Bundesverfassungsgericht: Unklare Rechtsgrundlage für behördlichen E-Mail-Zugriff

In einer jetzt bekannt gewordenen Entscheidung haben die Verfassungsrichter sich erstmals zum Zugriff von Ermittlungsbehörden auf E-Mail-Inhaltsdaten geäußert.

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Von
  • Dr. Marc Störing

Schon mehrfach hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in der Vergangenheit über die Grenzen des Fernmeldegeheimnisses aus Artikel 10 des Grundgesetzes (GG) zu entscheiden. Bisher behandelten die Karlsruher Richter dabei jedoch Fragen nach dem Schutz so genannter Verkehrsdaten und dem Zugriff darauf. In einer jetzt bekannt gewordenen Entscheidung vom 29. Juni 2006 (Az. 2 BvR 902/06) haben die Verfassungsrichter sich jedoch erstmals zum Zugriff auf die wesentlich sensibleren Inhaltsdaten als den tatsächlich übermittelten Kern der Kommunikation geäußert – und ließen die Frage ausdrücklich ungeklärt.

Zugrunde lag ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Untreue und des Betrugs. Der spätere Beschwerdeführer, selbst nicht Tatverdächtiger, hatte empfangene und versandte E-Mails in der Mailbox beim Provider gespeichert. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens kopierten die Strafverfolger im Rahmen einer Beschlagnahme rund 2500 E-Mails des Betroffenen aus dieser Mailbox.

In der Praxis wird diese Konstellation immer bedeutsamer, denn die Funktion der E-Mail-Provider wandelt sich mehr und mehr vom reinen Abrufort für E-Mails zum endgültigen, mehrere Gigabyte großen Speicherort. Wie jedoch rechtlich auf diese E-Mails zugegriffen werden kann, ist bisher nicht klar. Denkbar wäre eine einfache Beschlagnahme nach § 94 StPO – wenn sie hier denn zulässig wäre. Denn im Hinblick auf die zumindest vorhandene Nähe zur Telekommunikation wäre jedoch ebenso eine qualifizierte Anforderungen stellende Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO denkbar.

Die Frage ist schon zuvor in der Rechtwissenschaft erörtert worden. Zahlreiche Juristen zogen dazu eine als "3-Phasen-Modell" bekannte Abgrenzung heran. Jedenfalls während die E-Mail beim Provider ruhe, stelle sie keine Kommunikation dar und könne deshalb ohne besondere Anforderungen einfach beschlagnahmt werden. Das machte nun das BVerfG nicht mit und erklärte die Frage ausdrücklich für offen und ungeklärt. Mit der Entscheidung, die als einstweilige Anordnung erging, begnügte sich das Gericht mit der Feststellung, dass die im konkreten Fall so erlangten Daten zunächst nicht weiter verwendet werden durften und schob damit der einfachen Beschlagnahme von E-Mails beim Provider vorerst einen Riegel vor. Endgültig klären will das Gericht die Frage jedoch erst im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde des Betroffenen.

Damit hält Karlsruhe jedenfalls die Tür für einen weiter gehenden Schutz offen. Denn schon zuvor missfiel Datenschützern das 3-Phasen-Modell, denn es schwächt genau im empfindlichsten Moment – der Speicherung beim Provider – den rechtlichen Schutz der E-Mails.

Nachdem zuletzt erst der BGH entschied, für eine Online-Durchsuchung fehle der Strafprozessordnung (StPO) eine passende Ermächtigungsgrundlage, ist es damit gut möglich, dass mit einer endgültigen Entscheidung auch das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber noch weitere Hausaufgaben aufgeben wird: Ganz ähnlich wie bei der Online-Durchsuchung passt nach Meinung verschiedener Juristen auch beim Zugriff auf E-Mails beim Provider weder die Vorschrift der Beschlagnahme noch die der Telekommunikationsüberwachung.

"Fordern elektronische Medien ein anderes rechtliches Programm?" hatte das Gericht sich schon bei der vorherigen, vielbeachteten Entscheidung zu den Grenzen des Schutzbereiches von Artikel 10 GG gefragt. Doch dabei hatten die Richter sich noch ausschließlich mit Verkehrsdaten zu beschäftigen – also mit Informationen darüber, wer wann wo und mit welchem Gegenüber in Telekommunikationskontakt stand.

Nachdem eine frühere Kammerentscheidung des BVerfG das Fernmeldegeheimnis weit ausgelegt hatte, löste dies teilweise erhebliche Bedenken aus. Insbesondere Ermittlerkreise fürchteten, in konsequenter Anwendung der damaligen Karlsruher Linie wären auch Inhalte und eben nicht nur die im Kern der Entscheidung befindlichen Verkehrsdaten sehr umfassend geschützt und einem Zugriff der Ermittler eventuell sogar entzogen.

Wenig später also hatte das Gericht abermals die Frage zu entscheiden, nun jedoch in der Besetzung des vollständigen, zweiten Senats und nicht lediglich als dreiköpfige Kammer. Die Richter ruderten zurück: Doch nicht das Fernmeldegeheimnis, sondern lediglich der Datenschutz verhindere den Zugriff auf bestimmte Daten in bestimmten Konstellationen. Auch diese Entscheidung löste wieder ein geteiltes Echo aus. (Marc Störing) / (psz)