Anstoß

Computersimulationen liegen vielen Entscheidungen in Technik, Wirtschaft und Politik zugrunde. Eine Diskussion darüber findet in der Öffentlichkeit jedoch kaum statt. Deshalb wollen die Initiatoren des Projekts „Simulierte Welten“ das Thema in die Schulen bringen.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Dr. Rüdiger Berlich
  • Peter Lürßen
  • Jörg Hilpert
Inhaltsverzeichnis

Kaum ein Forschungsbereich kommt heutzutage ohne Informatik aus: Die Materialwissenschaften wären ohne hochspezialisierte Methoden der Physik undenkbar, und jede neue Entwicklung von Reichweite hat gesellschaftliche Implikationen. Neben geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächern sowie den Basiswissenschaften wie Physik, Mathematik und Biologie haben sich in den letzten Jahren deshalb interdisziplinäre Unterrichtsbereiche an Schulen etabliert.

Im wissenschaftlichen Bereich, in dem größere finanzielle Mittel eine Rolle spielen, geht es ums Höchstleistungsrechnen. Die rasante Entwicklung moderner Hardware stößt immer wieder neue Türen auf. Aufgaben, die vor wenigen Jahren nur mit einem Supercomputer zu lösen waren, können Wissenschaftler heute mit schnellen Grafikprozessoren für wenige Tausend Euro angehen, und im Verbund potenziert sich die erreichbare Rechengeschwindigkeit. Inzwischen profitiert die Industrie ebenfalls von der Technik.

Neben Verfahren der Datenfilterung – die aktuelle Entdeckung des Higgs-Boson am CERN etwa geht darauf zurück – spielen computergesteuerte Simulationen eine wichtige Rolle. Ohne sie wären etwa heutige Sicherheitsanforderungen an Kraftfahrzeuge kaum zu erfüllen.

Simulationen und das Höchstleistungsrechnen wirken wie Pipette und Mikroskop des modernen Forschers. Die Anwendungen von Simulationen sind außerordentlich vielfältig, und es gibt kaum eine technische oder wirtschaftliche Entscheidung von Reichweite, zu der nicht eine Simulation beigetragen hätte. Deshalb bietet sich eine Integration in den Informatik-Unterricht an.

Auf dem Hintergrund entstand das Projekt „Simulierte Welten“, gefördert vom Baden-Württembergischen Ministerium für Forschung, Kunst und Wissenschaft (MWK) mit Lehrern und Wissenschaftlern. Die technische Kompetenz steuern das Steinbuch Centre for Computing (SCC) des Karlsruhe Institute of Technology (KIT) sowie das Höchstleistungsrechenzentrum der Universität Stuttgart (HLRS) bei. Die wissenschaftliche Begleitung übernimmt die Abteilung für Technik- und Umweltsoziologie des Instituts für Sozialwissenschaft (SOWI-V) der Universität Stuttgart.

Bei den Zielgruppen gibt es einen Unterschied zwischen den Personenkreisen, an die sich die Vermittlung richten soll, und denen, die Informationen aus dem Projekt heraus erhalten wollen. Bisher konnte ein Test an drei Modellschulen stattfinden. Darüber hinaus will man eine große, inhomogene Zielgruppe erreichen. Deshalb ist das Projekt in drei Ebenen gegliedert.

Die erste versteht sich als passives Informationsmedium. Die Beteiligten sammeln Informationen und kategorisieren sie, um sie anschließend etwa über ein E-Learning-System bereitzustellen – im Projekt kommt Ilias zum Einsatz. Das Material kann konkrete Simulationen, Einschätzungen von Experten, einfach zu verstehende Anwendungen oder Vortragsmaterialien enthalten. Die Verwendung eines E-Learning-Systems erlaubt es grundsätzlich nicht nur den Projektmitgliedern, sondern auch beteiligten Lehrern und ausgewählten Schülern, die gesammelten Informationen zu erweitern oder zu korrigieren. Das Ergebnis richtet sich im Übrigen nicht nur an Lernende, sondern ebenso an Eltern und die interessierte Öffentlichkeit.

Als Grundlage verwendet das Projekt Wikipedia, nutzt die entsprechenden Artikel in der Online-Enzyklopädie und pflegt sie. Mittelfristig planen die Organisatoren von „Simulierte Welten“, wissenschaftlichen Förderprojekten über eine eigene Webseite eine Plattform zu bieten, mit deren Hilfe sie ihre jeweiligen Themen für Schulen aufarbeiten können. Dem kommt entgegen, dass in Förderprojekten regelmäßig Pakete für die Öffentlichkeitsarbeit vorhanden sind. Das Projekt liefert der Allgemeinheit und externen Wissenschaftlern zusätzliche Inhalte. Denkbar wären unter anderem Interviews, die Schüler mit Experten führen.

Im Rahmen von Abendvorträgen stellen die Projektmitglieder Eltern, Schülern, Lehrern und der Öffentlichkeit die Themen an interessierten Schulen vor. Mit den gewonnenen Kontakten zur Lehrerschaft hofft man, eine weitergehende Zusammenarbeit gestalten zu können.

Auf der zweiten Ebene, genannt „Learning by Example“, findet die direkte Interaktion mit Schülergruppen, Klassenverbänden oder Projektgruppen statt. Sie können anhand vorgefertigter oder selbst entwickelter Beispiele grundlegende Simulationstechniken erlernen oder betreut eigene Ideen weiterentwickeln.

Die ursprüngliche Annahme, dass vermittelbare Inhalte überwiegend nicht technischer Natur sein müssten – im Gespräch war ursprünglich die reine Diskussion konkreter Anwendungen und ihrer Auswirkungen – widerlegten die Erfahrungen aus den Unterrichtseinheiten am Karlsruher Bismarck-Gymnasium im Frühjahr 2012. Im Rahmen einer gemeinsamen Beteiligung an der „Stadt der jungen Forscher“ (SdjFKa) unter dem Titel „Simulation und Wirklichkeit“ entwickelten insgesamt 16 Schüler von der 7. bis zur 10. Klasse einfache Simulationen mit der Programmiersprache Scratch.

Sie umfasst die meisten Aspekte einer allgemeinen Programmiersprache (if-Abfragen, Schleifen und sogar einfaches Multi-Threading). Dabei setzte der Entwickler Programme mit der Maus aus Bausteinen zusammen, was Syntaxfehler ausschließt. Die Programme sind, sofern frei von logischen Fehlern, sofort lauffähig und bedürfen keiner Übersetzung. Einfache Routinen zur grafischen Darstellung und zum Einbinden von Sound führen zu einer fast spielerischen Herangehensweise an die Programmierung, ohne dass die grundsätzliche Logik dieser Tätigkeit auf der Strecke bleibt.

Am Bismarck-Gymnasium sollten die Schüler in kleinen Teams ein einfaches Billardspiel programmieren, bestehend aus einem Tisch mit sechs Löchern und zwei Kugeln. Die entstehende Simulation musste also für die Realitätsnähe den Impulsübertrag der Kugeln sowie das Auftreffen auf die Bande berücksichtigen. Die gültigen Regeln (etwa Einfallswinkel = Ausfallswinkel) lassen sich ohne trigonometrische Funktionen implementieren. Zur Simulation gehört der Energieverlust der rollenden Kugeln, damit das Geschehen irgendwann wieder zur Ruhe kommt. Interaktionen mehrerer Kugeln waren nicht gefordert, die jedoch ein Team älterer Schüler später verwirklichte. Das „Programmieren“ sollten die Schüler als Hausaufgabe erledigen, wobei die Vorbereitung und Diskussion der Ergebnisse insgesamt drei Doppelstunden umfasste. Den Abschluss bildete der Vergleich der Simulationen mit einem realen Billardspiel.

Die entstandenen Programme waren nicht fehlerfrei, was auch nicht verlangt war. Vielmehr ging es darum, die schon bei einfachen Simulationen auftretenden Schwierigkeiten selbst zu erleben. Manche Fehler traten nur unter bestimmten Bedingungen auf, was zu komplexen und damit unübersichtlichen Programmen führte.

Logisch korrekte Programme konnten nur eine unvollständige Abdeckung der Realität erreichen. Die Annahme etwa, die Bande des Tisches sei perfekt gerade, führte ebenso zu Abweichungen gegenüber der Realität wie das gezielte Weglassen von Details, beispielsweise dem Effet der Kugel. Solche Entscheidungen fällen die Entwickler des Modells oft höchst subjektiv, die Auswirkungen entziehen sich dem unwissenden Betrachter.

Die Programmierergebnisse waren zufriedenstellend, trotz der Abweichungen von der Realität, wobei manch eine ins Auge stach, andere erst beim genaueren Hinsehen auffielen.

Anhand dieser Erfahrungen können Schüler erkennen, wo die Grenzen „großer“ Simulationen (des Klimas, von Crash-Tests, Vorhersage des Verhaltens von Menschenmengen und andere) liegen. Denn sie unterliegen denselben Regeln und der deshalb unvollständigen Abbildung der Realität sowie damit einhergehenden subjektiven Entscheidungen und der daraus resultierenden fehlenden Allgemeingültigkeit.

Dies liefert Stoff für die Diskussion über Einsatzszenarien von Simulationen und führt zu der Erkenntnis, dass allein auf Basis von Simulationen getroffene Entscheidungen immer mit Vorsicht zu genießen sind. Ein Paradebeispiel liefern die Klimasimulationen – deren Wichtigkeit ist unbestreitbar, die Ergebnisse sind aber nur eingeschränkt überprüfbar.

Im Sommer 2012 im Rahmen des „Festival der jungen Forscher“ präsentierte sich das Projekt in Karlsruhe der Öffentlichkeit.

Neben einem erheblichen Einsatz des betreuenden Lehrers erforderte die Neugestaltung der Unterrichtseinheiten häufig eine Zusammenarbeit mit den Projektmitgliedern von „Simulierte Welten“. Das Engagement in ähnlicher Weise, vor allem was die Betreuung der Schüler und Lehrer angeht, landesweit auszudehnen, ist für ein kleines Förderprojekt allerdings kaum zu verwirklichen.

„Simulierte Welten“ arbeitet deshalb direkt nur mit einer überschaubaren Zahl von Modellschulen zusammen, um Inhalte zu entwickeln, steht aber Kontaktaufnahmen durch Lehrkräfte offen gegenüber.

In einer denkbaren zweiten Projektphase könnten die Organisatoren mit ihren auf Praxistauglichkeit geprüften Inhalten landesweit auf Schulen zugehen. Damit wäre eine Verankerung des Themas im Unterricht realisierbar. Die Aufgabe des Projektteams verlagerte sich in dem Fall von der direkten Interaktion mit Schülern weg hin zur Betreuung der Unterrichtenden. Umgekehrt können die dadurch gewonnenen Erkenntnisse und neue Inhalte in das Projekt zurückfließen.

Neben Fokusgruppen mit Lehrern und Schülern beurteilen „HPC Ambassadors“, ausgewählte Mitglieder der Lehrerschaft, die als „Botschafter“ für das High-Performance-Computing-Projekt tätig sind, die Praxistauglichkeit neuer Konzepte. Simulierte Welten finanziert einen Teil der anfallenden Stunden, sodass die Schulleitung die Beteiligten in dem Zeitrahmen freistellen kann. Es ist außerdem Aufgabe eines HPC Ambassador, interessierten Lehrern als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen.

Spielball: Die von den Schülern programmierte Simulation eines
Billardspiels entstand mit der Programmiersprache „Scratch“ (Abb. 2).

Auf einer dritten und letzten Ebene (siehe Abbildung 2) geht es um die Wissensvermittlung. Dazu sollen Experten aus den beteiligten Rechenzentren Einzelne oder kleine Gruppen betreuen. Im Sommer 2012 konnten sechs Schüler kurz vor ihrem Abitur am Förderstipendium des Steinbuch Centre for Computing teilnehmen. In laufenden Projekten, die zum Beispiel mit „Big Data“ oder „Zertifikatserteilung“ zu tun hatten, lernten sie den Arbeitsalltag eines HPC-Zentrums kennen. Der Blickwinkel war größer als beim Thema „Simulation“, aber ausgerichtet auf das Höchstleistungsrechnen. Für jüngere Teilnehmer existiert ein ähnliches Angebot im Rahmen von „BOGY“ (Berufsorientierung an Gymnasien).

Andere Aktivitäten finden im „Science Café“ statt. Es soll im Frühjahr 2013 zum ersten Mal öffnen. Geplant ist, dass eine Schülergruppe jeweils ein Thema aus dem Umfeld „Simulation und HPC“ vorbereitet und einen Experten aus einem der Rechenzentren zu einer offenen Frage- und Diskussionsrunde einlädt.

Alle Ebenen zusammen bilden eine Vermittlungspyramide, in der Fachleute die Schüler von der grundsätzlichen Erläuterung des Themas über konkrete Projekte in Gruppen bis hin zum persönlichen Coaching begleiten.

Das Thema „Computersimulation“ ist zu vielschichtig, als dass jemand die Relevanz ohne eine ausführliche Beschäftigung mit dem Thema erfassen könnte, obwohl die Methoden das tägliches Leben beeinflussen. Das dürfte sich in Zukunft kaum ändern und in absehbarer Zeit sogar eher zunehmen. Deshalb halten Initiatoren und Gestalter des Projekts es für besonders wichtig, das Thema an die Schulen zu bringen. Nach den Erfahrungen des Projektteams trifft es bei Schülern auf großes Interesse.

Die Spannbreite der konkreten Umsetzung von der allgemeinen Information über konkrete „Hands-on“-Projekte bis hin zum persönlichen Coaching einzelner Schüler ist groß. Anfängliche Skepsis gegenüber einer zu hohen Techniklastigkeit erwies sich in der Praxis als weitgehend unbegründet.

Dank der Mitarbeit vieler Lehrerkräfte scheint das Ziel, die Themen „Höchstleistungsrechnen“ und „Simulationen“ an Schulen in Baden-Württemberg zu vermitteln, in erreichbare Nähe gerückt zu sein.

forscht am Steinbuch Centre for Computing des Karlsruhe Institute of Technology und ist Geschäftsführer der KIT-Ausgründung Gemfony scientific UG.

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Interdisziplinären Forschungsschwerpunkt Risiko und Nachhaltige Technikentwicklung (ZIRN) der Universität Stuttgart sowie der DIALOGIK gGmbH.

ist Lehrer für Physik, Mathematik, Sport und Informatik am Karlsruher Bismarck- Gymnasium.

Alle Links: www.ix.de/ix1304112 (rh)