Juristische Niederlage für Strafanzeigen-Maschinerie gegen P2P-Nutzer

Der Schweizer Dienstleister Logistep darf laut einem Urteil des Landgerichts Flensburg Provider nicht mehr massenhaft per E-Mail zur Speicherung von Verbindungsdaten anhalten.

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Der Schweizer Dienstleister Logistep darf Internetprovider im Kampf gegen Urheberrechtsverstößen durch Tauschbörsen-Nutzer nicht mehr massenhaft zur Speicherung von Verbindungsdaten anhalten. Dies geht aus einem Urteil des Landgerichts Flensburg hervor, das sich auf die Haftungsregeln im Teledienstegesetz (TDG) beruft. Demnach sind Zugangsanbieter für fremde Inhalte grundsätzlich nicht verantwortlich und deshalb auch nicht verpflichtet, ihre Kunden zu überwachen oder nach Umständen für eine rechtswidrige Nutzung ihrer Dienste zu suchen. Wird ein Provider über das illegale Treiben von Kunden in Kenntnis gesetzt, gilt er fortan zwar als "Störer" und kann zum Eingreifen verpflichtet sein. Diese Haftung begründet laut der Flensburger Entscheidung aber keine Auskunftsansprüche gegenüber dem Anbieter, sondern allein einen Unterlassungsanspruch. Auf Mithilfe zum Erwirken von Schadensersatz könne nicht abgestellt werden.

"Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt" könne von einem Zugangsanbieter verlangt werden, "irgendwelche Daten oder Informationen zu speichern", stellt das Gericht aus dem hohen Norden klar. Der Telekommunikationsanwalt Ernst Georg Berger von der Frankfurter Kanzlei Schalast & Partner, der das Verfahren im Auftrag des Berliner Carriers Versatel führte, spricht daher von einem "richtungsweisenden Urteil". Er geht davon aus, dass sich nun auch zahlreiche andere Provider veranlasst sehen, "sich gegen die Massenmails der Logistep zur Wehr zu setzen".

Logistep setzte im Sommer im Auftrag der Karlsruher Kanzlei Schutt-Waetke eine Strafanzeigen-Maschinerie bis dato unbekannten Ausmaßes in Gang. Die Schweizer haben nach eigenen Angaben eine spezielle Software entwickelt, mit der sie die Anbieter urheberrechtswidrig verbreiteter und veröffentlichter Werke wie PC-Spiele, Musikstücke oder Videos aufspüren und die IP-Adresse zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung festhalten zu können. Mit Hilfe dieser Informationen kann über den jeweiligen Provider die Identität des Nutzers hinter der Netzadresse ermittelt werden. Das Hauptinteresse der selbst ernannten Raubkopiererjäger liegt bislang beim Spiel Earth 2160 des Karlsruher Herstellers Zuxxez Entertainment. Wie die Staatsanwaltschaft Karlsruhe bestätigte, sind dort mit Hilfe Logisteps allein im Juni und Juli 2005 über 20.000 Strafanzeigen eingegangen. Die Strafverfolger stöhnen inzwischen über die Überschwemmung mit Urheberrechtsdelikten und fordern eine gesetzlich klar festgeschriebene Bagatellgrenze für entsprechende Vergehen.

Die Schweizer suchen die Anzeigen-Automatik dagegen noch dadurch zu verbessern, dass sie Provider mit automatisch generierten Nachrichten zur Speicherung der jeweiligen Verbindungsdaten auffordern. Zuvor hatten sie die Erfahrung gemacht, dass gerade Flatrate-Anbieter die begehrten Informationen nicht für Abrechnungszwecke benötigen und daher bislang rasch löschen. Versatel erhielt auf diese Weise innerhalb von 14 Tagen 507 entsprechende E-Mails von Logistep zugeschickt. Davon allein an einem Tag 167 Mails, was dem Anbieter zufolge zu einer Blockierung seiner Server führte. Schalast & Partner erwirkten daraufhin Anfang August eine einstweilige Verfügung, in der Logistep die ungewöhnliche Speicheranmahnung untersagt wurde. Die Schweizer Firma legte daraufhin Widerspruch ein, den das Flensburger Gericht mit dem jetzt bekannt gewordenen Urteil am 25. November auf Grund des erfolgten Eingriffs in den Gewerbebetrieb Versatels ablehnte.

Der erste juristische Erfolg gegen die Strafanzeigen-Automatik könnte sich aber schon bald als Pyrrhus-Sieg erweisen. Zum einen hat das EU-Parlament gerade eine heftig umstrittene Richtlinie abgesegnet, mit der Telekommunikationsanbieter verpflichtet werden, Verbindungs- und Standortdaten für einen Zeitraum zwischen mindestens sechs und 24 Monaten vorzuhalten und Sicherheitsbehörden zugänglich zu machen. Es ist zwar noch nicht heraus, ob die Ermittler auch bei der Verfolgung von Verstößen gegen das geistige Eigentumsrecht in den gigantischen Datenbergen schürfen dürfen. Doch zum anderen hat Bundesjustizministerin Brigitte Zypries gerade einen Gesetzesentwurf vorgestellt, wonach Verwerter bei einem "gewichtigen Eingriff" in ihre Rechte Auskunftsansprüche gegen Provider geltend machen können. Die künftig zu speichernden IP-Adressen und die dahinter steckenden Identitäten dürften daher von der Unterhaltungsindustrie rege nachgefragt werden.

Die Provider sind in großer Sorge, dass neue Abmahn- und Klagemodelle auf ihre Kosten aufblühen könnten. "Wenn das Bundesjustizministerium ernst macht, könnten Unternehmen wie Logistep schon allein auf Grund der Behauptung einer Urheberrechtsverletzung die Möglichkeit erhalten, Nutzer von Tauschbörsen auch noch Monate danach anhand der auf Vorrat gespeicherten IP-Adresse auf Grundlage des Zivilrechts zu ermitteln", gibt Jan Mönikes, Geschäftsführer der Initiative Europäischer Netzbetreiber (IEN), zu bedenken. Die Kombination aus EU-Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung mit der Umsetzung der Richtlinie zur Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte könnte sich damit für Deutschland und ganz Europa als "Kostentreiber für die Telekommunikation erweisen". Zugleich befürchtet Mönikes einen "Riesenschritt in Richtung Totalüberwachung auch unbescholtener und rechtstreuer Bürger". (Stefan Krempl) / (jk)