Bundestag streitet über innere Sicherheit und die Unschuldsvermutung

Im Parlament kam es im Rahmen einer aktuellen Stunde zu einem heftigen Schlagabtausch über Themen wie Online-Durchsuchungen, Fingerabdrücke in Pässen und die Befugnisse der Sicherheitsbehörden zur Gefahrenabwehr.

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Im Bundestag kam es am heutigen Mittwoch im Rahmen einer aktuellen Stunde, welche die Fraktion der Linken beantragt hatte, zu einem heftigen Schlagabtausch über Fragen der inneren Sicherheit. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble warnte dabei vor der "konkreten Gefahr" von Anschlägen insbesondere auf US-Einrichtungen in Deutschland und warb gleichzeitig erneut für die Schaffung einer Rechtsgrundlage für Online-Durchsuchungen für das Bundeskriminalamt (BKA). "Alle haben lange geglaubt, dass die Grundlagen der Strafprozessordnung analog zur Telefonüberwachung" auch im Internet gälten, stellte der CDU-Politiker die von ihm befürwortete verdeckte Netzbespitzelung privater Festplatten und virtueller Speicherplattformen zunächst als reine Fortsetzung des Abhörens der Telekommunikation dar. Nun brauche es nach der gegenteiligen Entscheidung des Bundesgerichtshofs eine eigene Befugnis. Um diese wasserdicht zu machen, brachte Schäuble eine Grundgesetzänderung ins Spiel.

Online-Durchsuchungen könnten den Schutzbereich des Artikels 13 der Verfassung berühren, räumte der Innenminister ein. Man müsse daher "überlegen, ob wir ihn entsprechend ergänzen". Weiter rief Schäuble den Abgeordneten ins Gedächtnis: "Wir haben gegen die größte Gefahr, den internationalen Terrorismus, eine Präventivbefugnis für das BKA im Rahmen der Föderalismusreform eingeführt." Zum ersten Mal habe der Bund damit "eine originäre Zuständigkeit für die Gefahrenabwehr". Das BKA müsse es daher "genauso machen können wie die Länder", verwies er auf die mit dem neuen nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetz eingeführte Rechtsgrundlage für Online-Durchsuchungen für einen Geheimdienst auf Länderebene. Generell würden "die Menschen erwarten", dass der freiheitliche Rechtsstaat "kein Nachtwächterstaat" sei. Wer der Politik die Möglichkeiten nehme, die für die Bürger notwendige Sicherheit zu gewährleisten, "würde die Freiheitsordnung unseres Grundgesetzes gefährden. Das ist mit einem Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble nicht zu machen".

Die anderen redenden Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion – Wolfgang Bosbach, Stephan Mayer und Ralf Göbel – verwiesen ebenfalls auf die Schutzpflicht des Staates. Sie betonten unisono, den so genannten Schäuble-Katalog in allen Punkten durchsetzen zu wollen. Diese Wunschliste der Union umfasst den Ausbau des BKA zur präventiven Anti-Terrorpolizei mit der Lizenz zu Rasterfahndungen und Online-Durchsuchungen genauso wie die polizeiliche Nutzung der Mautdaten und den automatisierten Online-Zugriff auf Passfotos sowie Fingerabdrücke der ganzen Bevölkerung. Auch der große Lauschangriff soll mit Hilfe eines permanent mitlaufenden "Richterbandes" wieder polizeifreundlich geregelt werden. Fraktionsvize Bosbach drohte in der hitzigen Debatte, SPD und die Opposition öffentlich zur Rechenschaft zu ziehen, sollte hierzulande ein terroristischer Anschlag passieren.

Politiker der SPD-Fraktion wie Sebastian Edathy bezeichneten die Sicherheitsarchitektur in Deutschland dagegen als "gut strukturiert und auch funktionierend". Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) habe die sicherheitspolitischen Hausaufgaben im Großen und Ganzen bereits gemacht. Auch die große Koalition habe sich handlungsfähig erwiesen und etwa das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz, das Gesetz zur Errichtung der Anti-Terrordatei sowie ein 132 Millionen Euro umfassendes Programm für innere Sicherheit verabschiedet. Zur Innenpolitik gehört Edathy zufolge "auch eine Politik der Demokratiestärkung", weswegen sich die SPD etwa für die Einführung von Elementen der direkten Volksherrschaft stark machen wolle. Mit Änderungen im Grundgesetz müsse man zudem "behutsam sein".

Auch laut dem innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, ist die Sicherheitsarchitektur hierzulande allein "maßvoll" weiterzuentwickeln. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Bundesbürger Opfer eines Terroranschlags werde, sei tausendmal niedriger als Opfer eines Straßenraubs oder anderer schwerer Alltagskriminalität zu werden. "Wir haben als Innenpolitiker eine gewisse professionelle Deformation", gestand Wiefelspütz ein. "Wir reden sehr viel über Sicherheit, zu wenig über Freiheit." Gleichwohl plädierte er persönlich erneut für Möglichkeiten zur Online-Durchsuchung, wenn bei dem "außerordentlichen Grundrechtseingriff" schwerwiegende Grenzen für die Ermittler eingebaut würden. Zugleich schloss er sich Forderungen aus der Opposition an, die von Geheimdiensten nach Angaben der Bundesregierung bereits durchgeführten Netzbespitzelungen zu stoppen: Er erwarte, dass es gegenwärtig "in keinem Bereich Online-Durchsuchungen gibt".

Der SPD-Rechtspolitiker Klaus Uwe Benneter warf Schäuble vor, mit dem Überbetonen terroristischer Gefahren "als der für die Sicherheit zuständige Minister fehl zu gehen". Sein Parteigenosse Frank Hofmann bekräftige, bei der Einführung der zweiten Generation der Biometriepässe einen "Polizeistaat" verhindern zu wollen. "Die Bürger dürfen nicht auf Daktyloskopiebank geführt werden", erklärte er. Bei der Anhörung zur Änderung des Passgesetzes sei deutlich geworden, dass der RFID-Chip zur Speicherung der biometrischen Merkmale "nicht gegen widerrechtliches Auslesen geschützt" sei und viele Experten ihn daher "in abstrahlsicheren Hüllen" aufbewahren würden. Es könne doch nicht wahr sein, dass sich jeder Bürger so einen zusätzlichen Schutz für Ausweisdokumente zulegen müsse.

Wolfgang Wieland machte für die Grünen deutlich, dass seine Fraktion Online-Durchsuchungen generell ablehne: "Der Staat darf nicht als Hacker auftreten". Das Programm von Schäuble umschrieb der Rechtspolitiker mit den Zielen einer Verschmelzung von innerer und äußerer Sicherheit sowie von Geheimdiensten und Polizei und der Verknüpfung möglichst aller Daten des Bürgers, damit dieser "nackt" dastehe. Die umstrittenen Äußerungen des Innenministers zur Unschuldsvermutung interpretierte er dahingehend, dass im Gefahrenabwehrrecht "Freistilringen gelten" solle. Gemeinsam mit Ulrich Maurer von der Linkspartei unterstellte Wieland der SPD, sich nur rhetorisch neu als Bürgerrechtspartei für die Abgrenzung zur Union aufstellen zu wollen. Damit müsse der Wähler "jeden Glauben an die Politik verlieren", argwöhnte Maurer. Der Schäuble-Katalog sei aber "zu ernst" für das übliche Polit-Theater: "150 Prozent werden gefordert, 80 Prozent von Schäuble werden durchgesetzt. So kann man auch an der Verfassung herumnagen."

Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (pmz)