Erstes Online-Gefängnis für "Raubkopierer" bezugsbereit

Verbraucherschützer und Online-Aktivisten haben ein virtuelles Gefängnis eröffnet, in das sich Nutzer mit einer Selbstanzeige über geringfügige Urheberrechtsverletzungen einweisen und so gegen Rechtsverschärfungen protestieren können.

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Verbraucherschützer und Online-Aktivisten haben einen Internet-Knast eröffnet, in das sich Nutzer mit einer Selbstanzeige über geringfügige Urheberrechtsverletzungen einweisen und so gegen geplante Rechtsänderungen protestieren können. "Wir wollen die Absurdität zeigen: Millionen von Bürgern werden mit hohen Strafen bedroht und auf die gleiche Stufe gestellt wie kommerzielle Produktpiraten", kritisiert Christoph Bautz von der Online-Kampagnenschmiede Campact.de aktuelle Entwürfe der Bundesregierung zur Reform des Urheberrechts. Dabei würde seiner Ansicht nach die Chance bestehen, der Kriminalisierung von geringfügigen Urheberrechtsverletzungen für den privaten Gebrauch ein Ende zu setzen. Der Politikwissenschaftler beklagt insbesondere, dass die vom Bundesjustizministerium vorgesehene "Bagatellklausel" aus dem Regierungsentwurf zum so genannten 2. Korb der Urheberrechtsnovelle auf den letzten Drücker gestrichen wurde.

Gemeinsam mit der Aktion Fairsharing und dem Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) will Bautz über den virtuellen Knast massiven Widerstand in der Bevölkerung erzeugen und Druck auf die Politik zur Wiedereinsetzung der Bagatellgrenze ausüben. "Die Bürger sind aufgefordert, ein Bild von sich hochzuladen", erklärt er die Funktionsweise. Jeweils zehn Bürger, die etwa schon einmal einen Kopierschutz umgangen oder in Tauschbörsen illegal an geschützten Werken genascht haben, würden dann in einem Stockwerk des Online-Gefängnisses zusammengefasst. Dabei besteht die Möglichkeit, den realen Namen oder ein Pseudonym anzugeben sowie einen Slogan wie "Privatkopieren ist kein Verbrechen" zu wählen.

Mit der Selbsteinweisung in den "Raubkopiererknast" sind drei politische Forderungen verbunden. Zum einen macht sich der Nutzer für die Wiedereinführung der Bagatellklausel stark, mit der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries eine "Kriminalisierung der Schulhöfe verhindern" wollte. Illegale Downloads sollten damit für den rein privaten Gebrauch "in geringer Zahl" straffrei bleiben und die Staatsanwaltschaften so entlastet werden. Zum anderen widersetzt sich die Petition dem Vorhaben der SPD-Politikerin, im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie zur zivilrechtlichen Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte einen Auskunftsanspruch gegen Provider zu schaffen und damit einer Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen durch einzelne Unternehmen der Medienindustrie Vorschub zu leisten. Weiter gefordert wird eine Verpflichtung der Industrie, Privatkopien zu ermöglichen. Gleichzeitig sollen Systeme zum digitalen Rechtekontrollmanagement (DRM) verboten werden, die in die Privatsphäre der Nutzer eingreifen.

"Wir knüpfen natürlich an die Kampagne 'Raubkopierer sind Verbrecher' der Unterhaltungsindustrie an", erklärt Patrick von Braunmühl aus dem vzbv-Vorstand den Hintergrund für die aufmerksamkeitsstarke Aktion. Man wolle aber weder eine weitere Piratenpartei gründen noch dem Verstoß gegen Urheberrechte das Wort reden. Die Balance zwischen Nutzern und Verwertern sei im Urheberrecht aber "aus dem Tritt gekommen". Nutzerrechte würden im Wesentlichen nicht mehr existieren, wie eine Studie seines Verbands nachgewiesen habe.

"Wir brauchen neue Rahmenbedingungen für die digitale Welt", ist sich von Braunmühl daher sicher. Die Strategie der Unterhaltungsindustrie, nur immer nach dem Gesetzgeber zu rufen, die eigenen Kunden zu verklagen sowie mit Abmahnungen zu überziehen und digitalen Werken beim Kauf eine Zwangsjacke mit DRM überzuziehen, funktioniere jedenfalls nicht. Andernfalls sei kaum zu erklären, warum immer noch 96 Prozent der Downloads aus dem Internet illegal getätigt würden.

Für Oliver Moldenhauer von der Fairsharing-Initiative liegt die mittelfristige Lösung in der Einführung einer Kulturflatrate, mit der Kopien aus Tauschbörsen für private, nicht-kommerzielle Zwecke legalisiert werden. Man brauche eine Pauschalabgabe auf Geräte und den Internetzugang, die über eine neue Verwertungsgesellschaft an die Rechteinhaber gemäß der Nutzungsrate wieder ausgeschüttet würde. Andernfalls müsste bald jeder Internetnutzer angesichts des Auskunftsanspruchs, den die Medienindustrie auch ohne Einschaltung eines Richters direkt gegenüber den Zugangsanbieter durchgesetzt wissen möchte, das Gefühl haben, anhand seiner IP-Adresse überwacht zu werden. Die Musikindustrie könne auf Basis des Durchsetzungsgesetzes künftig sogar mit einer einstweiliger Verfügung ankommen "und meinen Rechner mitnehmen", befürchtet Moldenhauer. Gemäß den Brüsseler Vorgaben hätten die Konzerne zumindest das Recht, "meinen PC zu besichtigen oder die Festplatte zu kopieren". (Stefan Krempl) / (anw)