WOS 4: "Grauzonen für Tausch von Inhalten offen halten"

Auf der Wizard of OS in Berlin loten Wissenschaftler, Künstler und Aktivisten neue kulturelle Räume aus und stellen Modelle vor, wie sich Inhalte im Netz auf neue Wege begeben.

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Von
  • Monika Ermert

Ab dem heutigen Donnerstag findet rund um die Berliner Columbiahalle die vierte "Wizards of OS" (WOS 4) statt. Wissenschaftler, Techniker, Künstler und Aktivisten aus der ganzen Welt wollen im Rahmen der Konferenz die medientechnischen, rechtlichen, kulturellen und künstlerischen Veränderungen der vergangenen Jahre aufzeigen. Neben den eher visionären Ideen soll es bei der diesjährigen WOS auch darum gehen, wie man mit freien Bits auch Geld verdienen kann. Das sagte Organisator Volker Grassmuck in seiner Eröffnungsrede. Grassmuck sieht noch Nachholbedarf bei der Verknüpfung der drei emanzipatorischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts, Antikolonialismus, Emanzipation und digitale Revolution. Allerdings zeige sich gerade in Entwicklungsländern, dass sich Frauen zunehmend der digitalen Werkzeuge bedienten und die erste Welt dabei hinter sich ließen.

Für den Enthusiasmus für die brasilianischen Anstrengungen im Bereich alternativer Urheberrechtsformen bedankte sich Gustavo da Spa von der brasilianischen Botschaft. Er nannte das Projekt Pontos de Cultura, das jedem Zugang zu "digitalen Produktionsmitteln" ermögliche, sowie den Kampf Brasiliens um eine Reform der World Intellectual Property Organisation (WIPO) als Versuche, eine neue Balance zwischen Rechteinhabern und Öffentlichkeit sowie Konzernen und Entwicklungsländern zu finden. Diese entwicklungspolitische Agenda konnte Brasilien bislang allerdings nicht gegen die Industriestaaten durchsetzen. Immerhin habe man ein internationales Patentabkommen vorerst stoppen können, erklärte da Spa gegenüber heise online. Durchgewinkt wurde allerdings das umstrittene WIPO- Broadcast-Abkommen, das die bei der Wizard of OS eingeforderte Emanzipation der User weiter behindern könnte.

Am ersten Konferenztag präsentierten sich drei Projekte, die über die Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten oder rechtliche Beschränkungen hinaus neue kulturelle Räume ausloten. Das schwedische "Piratenbüro" (nicht zu verwechseln mit der am Sonntag fürs schwedische Parlament kandidierenden Piratenpartei) will "die Grauzonen offen halten", in denen Inhalte geschaffen, produziert, gehandelt und getauscht werden. Filesharing sei eine Realität; der Kampf gegen die Piraterie werde nicht zu weniger Piraterie führen, sondern nur zu weniger Pluralismus unter den Piraten, führte der Sprecher des Piratenbüros, Rasmus Fleischer, aus. Ein "einheitliches Modell" für die Rechteverwaltung oder auch die Kompensation von Autoren über eine Copyflat lehnt Rasmussen ab. Ebenso utopisch wie ein perfekt funktionierendes Copyright-System, wie es große Rechteinhaber mit Macht propagieren, sei es, alle Blogger über eine Flatrate zu kompensieren. "Wer sind denn eigentlich die Autoren in so einem Modell?" fragt der schwedische Vertreter.

Dass der Begriff des Autors oder Produzenten an Trennschärfe verliert, meint auch Alexej Blinov, Mitbegründer des Netzwerkprojekts Hive. Bei den Anschlägen am 7. Juli in London habe die BBC von Betroffenen in der U-Bahn aufgenommene Handy-Videos gesendet. Trotzdem seien die nicht alle gleich zu Produzenten geworden. "Sie sind Teil des Netzes, sie sind das Netz, ihnen gehört das Netz", beschreibe die Situation besser, so Blinov. Für das Hive-Projekt gehört das Netz nicht nur den Großen, sondern allen Teilnehmern. Unternehmen wie Google oder Flickr eigneten sich derzeit Dinge an, die ihnen nicht gehörten. Hive setzt den kommerziellen Inhalteproduzenten und -händlern sowie den Providern eigene, leicht bedienbare Publishing-Tools und ein eigenes Community-Netz entgegen.

Ein nutzereigenes Sendesystem für Fernsehprogramme planen Carmen Weisskopf und Doma Smoljo von der Medienkooperative Bitnik aus Zürich. Ihr Projekt Copyfight will das "geschlossene und überregulierte TV-System" aufbrechen. Nach Experimenten mit eigenen kleinen Fernsehsendern wollen sie nun in London mit einem Partner einen P2P-Piratensender starten, dessen Signal über das Netz verbreitet und lokal wieder über Antenne verteilt wird. Das Programm wird von den jeweiligen Nutzern ausgewählt, archiviert und für eine Sendezeit bestimmt. (Monika Ermert) / (vbr)