Verriss des Monats: Hightech-Kunstkot

Wie sich ein kurioses Anhängsel für Handys und iPods zum Überraschungshit entwickelte. Und von etwas, das man "goldener Rest" nennen könnte, noch getoppt wurde.

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Von
  • Peter Glaser

Wie sich ein kurioses Anhängsel für Handys und iPods zum Überraschungshit entwickelte. Und von etwas, das man "goldener Rest" nennen könnte, noch getoppt wurde.

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser einmal im Monat deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

Längst blickt uns Technologie nicht nur vom Schreibtisch oder aus der Handfläche an. Sie rückt uns immer näher. Smartphones schmiegen sich in unseren Jackentaschen an uns wie Kängurubabies. Und immer wieder dringt Hardware in den Körper vor. Bereits in dem James-Bond-Film "Feuerball" von 1965 schluckte 007 eine angeblich harmlose radioaktive Pille, deren Strahlung es möglich machte, ihn fortan zu orten. 1993 verwandelte der Performancekünstler Stelarc seinen Magen in einen Ausstellungsraum, indem er dort eine endoskopische Skulptur unterbrachte.

Andere vom Verdauungstrakt inspirierte Artefakte erobern von Japan aus die Welt der Kommunikationstechnik. In Läden, in denen sich die reichhaltige Wunderwelt des sogenannten Handyschmucks eröffnet, sehen sich Besucher aus westlichen Ländern gelegentlich mit winzigen, vergoldeten Porzellan-Kothäufchen ("Kin no Unko") konfrontiert, die sich mit eigenen Steckern etwa für den iPhone-Kopfhöreranschluss am jeweiligen Lieblingsgerät anbringen lassen.

Mehr als 2,7 Millionen der kleinen Verdauungsprodukt-Replikationen wurden in den letzten Jahren verkauft und baumeln von Musikplayern und Mobiltelefonen. Dabei hat sich ein erstaunlicher Artenreichtum herausgebildet. So gibt es neben dem puristischen goldenen Häufchen auch Edelversionen, die auf miniaturisierten, roten Seidenkissen ruhen, das Ganze in allerkleinsten Fläschchen oder mit zugehörigem Kleinstklobecken, erhältlich in Gold oder Silber. Fast schon Sekundärprodukte sind Stempelchen oder Postfix-Zettel, die der entsprechenden Form Genüge tun.

Damit nicht genug, gibt es gewissermaßen für den Kleinbedarf zwischendurch sogenannte Gachapon vending machines, an denen man sich kleine Kunststoffkackehäufchen aus dem Automaten ziehen kann (hier ein vergnügter Spanier, der das erworbene Produkt und einige denkbare Einsatzmöglichkeiten hierfür demonstriert).

2009 startete auf dem japanischen Musiksender Kansai-TV die Zeichentrickserie Unko-san, die von einer glücklichen Insel erzählt, die von kleinen braunen Feen bevölkert ist: "Unko-san tells the story of a piece of poo on Lucky Island and his pursuit of happiness." Die Serie wurde besonders bei Highschool-Schülerinnen in Westjapan ein großer Hit, was wiederum verschiedene Formen von Merchandising nach sich zog, etwa dieses knuffige Plüsch-Würstchen als Schlüsselanhänger.

Um nicht ungerecht zu sein: Die ganzen unvorstellbar merkwürdigen japanischen "Unko"-Produkte basieren auf einer Art von Wortspiel, wie es Japaner lieben. Das japanische Wort für Kot ("unko") beginnt mit dem selben Laut "un" wie ein eigentlich vollkommen anderes Wort, das "Glück" bedeutet. Die traditionelle Art des Geschichtenerzählens ist voll von solchen Bedeutungs- und Wortspielen. Die goldenen Porzellanhäufchen wurden 1999 in der kleinen Firma Ryukodo in Kyoto ersonnen. "Damals herrschte Rezession in Japan", so Firmenchef Koji Fujii, "und die Leute waren in ziemlich depressiver Stimmung. Ich wollte ein kostengünstiges Produkt offerieren, das den Menschen ein Lächeln schenkt". Zuerst verkauften sich die Dinger nur schleppend, aber dann begannen Schülerinnen sie als kuriose Souvenirs von Schulausflügen nach Kyoto mitzubringen und traten einen Langzeitboom los, einschließlich Medienberichterstattung aus dem ganzen Land.

All die kleinen Artefakte, so sonderbar sie manchem erscheinen mögen, sind Äußerlichkeiten. Schmuck. Tand und Talmi. Es war der amerikanische Designer Tobias Wong, dessen Familie aus Hongkong stammt, der die Konsequenz daraus zog – hier können wir wieder an die in den Körper eindringende Hardware vom Anfang anschließen. Gemeinsam mit einem Künstlerkollegen namens J.A.R.K. ("Ju$t Another Rich Kid") ließ Wong mit Blattgold gefüllte Pillen-Kapseln produzieren, drei Stück zu 425 Dollar, die man einnehmen kann, um seinen Ausscheidungen eine luxuriösere Anmutung zu verleihen. ()