancing Technologies" kommen noch nicht vorinstalliert mit einem Standardcomputer, beklagte auch der Forscher Ian Goldberg. Anonymisierungsprogramme wie Mixminion für E-Mail, Off-the-Record Messaging (OTR) für Instant Messaging, WASTE fürs Filesharing oder Privoxy fürs Surfen müsste sich nach wie vor jeder Anwender selbst besorgen.

Roger Dingledine vom The Free Haven Project ist angesichts der Nutzungsstatistiken der von ihm mitentwickelten Netzwerksoftware The Onion Routing (TOR) jedoch optimistisch, dass sich das Erfordernis zum Spurenverwischen langsam herumspricht: "Wir haben ein Verkehrsaufkommen in Höhe von 5 bis 10 Megabyte pro Sekunde", freute er sich über die Nachfrage. Reine Filesharing-Fans müssten da teilweise schon ausgesperrt werden, um die Ressourcen der angeschlossenen Netzpartner nicht zu überlasten. Auch Firmen wie Google würden mittlerweile auf TOR setzen, um Konkurrenten keine wertvollen Informationen in die Hände zu spielen. Kriminelle hätten dagegen auch ohne die verteilte Anonymisierungslösung die Möglichkeit, um ihre Spuren zu verwischen. (Stefan Krempl) / (jk)