Der Blick ins chinesische Zimmer: Zum 80. Geburtstag von John Searle

Der US-amerikanische Sprachphilosoph erschütterte einst mit einem raffinierten Gedankenexperiment die Grundlagen der Künstlichen Intelligenz. Heute wird John Searle 80 Jahre alt.

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Von
  • Ralf Bülow

John Rogers Searle wurde am 31. Juli 1932 in Denver (US-Bundesstaat Colorado) geboren, die Ingenieurtätigkeit seines Vaters führte aber dazu, dass er in verschiedenen Städten aufwuchs und zunächst die University of Wisconsin besuchte. Die Jahre von 1952 bis 1959 verbrachte er dann an der Universität Oxford, wo er in Philosophie promovierte. Seitdem lehrt er das Fach an der University of California in Berkeley.

In England studierte Searle beim Sprachphilosophen John L. Austin, dem Urheber der Sprechakttheorie. Er baute Austins Lehre weiter aus, und sein Buch “Speech Acts“ bedeutete 1969 den akademischen Durchbruch. Darin erforschte Searle vor allem den illokutionären Akt, also die mit einer Äußerung verbundene Handlung, und seine ausgeklügelte Systematik solcher Akte gilt in der heutigen Sprachphilosophie als die herrschende Lehre.

John Searle

(Bild: berkeley.edu)

Seit den 1970er Jahren befasste er sich mit Fragen des Bewusstseins und fand eine verblüffend einfache Lösung für das Leib-Seele-Problem, die er 1984 in einer BBC-Sendung vortrug (PDF-Datei). Demnach erzeugen Gehirnzellen den Geist ganz analog wie H2O-Moleküle den flüssigen Charakter des Wassers. Eher zufällig geriet Searle in die unsägliche Debatte über den freien Willen hinein, die zur Jahrtausendwende von Gerhard Roth und Wolf Singer losgetreten wurde. Seine diesbezügliche Publikation steht in voller Länge im Internet (PDF-Datei).

Schon 1980 entwarf John Searle das Gedankenexperiment vom chinesischen Zimmer, mit dem er die Fähigkeiten eines Computers analysierte. Er zeigte, dass anhand eines Dialogs nicht zu erschließen ist, ob ein Mensch Chinesisch versteht oder nur auf geeignete Texttafeln zurückgreift. Daraus folgt nun laut Searle die Existenz eines grundsätzlichen Unterschieds zwischen menschlichem Denken und programmgesteuerter Intelligenz.

Das chinesische Zimmer richtete sich vor allem gegen den Optimismus aus der Frühzeit der Künstlichen Intelligenz, doch kritisierte Searle in einem Video-Gespräch auch den bekannten Test von Alan Turing, der aus der Nichtunterscheidbarkeit von Denken und Programm völlig andere Schlüsse zog. Auf jeden Fall führte der hypothetische Versuch zu vielen Diskussionen und einer riesigen Wikipedia-Seite.

An Searles 80. Geburtstag ist die Kritik der elektronischen Vernunft vermutlich überholt, da die Künstliche Intelligenz vorangeschritten ist und neue „körperliche“ Verfahren aufgenommen hat. Sein Grundansatz – die Überprüfung der Versprechungen der KI – bleibt aber aktuell. In der Philosophie beschäftigt er sich nach wie vor mit der Erweiterung der Sprechakttheorie, zum Beispiel auf die menschliche Gesellschaft. Eine Liste seiner auf Deutsch verfügbaren Werke liefert die Geburtstagsseite von Suhrkamp, ein biografisches Interview (von 1999) gibt es auf YouTube. (mho)