Wikipedia: Testsieg und Verschwörungen

Die deutschsprachige Wikipedia siegt in einem Vergleich mit der Online-Ausgabe des Brockhaus. In der englischen Wikipedia hängt hingegen der Haussegen schief - der Vorwurf: Kungelei über eine geheime Mailingliste von Wikipedia-Administratoren.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Torsten Kleinz

Gute Nachrichten für die deutschsprachige Wikipedia-Gemeinde: Die Illustrierte Stern hat die Wikipedia mit der Online-Ausgabe des Brockhaus verglichen und die freie Online-Enzyklopädie zum eindeutigen Sieger erklärt. In der englischen Wikipedia hängt hingegen der Haussegen schief: Nachdem eine geheime Mailingliste von Wikipedia-Administratoren bekannt wurde, wird die Wikipedia wegen Kungeleien kritisiert.

In einer 14-seitigen Titelgeschichte widmet sich die Illustrierte Stern in der am Donnerstag erscheinenden Ausgabe dem "universellen Lexikon der Neuzeit" und stellt die Frage "Wie gut ist Wikipedia?". Um eine kompetente Antwort auf die Frage zu geben, hat der Stern 50 Artikel aus der Wikipedia und dem Brockhaus bewerten lassen. Der Wissenschaftliche Informationsdienst aus Köln prüfte sie auf Richtigkeit, Vollständigkeit, Aktualität und Verständlichkeit.

Das Ergebnis: In 43 Fällen bekamen die Wikipedia-Artikel eine bessere Gesamtnote, in einem Fall zogen beide Enzyklopädien gleich, und nur in sechs Fällen lag die Kauf-Enzyklopädie vorne. Insgesamt bekamen die Wikipedia-Artikel die Note 1,7, der Brockhaus hingegen nur die Note 2,7. An den Wikipedia bemängelt der Stern lediglich, dass sie manchmal zu ausschweifend und langatmig sind – allein in der Kategorie "Verständlichkeit" kann Brockhaus gegen die kostenlose Alternative punkten. Damit entspricht das Ergebnis im Wesentlichen dem Enzyklopädien-Test in der c't-Ausgabe 6/2007.

Unterdessen sorgt die Existenz einer geheimen Mailingliste für den "inneren Kreis" der englischsprachigen Wikipedia für heftige Diskussionen. Das britische Online-Magazin The Register deckte die Existenz der Liste auf, über die sich Wikipedia-Administratoren über vermeintliche Störenfriede in der Wikipedia austauschten. "Diese geheime Mailingliste scheint das bekannt egalitäre Ethos der Wikipedia zu untergraben. Immerhin erlaubt sie einer herrschenden Clique, ihre eigene Agenda ohne Aufsicht der Community durchzusetzen. Und sie wurde dazu genutzt, um mindestens eine Person zum Schweigen zu bringen, die nur versucht hat, die Inhalte der Wikipedia zu verbessern", kommentiert The Register.

Die Veröffentlichung der Mailingliste ist eine Folge eines langen Streits um die Wikipedia-Administratorin "Durova", die durch die unbegründete Sperrung anderer Wikipedia-User aufgefallen war. Dabei berief sich die Administratorin öfters auf Beweise, die jedoch nicht öffentlich zugänglich waren. Für Wikipedia-Kritiker, die der Wikipedia-Community und den dort tätigen Wikipedia-Administratoren immer wieder unlautere Praktiken und Motive unterstellen, war der Fall ein gefundenes Fressen. Mittlerweile finden sich zahlreiche Fotomontagen und Flash-Filme im Netz, die sich über "Durova" lustig machen. Auch Wikipedia-Mitgründer Larry Sanger nutzt den Streit, um für sein Konkurrenz-Projekt Citizendium zu werben.

Anders als die anderen Kommunikationskanäle war die kritisierte Liste nicht auf den Projekt-Seiten der Wikipedia erwähnt, statt auf den Servern der Wikimedia Foundation war sie bei Wikia, der privaten Firma von Wikipedia-Gründer Jimmy Wales, angesiedelt. Dass die Wikipedia-Community auf dieses Mittel zurückgriff, ist eher untypisch: Die Wikipedia basiert auf dem Prinzip der Offenheit. Obwohl die verschlungene Machtstruktur zu einer unüberschaubaren Anzahl von Kommunikationskanälen geführt hat, sind diese Kanäle für die Allgemeinheit zugänglich oder zumindest bekannt. So betont Jimmy Wales auch im Stern-Interview die Wichtigkeit von Transparenz im Umgang mit Informationen. Die Episode um "Durova" zeigt, dass die Entscheidungen in der Wikipedia selbst jedoch nur noch eingeschränkt transparent sind. (Torsten Kleinz) / (jk)